Politik über den Dächern von Soest

Erstellt am 21.11.2019

Von Thomas Brüggestraße

SOEST. Reden. Miteinander, statt übereinander – und gerne von Angesicht zu Angesicht, dann klären sich viele Dinge, und persönliche Kontakte sind das allerbeste Mittel gegen Gerüchte, falsche Nachrichten oder stumpfes Nachgeplapper von übelsten Parolen. Und wo gerade Kirmes ist: Warum nicht mal im Riesenrad den Politikern vor Ort die Fragen stellen? Die Soester Jugendkirche hat’s organisiert zusammen mit dem Landesjugendring und einen Tag vor dem offiziellen Kirmesstart eine Stunde im Riesenrad geschenkt bekommen. Weil Riesenradbetreiber Rudolf Barth die Idee überzeugend fand – und so war’s:

Was tun gegen die Höhenangst bei der ersten Runde im Riesenrad? „Zur Seite rausschauen – das hilft“, sagt Bürgermeister Eckhard Ruthemeyer und zeigt in 50 Metern Höhe über dem Petrikirchhof-Pflaster in die Ferne. Die Kabine schaukelt ein wenig. „Das ist normal“, weiß Ruthemeyer. „Gleich geht’s weiter.“

Groß um Politik geht es bei Layla (14), Larissa (15) und Joshua (13) nicht – sie haben sich einfach hinten angestellt, sind am Dienstagnachmittag mit eingestiegen ins „Jupiter“-Riesenrad und haben erst gemerkt, wer da saß, als der Bürgermeister von sich aus das Gespräch suchte und sich vorstellte: Er sollte ja was erzählen, so war der Plan von Petra Englert und ihrem Team der Soester Jugendkirche.

Jugendliche ab 15 Jahren sollten Soester Politiker mal in echt erleben, ihnen ungestört Fragen stellen können – eigene oder Fragen von der Karte, abgesprochen bei einem Vorbereitungstreffen der Jugendkirche: „Was wird Ihre Partei für den Klimawandel tun?“, „Was tun Sie für die armen Menschen in unserer Stadt?“, „Warum arbeitet Ihre Partei nicht innovativ?“, „Warum sind so wenig Frauen in der Partei?“.

Für den Bürgermeister hatten sich alle Extra-Fragen ausgedacht: „Was machen Sie so in der Woche?“, „Was sind die Qualifikationen für einen Bürgermeister?“, „Klimanotstand in Soest, warum wird der abgelehnt?“, „Was macht Ihnen besondere Freude in Ihrem Beruf als Bürgermeister?“ Aufgabe für die Politiker: „Fasst Euch kurz, Ihr habt nur drei, vier Runden Zeit, dann kommen die nächsten jungen Leute in die Kabine!“

Der Landesjugendring spendete Geld für das Projekt, für Vorbereitung und Verpflegung, die Stadt sorgte dafür, dass das Riesenrad als erstes Fahrgeschäft abgenommen worden war und ausnahmsweise schon einen Tag vor der Kirmes starten durfte. Rudolf Barth aus Bonn hatte schon vor dem Aufbau in Soest eine Freifahrt-Stunde für alle zugesagt, da stand er noch in Bocholt auf der Kirmes. „Ich fand die Idee sofort gut und habe das gerne unterstützt“, sagte er, sein Dankeschön in Händen: „Westfälisches Abendmahl“ haben sie ihm mitgebracht – Zwiebel-Bier, Pumpernickel, Schinken und  Korn.

Wir haben uns dazugesetzt, begleiteten den Bürgermeister, Rolf Meiberg, den Chef der CDU-Ratsfraktion, Roland Maibaum von der SPD, Peter Schween, den neuen Soester FDP-Chef, Winfried Hagenkötter von den Linken, Andreas Kappelhoff von der Bürgergemeinschaft, Walter Raubaum (SO!-Partei) und Jutta Maybaum (Bündnis 90/Die Grünen) . Die AfD war nicht eingeladen. Warum nicht, wo die doch demokratisch gewählt im Rat sitzen? „Wir wollten das grundsätzlich nicht. Das haben wir auch mit dem Superintendenten so abgesprochen“, sagte Petra Englert. „Das war uns mit den Jugendlichen zu heikel.“

Ob das nicht eine Bevormundung sei – junge Leute seien doch grundsätzlich kritisch genug, um sich nicht jeden Unsinn zu eigen zu machen? „Haben wir uns auch überlegt“, sagt Petra Englert. „Mit oder ohne AfD: Wir hätten so oder so in der Kritik gestanden, da haben wir uns für die sichere Variante entschieden.“ Jugendschutz, sozusagen.

Worum ging’s in den Gesprächen? Auffallend oft um die Greta-Frage: Wie nachhaltig ist denn der ganze Kirmesspaß, wo er doch soviel Abfall macht? Und wie passend ist das in diesen Zeiten noch mit dem Feuerwerk? Ja, der Feinstaub, das sei so eine Sache, das gaben die Ratsvertreter unumwunden zu. Aber, so sagte es Walter Raubaum von der SO!-Partei kurz und bündig: „Das ist die unwichtigste Diskussion von allen!“

Klimaschutz fängt  ganz woanders an. Beim eigenen Bewusstsein, bei jedem Einzelnen, so sieht es Rolf Meiberg: „Wir müssen das Bewusstsein der Leute erreichen!“ Dabei: „Klimanotstand“, das sagte Andreas Kappelhoff von der Bürgergemeinschaft, das sei für Soest eine zu gewaltige Vokabel, deshalb lehne er das auch ab, den hier medienwirksam auszurufen.

„Notstand“, das passe eher, wenn man mal in die Welt hinausschaue, und da müssten alle gehörig mit anpacken, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Manchmal muss auch die Frau mit anpacken, so wie beim Soester Peter Schween (FDP): „Mülltrennen, da kann man bei verzweifeln“, erzählte er im Gespräch mit Lara Trauernicht und Felix Speckemeier: „Gut, dass meine Frau da hilft.“

Nach einer Stunde waren die ungewöhnlichen Gesprächsrunden beendet. „Zufallsgäste“ mit eingerechnet, waren drei Dutzend Jugendliche und Erwachsene mit Soester Rats- und Parteivertretern und mit dem Bürgermeister im Gespräch, und alle fanden‘s eine runde Sache. „Wenn wir das dürfen, machen wir das gerne im nächsten Jahr wieder“, so freute sich Petra Englert.

 

Möglich-Macher und Politiker: Von links Janna Frydryszek vom Landesjugendring, Riesenrad-Betreiber Rudolf Barth aus Bonn, Felix Speckemeier vom Förderverein der Jugendkirche, Winfried Hagenkötter (Die Linke), Rolf Meiberg (CDU), Petra Englert (Jugendkirche), Bürgermeister Dr. Eckhard Ruhtemeyer, Lucie Kießling, macht ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) bei der Jugendkirche, Walter Raubaum (SO!-Partei), Lara Trauernicht, FSJlerin bei der Jugendkirche, Roland Maibaum (SPD), Andreas Kappelhoff (Bürgergemeinschaft), Peter Schween, seit ein paar Wochen neuer FDP-Chef in Soest, Jutta Maybaum (Bündnis 90/Die Grünen). Fotos: Thomas Brüggestraße

Über den Dächern von Soest: Bürgermeister Dr. Eckhard Ruthemeyer diskutierte in luftiger Höhe mit Mitgliedern der Soester Jugendkirche.