Bewegende Worte und Klänge

Erstellt am 14.04.2022

Ukraine-Benefizkonzert in Neu St. Thomä bringt 15000 Euro ein

Freuen sich über den hohen Erlös aus dem Benefizkonzert und dem Verkauf von Kunstwerken (von links): Hans-Joachim Ulzhöfer (Kunstverein), Klaus Schubert (Jürgen-Wahn-Stiftung), Sängerin Maryna Bohun, Inga-Schubert-Hartmann, Gero Troike, Inge Elter (alle Kunstverein), Angela Troike (Holzbläserensemble „SoHo21“). Fotos: Klaus Bunte

Von Klaus Bunte

Soest – Inmitten ihres zweiten Liedes, da platzt alles förmlich aus ihr heraus. Da bahnen sie sich ihren Weg, die Liebe zur Musik, zur Heimat, aber auch die Emotionen, die  Schwermut über das, was ihrer Heimat widerfährt, in diesem Moment gebündelt in dieser unglaublichen und kraftvollen Stimme. Spontan streckt Maryna Bohun das Mikrofon weit von sich, singt mitten hinein in das Kirchenschiff und füllt es komplett aus, ohne von der Instrumentalbegleitung vom Band übertönt zu werden.

Die professionell ausgebildete Sängerin aus Kiew, die auf der Flucht vor dem Krieg in Soest gelandet ist und sich spontan für das Benefizkonzert der Jürgen-Wahn-Stiftung angeboten hat, „rockt“ Neu. St. Thomä. Mit ukrainischer Folklore. Zum Schluss holt sie Emily Avramov dazu, die Tochter ihrer Gastgeberin Oksana Avramova, und Elena Sorochan, eine weitere Geflohene, die zurzeit in Soest lebt, nun vor dem Altar die ukrainische Flagge schwenkt.

Der gut zweistündige Abend darf auch über diesen emotionalen Höhepunkt hinaus in jeder Hinsicht als Erfolg gelten – künstlerisch und finanziell. Denn er bringt sage und schreibe 15000 Euro für die Ukraine-Hilfe ein. Die Gelder setzen sich zusammen zum einen aus den Spenden der Besucher nach dem Konzert am 20. März in Neu. St. Thomä unter Mitwirkung der Meisterchöre Pro Musica aus Soest und Just for Fun aus Attendorn sowie dem Soester Holzbläserensemble „SoHo21“, zum anderen aus dem Verkauf von Werken von Künstlern aus den Reihen des Kunstvereins Kreis Soest während des Konzerts und aus weiteren Spenden, zum Teil in vierstelliger Höhe.

Zum Friedensengel gemacht

Einige Bilder stehen nach wie vor zum Verkauf und sind im Kunstsaal des Kreiskunstvereins zu sehen. Gestiftet hatten sie Gero Troike, Fritz Risken, Horst Rellecke, Jo Kuhn, Federico Schiaffino, Paul Egidius, Doris von Hinten und Benno Dahlhoff, auch Karl Engelens Tochter steuerte Werke aus dem Nachlass ihres 2002 verstorbenen Vaters bei.

Diese Werke haben nicht zwingend bei allen Künstlern einen Bezug zum kriegerischen Hintergrund, „obwohl, ich habe sie schon danach ausgewählt“, meint Rellecke. So habe er ein Bild umgetauft von „Engel für Württemberg“ in „Friedensegel“ – ein Bild, das er übrigens für 2000 Euro unter dem Galeriepreis anbietet. Aber grundsätzlich passiere auch genau das Umgekehrte, ließe sich auch so ein Bezug herstellen, meint Troike, der ein kleines Stillleben beisteuert, das eine Tasse zeigt: „Man besinnt sich dann auf einfache Dinge, und ein solches Trinkgefäß ist im Frieden gut wie im Krieg, man kann ebenso gut Wasser daraus trinken wie Wodka oder einem Kind Milch geben.“ Die Preise der Kunstwerke sind Mindestpreise – niemand wird gehindert, mehr zu geben.

Der Meisterchor Pro Musica bietet sich in diesem fast ausschließlich weltlichen Konzert auf gewohnt hohem Niveau, obwohl er mit Handicap spielt: Chorleiter Christian Koops ist kurzfristig ausgefallen. Man ahnt es: Corona. Extrem spontan ist seine Dortmunder Kollegin Dita Kosmakova eingesprungen. Besonders auffällig die mit afrikanischen Rhythmen vermischte Version von „Kein schöner Land“.

Große Solidarität mit der Ukraine

Sein Programm dem Anlass angepasst hat der Attendorner Meisterchor „Just for Fun“, mit dem völkerverbindenden „We are the World“ oder Green Days „21 Guns“. „Wir tun gerne, was wir können, um irgendwie zu helfen, und sei es nur, indem wir singen“, so Antje Seidenstücker vom Vorstand des Sauerländer Chors. Ganz zum Schluss sangen beide Ensembles gemeinsam Rammsteins „Engel“. Seinen überhaupt erst zweiten und sehr soliden Auftritt bestritt das erst im vergangenen Jahr gegründete Soester Holzbläserensemble „SoHo21“.

Klare Worte findet Klaus Schubert, Vorsitzender der Jürgen-Wahn-Stiftung. Der weitgereiste Soester erteilt Putins Behauptung, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ werden, eine klare Absage: „Bei solch einem normalen, ausgeglichenen Land ein unsäglicher Unsinn, der geradezu körperlich weh tut.“ Umso fantastischer sei die große Solidarität, dies „dieses Volk mit seiner hohen Kultur“ jetzt erfahre.

Er und seine Frau Ina Schubert-Hartmann, Vorsitzende des Kunstvereins, halten Kontakt zu dem ukrainischen Künstler Ruslan Naida, der zurzeit an vorderster Front mitkämpfe gegen die russischen Invasoren, „und ich bin froh über jede seiner Nachrichten, dass er noch am Leben ist. Mehrere hier kennen diesen Bildhauer, und wenn man ihn kennt und in all seinen Mails immer wieder den Satz ,Es lebe die Kunst’ liest, dann sieht man ja auch, dass Zivilisation und Kampf für die Freiheit auch immer etwas mit der Kultur zu tun haben. Eine Zivilisation ohne Kultur ist nicht möglich. Was wir dort erleben, ist der Niedergang einer Zivilisation und von demokratischen Einstellungen und Gesinnungen. Dagegen kann Kunst und Kultur vielleicht etwas helfen“, so Schubert-Hartmann.

Hilfe für Waisenkinder

Klaus Schubert ist sowohl um die Einhaltung der Statuten der Stiftung bemüht wie auch um Transparenz – die Spender sollen nicht nur wissen, wofür das Geld bestimmt ist, sondern auch, dass es tatsächlich dort eintrifft. Daher setzt die Stiftung auf persönliche und vertrauenswürdige Kontakte und eine penible Dokumentation. Das ist zum einen die in Velbert lebende ukrainische Schriftstellerin und Lyrikerin Tatjana Kuschtewskaja, die eine enge Verbindung zu Soest hat und schon mehrere Male an Kunstereignissen in Soest teilgenommen hat – zuletzt bei besagtem Konzert. Sie trägt Sorge dafür, dass zunächst 10000 Euro an ein Heim für behinderte Kinder in der Donezk-Region gehen.

„Die kriegerischen Auseinandersetzungen haben mittlerweile auch diese Gegend erreicht“, berichtet Schubert nach einem Telefonat mit Kuschtewskaja. „Das Problem ist, dass diese 130 Kinder, darunter auch Waisen, nun verteilt worden sind. Die Eltern sind weitgehend geflüchtet und haben die Kinder zum Teil zu den Großeltern gebracht. Die übrigen sind weiterhin im Heim. Und wir müssen überlegen, auf welchem Weg wir das Geld da runter bringen. Was dort benötigt wird, sind Medikamente, Hygieneartikel, Lebensmittel, auch Bekleidung.“

Maryna Bohun, die zurzeit als Flüchtling in Soest lebende Sängerin aus Kiew, die mit ihrem hochemotionalen Auftritt den Höhepunkt des Konzerts bildet, trägt Sorge dafür, dass für weitere zunächst 3000 Euro Medikamente und Hilfsgüter für den Osten der Ukraine, wo sie geboren wurde, gekauft werden, an die dort schwer oder gar nicht zu gelangen ist.

„Die Projekte, die sie verfolgt, sind absolut hervorragend, und man hat ja auch schon beim Konzert gemerkt, wie sehr sie hinter dem steht, was sie tut, und sie tut es sehr gewissenhaft“, so Schubert. Maryna Bohun hat von ihren Kontakten dort Listen der Arzneien erhalten, die dort dringend benötigt werden. Der Stiftung legt sie die genauen Berechnungen und Dokumente vor, um den besprochenen Umgang mit den Hilfsgeldern belegen zu können.

Kurz vor dem Auftritt in der Kirche hatte die Ukrainerin ein weiteres Gastspiel bei einer Friedens-Demo am Soester Brunowall. Dank der Spenden, mit denen Veranstalter Stefan Schindel spontan vor allem von der Kita Lütgengrandweg überrascht wurde, konnte dieser ihr weitere 600 Euro zukommen lassen.

Maryna Bohun schlug dem Kunstverein vor, eine Ausstellung auszurichten mit Kriegs-Fotografien des renommierten ukrainischen Fotojournalisten Maksym Lewin und stieß damit auf Wohlwollen. Diese Bilder werden aus der Zeit zwischen Kriegsbeginn am 24. Februar und dem 13. März sein. Denn das war der Tag, an dem der 40-jährige vierfache Vater, nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ unbewaffnet und bekleidet mit einer Jacke mit der Aufschrift „Presse“, von russischen Soldaten erschossen wurde.

 

Zum Schluss holte Maryna Bohun Emily Avramov dazu, die Tochter ihrer Gastgeberin Oksana Avramova, und Elena Sorochan, eine weitere Geflohene, die zurzeit in Soest lebt.

Zum Schluss holte Maryna Bohun Emily Avramov dazu, die Tochter ihrer Gastgeberin Oksana Avramova, und Elena Sorochan, eine weitere Geflohene, die zurzeit in Soest lebt.

Klaus Schubert, Vorsitzender der Wahn-Stiftung, unterhält beste Kontakte in die Ukraine.