Wenn Epidemien Bestseller werden

Erstellt am 29.07.2022

Der Soester Theologe Dr. Werner Ruschke hat große Werke der Weltliteratur untersucht

Dr. Werner Ruschke hat sich in einem Buch damit auseinandergesetzt, wie Pandemien in großen Werken der Weltliteratur behandelt werden und hat zahlreiche Parallelen zu unserem Umgang mit Corona gefunden. Foto: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Das Inhaltsverzeichnis liest sich wie das Who-is-Who der Weltliteratur: Giovanni Boccaccio Edgar Allan Poe, Thomas Mann, Albert Camus oder Gabriel Marcia Marquez. Bestsellerautoren und Nobelpreisträger, die alle eines gemeinsam haben: Sie haben sich in einem ihrer Werke mit den großen Epidemien ihrer Zeit beschäftigt – vor allem mit der Pest und Cholera. Der Soester Theologe Dr. Werner Ruschke hat sich auf die belletristischen Spuren begeben, die Seuchen hinterlassen haben und sich dabei mit insgesamt zwanzig literarischen Werken auseinandergesetzt. „Pest, Cholera und Corona in der Belletristik – Wege der Verantwortung“ heißt sein Büchlein, das unlängst im Steinmann Verlag erschienen ist.

„Die Idee zu dem Buch ist mir gleich zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns gekommen“, sagt der frühere Ephorus des Predigerseminars in Soest, der zudem lange Jahre Vorstandsvorsitzender im Evangelischen Perthes-Werk war. Im März 2020 hat er vor seinen Bücherregalen gestanden und nach vielen Jahren wieder zu Camus‘ „Die Pest“ aus dem Jahr 1947 gegriffen. „Ein ungemein wichtiges Buch“, so Ruschke, „literarisch anspruchsvoll, sehr vielschichtig.“

Nach der Lektüre der annähernd 400 Seiten, die zu den wichtigsten der Weltliteratur zählen, hat sich Ruschke nach weiteren Werken umgesehen, in denen eine Pandemie im Mittelpunkt steht  „Das Thema hatte mich einfach gepackt und ich habe einiges gefunden und dann noch Freunde befragt. Ich  wollte wissen, in welcher Weise Schriftsteller unterschiedlicher Zeiten und Generationen die Grenzerfahrungen von Seuchen und Epidemien verarbeitet haben.“  Im Zentrum der Forschungsarbeit stand dabei auch die Frage: Was gibt es an sich wiederholenden Strukturen? Eine frühe Erkenntnis: Fast alle Autoren verstehen eine Epidemie auch als religiöse Herausforderung in Gestalt von Kritik an der kirchlichen Lehre.

Ruschke: „Das hat mich als Theologe natürlich besonders interessiert: Wie werden Glaubensfragen behandelt?“ Vor allem im Mittelalter wurden Pandemien dabei häufig als Strafe Gottes gesehen. Und es hat immer die Suche nach Schuldigen gegeben: Hexen, Juden zum Beispiel.  Und damals wie heute lag der Ursprung des Virus häufig in Asien. „Manches“, so Ruschke, „ist in der Literatur recht holzschnitzartig. Aber es finden sich auch viele Parallelen zu unserem heutigen Umgang mit Corona.“

Zu Beginn gibt es häufig eine Verharmlosung der Gefahren, dann kommt die Überforderung von Behörden, die soziale Ordnung wird in Frage gestellt, es herrschen zum Teil chaotische Zustände; aus Angst vor Ansteckungen verbreiten sich Egoismus und große Rücksichtslosigkeit. „Da ist man manchmal erstaunt, wie sehr die Beschreibungen den Corona-Jahren, die wir gerade erleben, gleichen“, erklärt Ruschke.

Ein Satz aus dem 1351 erschienenen „Das Dekameron“ von Giovanni Boccaccio etwa, hätte so auch gut im Sommer 2022 formuliert sein können: „Die meisten vermeiden…auf das sorgfältigste, den Kranken zu begegnen.“

Und auch dass die Rolle, die Kirche jeweils gespielt hat, nicht immer ruhmreich war, findet Parallelen zur Jetzt-Zeit. Ruschke fordert daher angesichts von geschlossenen Kirchen, abgesagten Gottesdiensten und Aussetzen von Seelsorge: „Kirche darf sich in Zeiten der Pandemie nicht davor drücken, Verantwortung zu übernehmen und da zu sein. Sonst verfallen die Sitten und die soziale Ordnung trägt nicht mehr.“

Dr. Werner Ruschke „Pest, Cholera und Corona in der Belletristik – Wege der Verantwortung“, 153 Seiten, 16,80 Euro, Steinmann Verlag