Steine klopfen für die Ewigkeit

Erstellt am 21.10.2022

Dombaumeister i.R. Jürgen Prigl bearbeitet in Kroatien seit zwei Jahren gewaltigen Steinkoloss

Jeden Morgen das gleiche Bild: Jürgen Prigl steigt zu seinem Stein und bearbeitet ihn dann mehrere Stunden lang. Im Hintergrund funkelt das Blau der Adria mit dem Himmelsblau um die Wette. Fotos: Prigl privat

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Ein Bild wie ein Gemälde. Hoch oben über der Adria steht der Mann mit bloßem Oberkörper vor einem Koloss von Stein, spannt den Bizeps und schwingt den Hammer.  Im Hintergrund funkelt das verführerische Blau der kroatischen Adria. Seit nunmehr zwei Jahren wiederholt sich diese morgendliche Szenerie in ungebrochener Regelmäßigkeit und mit anhaltender Dynamik: Jürgen Prigl, im Ruhestand befindlicher Dombaumeister der Wiesenkirche, fährt seit dem Sommer 2020 für mehrere Monate gemeinsam mit Ehefrau Priska auf die kroatische Insel Brač, um einen 20 Tonnen schweren Stein zu bearbeiten.

Steine klopfen? Das war in früheren Zeiten vor allem eine Strafe für verurteilte Verbrecher. Aber der Soester Prigl hat natürlich nichts verbrochen; vielmehr erfüllt er ein Versprechen, dass er Pater Donatus, seinem 2016 im Alter von 94 Jahren verstorbenen Lehrmeister und Freund gegeben hat: „Ich werde eine Skulptur schaffen, die die Geschichte von Homers Orpheus und Eurydike erzählt.“

Und da Prigl nicht ein Mensch ist, der irgendwann etwas verspricht, an das er sich hinterher nicht mehr erinnern kann, hat er die ihm eigene Energie und die ihn stets begleitende Beharrlichkeit eingesetzt, um das ehrgeizige Vorhaben zu realisieren. „Donatus Leicher war mein Professor in Freiburg. Ihm habe ich nahezu alles zu verdanken, was ich beruflich erreicht und was ich über Bildhauerei und das Steinmetzhandwerk gelernt habe“, erklärt der Soester.

Bei einer früheren Tagung auf Brač der „European Association of Building Crafts & Design“ (EACD), deren Ehrenpräsident Prigl ist und an der auch Donatus Leicher teilnahm, war die Idee zu der Skulptur entstanden. „Wir“, so Prigl, „kommen ja beide vom Stein. Da lag so eine Idee nahe.“ Doch zur gemeinsamen Umsetzung kam es durch den Tod des Ordensbruders der Dominikaner, der als  europäische Koryphäe für Bildhauerei und Steinmetzhandwerk gilt, nicht mehr.

Versprochen ist versprochen

Doch für Prigl gab es nie einen Zweifel, dass er das Vorhaben auch ohne seinen kongenialen Lehrmeister würde umsetzen: „Daran habe ich auch nicht nur eine Sekunde gedacht. Versprochen ist versprochen. Das ist wie ein Testament; daran wird nicht gerüttelt. Donatus‘ Tod ist mir Ansporn und Verpflichtung zugleich.“

2019 rückte die Erfüllung des Versprechens dann näher: Bei einem erneuten Urlaub auf der Adria-Insel traf Prigl auf Arbeiter, die dabei waren, einen stillgelegten Steinbruch wieder in Betrieb zu nehmen. Der Dombaumeister stellte sich vor und erzählte von seinem Vorhaben, für das er noch einen passenden Stein suche. Marko Vlahovic, der Direktor des Natursteinunternehmens Jadrankamen, war  von der Idee angetan und gab Prigl die Genehmigung im Steinbruch Milovica nach einem geeigneten Stein zu suchen.

Der war rasch gefunden, wurde mit schwerem Gerät geborgen und zu der Stelle gebracht, an der er nun nur mit Hammer und Meißel und nur von Prigl selbst bearbeitet wird. „Auf Brač gibt es einen ganz besonderen Kalkstein, der auch schon für das Taj Mahal oder auch in Washington verwendet wurde. Sein cremiger Farbton ist weltweit einzigartig“, schwärmt der Fachmann aus Westfalen.

Seit Mai 2020 packt Familie Prigl nun im Mai ihre Sachen und siedelt bis Oktober in die kroatische Sonne um. Der Arbeitstag ist dabei stets gleich: Frühmorgens, wenn die Sonne noch nicht so gnadenlos brennt, steigt Prigl zu seinem Stein auf und beginnt mit der ebenso kräfte- wie schweißtreibenden Arbeit: „Das ist eine Schweinearbeit. Ich setze ja keinerlei technisches Gerät ein, sondern setze ausschließlich auf reine Handarbeit.“

Im ersten Jahr hat er sich den Stein dabei erst einmal grob zurecht geschlagen: „Das Wegspalten einer großen Ecke war ungeheuer mühselig.“ Inzwischen steht die bildnerische und damit filigrane Arbeit im Mittelpunkt: „Die Körper von Orpheus und Eurydike sind mittlerweile herausgearbeitet. Ab jetzt wird es sehr schwierig, denn die aktuellen Arbeiten sind sehr zeitaufwändig.“

Zwar ist das Ende noch nicht konkret in Sicht, aber Jürgen Prigl ist zuversichtlich, dass er seinen Zeitplan einhalten kann: „Aber ich will mich nicht unnötig unter Druck setzen. Denn täglich vier bis sechs Stunden mit Hammer und Meißel zu arbeiten, geht an die Substanz.“ Läuft alles nach Plan, soll die Skulptur 2024 fertig werden. Von seiner jahrelangen Arbeit an der Wiesenkirche weiß Prigl aber, dass beim Arbeiten mit und am Stein stets Geduld gefragt ist: „Dann wird er eben 2025 fertig; aber fertig wird er garantiert – so Gott will und mir meine Gesundheit erhält.“

Arbeiten am ewigen Werk Gottes

Jürgen Prigl hat 1992 als Dombaumeister im Alter von 31 Jahren die Verantwortung für die Restaurierung der Wiesenkirche in Soest übernommen. Zuvor war er in Freiburg tätig, hatte hier ein eigenes Atelier. Vor drei Jahren ist er offiziell in den Ruhestand gegangen, steht aber dem Westfälischen Dombauverein mit Rat und Expertise und der Dombauhütte auch mit Tat weiterhin zur Verfügung. Unter seiner Leitung sind die beiden charakteristischen Türme von St. Maria zur Wiese für über 25 Millionen Euro weitgehend restauriert worden, dazu gehört auch die Sanierung der bedeutenden Chorfenster. Unerwartete Bauschäden haben die Arbeiten immer wieder zurückgeworfen und belastet. Ob das ursprüngliche Ziel, Fertigstellung zwischen 2023 und 2025, erreicht werden kann, ist daher offen. „Aber was heißt bei so einem Werk schon fertig? Wird der Kölner Dom jemals fertig?“, hat er einst im Gespräch mit der uk gefragt und dann ergänzt: „Es ist halt ein Werk zu Ehren Gottes.“

Nur mit Hammer und Meißel arbeitet der Steinmetz die Bilder aus dem Stein.

Abgemacht: Per Handschlag hat Marko Vlahovic, Direktor des Natursteinunternehmens Jadrankamen, versprochen, dass Prigl seinen Stein bekommt.

Können Kunst und Liebe den Tod besiegen? Diese Frage stellt der Mythos von Orpheus und Eurydike in den Mittelpunkt. Homer hat über das Schicksal der beiden in der Elias Saga berichtet und der große römische Dichter Ovid hat ihnen in seinen Metamorphosen ein zu Herzen gehendes Denkmal gesetzt. Prigl: „Das ist ein gigantisches Thema“. Der Bildhauer versucht in seiner Skulptur, den Punkt zu erfassen, als Orpheus sich im Totenreich Hades verbotenerweise nach seiner Frau umschaut, woraufhin diese wieder in der Unterwelt verschwindet. Was nach Fertigstellung mit der Skulptur passieren wird, ist noch offen. Erste Gespräche darüber gibt es bereits: „Mir wäre es wichtig, dass sie einen Platz direkt am Meer findet.“

Seit drei Jahren ist Jürgen Prigl offiziell im Ruhestand. Vor allem im Winter legt er aber immer noch gerne - wie hier bei den Chimären – selbst mit Hand an und unterstützt so die Steinmetze in der Dombauhütte. Foto: Hans.-Albert Limbrock