Das Ideal einer vollkommenen Kirche

Erstellt am 06.12.2019

Von Thomas Brüggestraße

SOEST. Pfusch an der Wiesenkirche – mit billigstem Füllmaterial, einer lieblosen Betonschicht und mit Blechen zur Abdeckung! Danach wurde alles grün übergepinselt. Neunzig Jahre ist das jetzt her, und in den Achtzigern ist schon mal was vom Turm heruntergekracht. Richtig offenbar geworden ist der Frevel an der filigranen Baukunst aber erst im Herbst 2018, da wurden  die Fenster renoviert: Am Traufgesims über dem Chorraum zeigten sich gefährliche Risse.

Schnell war klar: Die Seitenwände über dem Altar driften schon fast 20 Zentimeter nach außen, die Anker im Beton halten nicht mehr zuverlässig. „Der Bau, das gesamte Werk ist in Gefahr! Es musste gehandelt werden, sofort!“ Der bisherige Dombaumeister Jürgen Prigl sagt es zum Abschluss des Festakts noch einmal deutlich, was ihn so maßlos geärgert hat: Wie kann man sich nur so an einem solchen Bauwerk vergehen? Als ob die wohl bedeutsamste gotische Hallenkirche nördlich der Alpen ein gewöhnlicher Ziegenstall wäre! Prigl: „Verbrecher waren das, ganz einfach Verbrecher…!“ Zehn bis fünfzehn Jahre kann es nun dauern, den Pfusch fachmännisch zu beheben. Parallel wird am Nordturm weiter gearbeitet – die inzwischen dritte Bauhütte an der Kathedrale hat einen strammen Zeitplan.

Die Zuhörer hängen Prigl an den Lippen, darunter in den ersten Reihen Landesministerin Ina Scharrenbach, Regierungspräsident Hans-Jochen Vogel nebst Gattin, Landrätin Eva Irrgang, Ex-Staatsminister und Ex-Landtagspräsident Eckhard Uhlenberg, Bürgermeister Eckhard Ruthemeyer.

350 Kilogramm wiegt der sorgsam behauene Oberkirchner Sandstein, der auf einer Zugkarre so vor dem Altar steht, dass die eingehauene Beschriftung für alle sichtbar ist: „Deo honorem“ (Gott zur Ehre) haben sie in schlanken Großbuchstaben in den Stein geschlagen, und „operi optimum“ (Dem Werk das Beste).

Die Formation „Möhne Brass“ mit Tobias Zastera (Posaune), Christian Kauba (Posaune), Julian Knop (Trompete), Konstantin Sümmermann (Trompete) und Martin Irmer (Horn) steht vor dem Seitenaltar. Sie werden zum Eingang einen barocken Ohrwurm spielen, das Rondo von Jean-Joseph Mouret (1682–1738). An der Orgel links vor dem Hauptaltar sitzt Christiane Köster – sie eröffnet mit einem Kanon für alle „Dona nobis pacem!“ (Gib uns Frieden!), und der gelingt auf den Punkt.

„Diese Kirche ist das Ideal einer vollkommenen Kirche“, sagt Landesministerin Ina Scharrenbach in ihrer Rede: „Wir nehmen das sportlich, und da helfen wir.“ Das sagt sie zur Erhöhung der Fördersumme um 300.000 Euro durch das Land. Nicht nur Bürgermeister Eckhard Ruthemeyer unterstreicht: „Soviel Unterstützung ist nicht selbstverständlich!“ Der Schatzmeister des Fördervereins erzählt von seinen schlaflosen Nächten. Am Ende ist wieder alles gut geworden: „Wir können mit der Summe gut arbeiten, das hat uns viele Sorgen genommen“, das sagt auch Jürgen Prigl.

 

Dann „ein kleiner Überfall“, wie Prigl es ausdrückt. Er ist mit einem Papier in der Hand zu Eckhard Uhlenberg marschiert und erklärt ihm, dass er jetzt was vorlesen müsse: Die handgeschriebene Urkunde für eine „Zeitkapsel“ drückt er dem Verdutzten in die Hand und Uhlenberg macht sich auf zum Mikrofon.

Die Urkunde mit vielen prominenten Unterschriften trägt dazu die Stempel der Kirchengemeinde, der Bauhütte und der Stadt Soest, dazu die Steinmetzzeichen und die gelb und rot ausgemalten Meisterzeichen von Jürgen Prigl und Bauhüttenmeister Daniel Müller. „Glück auf zu neuen Taten, hilf Gott dass sie geraten“, mit diesem Wunsch endet die Nachricht an die, die den Stein irgendwann in der Zukunft vielleicht einmal öffnen werden.

Die Prominenten dürfen helfen, den Deckel auf die Aussparung im Stein zu legen, die Fugen mit Kalkschlämme zu verschließen. Dann ziehen sie den Karren mit seiner schweren, grün bekränzten Last durch den Mittelgang hinaus zum Aufzug am Gerüst – Ministerin Scharrenbach und Bauhüttenmeister Daniel Müller vorne an der Deichsel. „Möhne Brass“ spielen dazu „Großer Gott, wir loben Dich!“.

Es ist ein Kraftakt, oben in der Enge am Gesims den Stein in seine Endposition zu rücken. Er hängt nach der Fahrt mit dem Aufzug an breiten Gurten an einer steuerbaren Kranvorrichtung – wie sehr sich wohl die Steinmetze früher quälen mussten bei so schweren Steinen? Eine Lage Kalkschlämme wird verteilt, Ina Scharrenbach darf symbolisch mit anpacken, und millimetergenau rücken dann Geselle Jonathan Schulze, Steinmetzmeister Stefan Stubenhofer, Bauhüttenmeister Daniel Müller und Dombaumeister Jürgen Prigl den Stein an seinen Platz, die Musiker stehen mit auf dem Gerüst und spielen jetzt „Tochter Zion“. 

Gunther Rohrberg ist der neue Dombaumeister nach bald 30 Jahren Jürgen Prigl in Doppelfunktion als Dombau- und Bauhüttenmeister. Er schaut von der Stiege am Gerüst aus zu, wie sich alles drängt, in der Kälte gute Fotos und Bewegtbilder zu bekommen. Was ihm durch den Kopf gehe? „Wir beginnen eine sehr große Maßnahme“, sagt er, nachdem alle wieder unten in der Kirche sind. „Wir wollen damit Fehler der Vor-Vorderen beheben, und wir arbeiten planmäßig am Nordturm weiter. Die Arbeit über dem Chorraum ist schwierig und sehr anspruchsvoll, aber die Technik ist bekannt, wie solche Probleme gelöst werden können – ich bin da ganz zuversichtlich.“  Was Steinmetze sich wünschen? Rohrberg: „Unfallfreies Arbeiten.“

Wie es ihm so gehe, nach drei Jahrzehnten als Dombaumeister, jetzt am Ende des letzten offiziellen Aktes? Der Schwabe muss nicht lange überlegen: „Ich bin ganz glücklich“, antwortet Jürgen Prigl: „Ich begleite das alles weiter auf Bitte des Ministerpräsidenten, als zweiter Vorsitzender des Dombauvereins und mit einem Mandat im Kuratorium – das wird schon werden. Dem Werk das Beste, sage ich immer: Dem Werk das Beste!“

Dombaumeister Jürgen Prigl hat Ministerin Ina Scharrenbach und Bürgermeister Dr. Eckhard Ruthemeyer den Inhalt des Grundsteins genau erklärt.

Die Formation „Möhne Brass“ mit Tobias Zastera (Posaune), Christian Kauba (Posaune), Julian Knop (Trompete), Konstantin Sümmermann (Trompete) und Martin Irmer (Horn). Fotos: Thomas Brüggestraße