„Ostalgie“ mit kritischem Unterton

Erstellt am 28.11.2019

Von Frank Albrecht

MESCHEDE. Ein Hauch von Widerstand, ein Hauch von „Ostalgie“ – im gemeinsamen Kirchenzentrum war Liedermacher Stefan Krawczyk aus der ehemaligen DDR mit seinem Programm „Wieder stehen – Rettung kommt nicht von Ohnmacht“ zu Gast. Die Zunftswerkstatt Meschede hatte den Musiker eingeladen, über sich, sein Leben im ehemaligen Ostdeutschland und das der anderen dort zu erzählten. Die „Konzertlesung“, wie der Künstler sein Veranstaltungsformat selber skizzierte, überzeugte mit Musik und Texten. Rund 50 Gäste – nicht wenige von ihnen einstige DDR-Bürger – hingen amüsiert an seinen Lippen.

Hartmut Köllner von der Zukunftswerkstatt begrüßte die Gäste und erklärte den Hintergrund des Konzertes. Ein Mitglied der Gemeinde – nämlich er selbst – hatten den Liedermacher getroffen und einfach mal eingeladen. Dass der Auftritt Krawczyks nur wenige Tage nach dem 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls im Sauerland zustande komme, sei also einem glücklichen Zufall geschuldet, so Köllner. Genug der Worte – „Stephan, fang an!“, munterte er seinen Gast auf.

Und der ließ sich auch nicht lange bitten: Eine kurze Einführung in sein Leben und ein Bekenntnis – er sei jetzt schon 63 Jahre alt und doch noch nie in Meschede gewesen sei. Ein kleines Raunen im Saal, vermischt mit Lachen. Alles gut. Dafür, so der Künstler, habe er aber 33 Jahre lang in Ostdeutschland gelebt. „Ich bin ein gelernter DDR-Bürger, durch und durch“, prahlte Krawczyk mit einem ersten von vielen kritischen Untertönen. Im Jahre 1988 sei er in den Westen „gegangen worden“; über seine Lieder habe er sich in den Westen gespielt. „Meine Kunst kann fast keener“, so Krawczyk selbstsicher. Ob denn die Euphorie des Mauerfalls auch bis nach Meschede geschwappt sei? Ein „Ja“ kam aus vielen Ecken des Saals.

Wieder genug gesprochen, und endlich greift sich der Liedermacher aus den kunstvoll aufgebauten drei Gitarren und einem Schifferklavier das erste Instrument und spielt. „Heute“ so der Titel seines Songs, mit dem er die letzten 30 Jahre außer Acht lässt und erst recht die Zeit davor. Auf die schießt sich Stephan Krawczyk im Laufe seiner Konzertlesung mehr und mehr ein. Dass die Gesellschaft den Menschen schon einiges in den Weg legen könne, sei an der DDR gut festzumachen. Und, dass der Mangel auch Vorteile habe, schließlich könne man dadurch eigene Werte in den Vordergrund stellen.

In den zwei Teilen seines Vortrages stellte Krawczyk seine Erzählungen gekonnt immer in Relation zu einem dann folgenden Lied. Das von oder über Berlin mit gleichnamigem Titel gedenkt der einst bevorzugten Stellung der Stadt auch in Ostdeutschland. Und zur bekannten Melodie von „Bolle“ ließen seine Texte das Publikum schmunzeln und die melodische Musik den Körper wippen: Stephan Krawczyk hatte sein Publikum vollends eingefangen. Aber der Liedermacher kann auch politisch: „Alles was nach Diktatur riecht, da bin ich ganz sensibel und bekomme sofort schlechte Laune“, bekannte er. Und Krawczyk erklärte, dass er sein Auftrittsverbot in der DDR wegen moralischer und kultureller Unfähigkeit bekommen habe.

Ob in seinen Liedern oder bei seinen Lesungen – immer wieder ließ Krawczyk das Sächsische durchklingen, was seinen Vortrag noch authentischer machte. Dabei gelang es dem Liedermacher, auch ein gehöriges Maß an DDR-Nostalgie zu verbreiten. Zu dem lud Krawczyk auch sein Publikum ein, das er zum Mitsingen motivierte.

Pause – und aus dem Fluchtkoffer seiner Mutter (so sagt Krawczyk) gab es seine Bücher und CDs. Unter den Gästen war auch Angela Hoppe aus Meschede-Calle sehr begeistert. In der Nacht vom 1. auf den 2. Dezember feiert sie mit ihrem Mann ihr eigenes Jubiläum, die Flucht aus der DDR vor 40 Jahren. „Der Ausreiseantrag meines Mannes wurde 1975 abgelehnt, von da an wurde es schwierig für uns“, erinnerte sich die Wahl-Sauerländerin. Im Winter 1979 habe sie dann mit ihrem Mann „rübergemacht“, beim Autoverladen auf einer Fähre in Rostock.

Ihre Angst vor dem Knast bei Misslingen der Aktion, ihr Versteck unter dem Fahrersitz des Autos. Ja, die Lieder, Texte und Inhalte von Stephan Krawczyk kann sie sehr gut verstehen. Der Abend hier wecke Erinnerungen bei ihr und zudem auch ein neues Gefühl von Freiheit, dem sie sich jetzt noch mal so richtig bewusst werde. Den Liedermacher kenne sie schon von früher. „Ich bin froh über Menschen, die Mut haben“, so Hoppe. Und am Tisch schalten sich gleich noch ein anderer Bürger der ehemaligen DDR ein, Fluchtgeschichten machten die Runde.

Noch einmal trat Stephan Krawczyk an, sang gegen die Militarisierung der Kinderseelen in der DDR und trug seine Kritik im Stil des Dadaismus vor. Auch der Westen blieb nicht verschont: „Wir wohnen nicht unbedingt im besten Deutschland, das wir je hatten“, so der Künstler. Er verwehre sich aber gegen die immer noch vorherrschende Trennung zwischen „Ossi“ und „Wessi“ und schlug seinem Publikum lieber den „Nordi“ oder „Südi“ vor.

Für das bessere Zusammenwachsen regte er gutes Essen an, seine „Ode an die Soße“ sollten wieder alle im Publikum mitsingen. Dann zum Abschied ein – nicht ganz ernst gemeintes – Liebeslied. Und wer nach fast zwei Stunden gedacht hatte, die Zugabe sei schon mit drin gewesen, bekam sie noch obendrauf: Stephan Krawczyk versteht sich mit Gitarre auch als Beat-Boxer aus moderner Zeit.

Drei Gitarren und ein Schifferklavier – Liedermacher Stephan Krawczyk aus der ehemaligen DDR war jetzt Gast der Zukunftswerkstatt Meschede, spielte und las im gemeinsamen Kirchenzentrum. Fotos: Krank Albrecht

Bei Angela Hoppe aus Meschede-Calle hat das Konzert viele Erinnerungen geweckt.