„Ich war nie ein Revoluzzer“

Erstellt am 22.11.2019

Von Hans-Albert Limbrock

NEHEIM. Zu unserem Gespräch kommt er mit einer leichten Verspätung. Am Abend zuvor hatte er noch einen Trauerbesuch. Einer von der intensiveren Sorte. Es ist spät geworden, sehr spät: Auch nach 50 Jahren als Seelsorger ist Carl-Ernst Kattwinkel noch nicht müde, den Menschen Trost zu spenden, wenn sie ihn brauchen; ihnen ein Ohr zu leihen, wenn die allmächtige Trauer sie schier zu ersticken droht.

„Der Kondolenzbesuch hat ein wenig länger gedauert“, entschuldigt er sein Zuspätkommen und nimmt im Büro von Pfarrer Dr. Udo Arnoldi Platz. Der inzwischen 79-jährige Kattwinkel braucht nicht lange, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Wenn er erzählt, ist er in seinem Element. Seine Geschichten und Geschichtchen weiß er blumig eloquent auszustatten; sodass dem Gegenüber gar nichts anderes übrig bleibt, als gebannt an seinen Lippen zu hängen.

Am 1. Advent wird er in diesem Jahr sein 50-jähriges Ordinationsjubiläum in der Christuskirche feiern. Das wird ein besonderer Tag im bewegten Leben des Seelsorgers, der aus dem Sauerland stammt und es nie wirklich verlassen hat. Auch nach seiner Pensionierung 1998 ist es ihm Heimat geblieben. Und noch heute hilft er regelmäßig in seiner „alten“ Kirchengemeinde.

Ostern 1969 erfolgte der Ruf der Landeskirche, eine Stelle in Neheim anzutreten. Kattwinkel war damals Hilfsprediger in Herford. „Man wollte mich so schnell wie möglich ordinieren, damit ich die verwaiste Stelle antreten konnte“, erinnert er sich. Am 1. Advent 1969 fand dann tatsächlich schon die Ordination statt.

Der Start in der neuen Kirchengemeinde war allerdings von leichten Störgeräuschen begleitet: Im Presbyterium war man der Meinung, dass das Auto, mit dem Kattwinkel seinerzeit fuhr, eines Pfarrers unwürdig sei. „Das war eine Ente, ein Citroen. Aber natürlich bin ich den Wagen weitergefahren.“

Kattwinkel hat nicht lange gebraucht, um die Herzen der Menschen in seiner Kirchengemeinde zu erobern. Volks- und lebensnah, stets ein offenes Ohr und das eigene Herz am rechten Fleck – das waren Eigenschaften, die den bodenständigen Sauerländern gefielen.

Und auch, dass ihr Pfarrer den Mut aufbrachte, eingeschlagene Wege zu verlassen und Neuland zu betreten. So etwa 1971, als ein junges Paar – er katholisch, sie evangelisch – um eine ökumenische Trauung nachsuchte: „Keiner wusste damals, wie so etwas gemacht wird. Aber wir haben es einfach gemacht.“ Ganze zweieinhalb Stunden habe die Vorbereitung gedauert: „Dann war das Thema durch.“ Auf Ebene der Landeskirche habe man anschließend zweieinhalb Jahre gebraucht, um ein Konzept für eine ökumenische Trauung zu erarbeiten.

Dass diese Ehe, vielleicht eine der ersten ökumenischen im so tief katholischen Sauerland, auch heute noch hält, erfreut Carl-Ernst Kattwinkel mit besonderer Freude: „In knapp zwei Jahren werden sie Goldene Hochzeit feiern. Darauf freue ich mich schon.“ Dass er damals für reichlich Aufruhr in der heimischen Presse gesorgt hat und „einige Schläge von Kollegen“ einstecken musste, hat ihn nie sonderlich gestört. Im Gegenteil: Das hat er fast schon als Bestätigung genommen, in diesem Fall alles richtig gemacht zu haben.

Beinahe entschuldigend schränkt er dennoch ein: „Ich war nie ein Revoluzzer.“ Wohl aber ein Pfarrer mit breitem Kreuz und aufrechtem Gang: „Wenn etwas gegen mein Gewissen geht oder etwas ungerecht ist, kann ich ziemlich stur sein. Dann habe ich den eiserenen Willen, dagegen anzugehen.“

Dabei hat er auch die Konfrontation mit der Landeskirche nicht gescheut. Vor allem während seiner Zeit als Synodalassessor blieb die ein oder andere Reiberei nicht aus. Dass er nie Superintendent geworden ist, obwohl er dafür zahlreiche Unterstützer hatte, hat er nie wirklich bedauert: „Ich wollte eigentlich immer Gemeindepfarrer sein – nah an den Menschen, nah an den Gläubigen.“

Und das ist er auch heute noch – trotz Ruhestand. „Wenn ein solcher Kondolenzbesuch wie gestern Abend zur Routine werden würde, dann würde ich sofort aufhören.“ So aber ist auch heute, 50 Jahre nach seiner Ordination, jede Predigt und auch jede Beerdigung immer noch eine Herausforderung: „Solchen Aufgaben stelle ich mich gerne; auch wenn das bisweilen an die Substanz geht. Aber genau dafür bin ich doch Pfarrer geworden.“

 

Ein überaus lebhafter und fesselnder Erzähler – eine der Stärken von Carl-Ernst Kattwinkel, der am 1. Advent vor 50 Jahren ordiniert wurde. Foto: Hans-Albert Limbrock