SOEST-ARNSBERG. Anfang Juni wird Dr. Manuel Schilling (52 Jahre) die Nachfolge von Dieter Tometten (65) als Superintendent des Kirchenkreises Soest-Arnsberg antreten. In einem Interview mit Öffentlichkeitsreferent Hans-Albert Limbrock äußert er sich zu seinen Erwartungen, warum für ihn der Kirchenkreis bei seinem Wunsch nach Veränderung erste Wahl war und wie er mit der Corona-Krise umgeht.
Als Sie im Januar gewählt wurden, war Corona maximal eine kleine Notiz bei den „Nachrichten aus aller Welt“. Heute beherrscht das Virus die weltweiten Schlagzeilen. Inwieweit beeinflusst die Pandemie ihren Start im neuen Kirchenkreis?
Dr. Manuel Schilling: Nun, fast alles: die große gemeinsame Feier des Abschiedes von Dieter Tometten und meiner Begrüßung im Kirchenkreis fällt ins Wasser. Die Hälfte der Belegschaft im Kreiskirchenamt arbeitet zuhause. Die Kreissynode im Juni wird auf September verschoben. Viele geplante Besuche sind nicht möglich. Das gesamte kirchliche Leben kann in der gewohnten Form nicht weitergeführt werden. In welche neuen Formen wir das gießen sollen, wie dauerhaft das Provisorium sein muss, wie weit es in die Zukunft trägt – alles offene Fragen. Menschen stellen an mich als Repräsentanten der Evangelischen Kirche vor Ort diese Fragen. Das tun sie zu Recht. Sie sollen aber bloß nicht meinen, ich hätte darauf die Antworten. Schließlich schwebt als ein Damoklesschwert die Finanzprognose, dass im nächsten Jahr die Kirchensteuereinnahmen gewaltig einbrechen werden. Das belastet schon sehr.
Die Corona-Krise hat in den letzten Monaten weite Teile der Gesellschaft maßgeblich beeinflusst – auch die Kirche. Denken Sie, dass solch eine umfassende Krise auch eine Chance für die Kirche sein kann?
Absolut. Es ist doch phantastisch zu sehen, wie kreativ wir überall auf die Herausforderungen der Zeit reagiert haben. Überall sprießen neue Initiativen aus dem Boden, dem Virus ein Schnippchen zu schlagen. Diese Initiativen sprengen unsere gewohnten kirchlichen Verhaltensmuster, und das in zwei entgegengesetzte Richtungen. Auf der einen Seite entgrenzen wir mittels der neuen Kommunikationstechnologien unsere Formen der Verkündigung und Selbstorganisation.
Was meinen Sie damit?
Wir halten Internetgottesdienste, drehen biblische Videoclips oder Podcasts. Wir sehen uns auf kleinen Kacheln im Bildschirm, wenn wir Sitzungen haben. Das sind enorme technologische Schritte in ein neues Feld, das wir sonst nicht so rasch betreten hätten, aus Bequemlichkeit oder Angst. Und auf der anderen Seite entdecken wir wieder das Analoge, die Dimension der Leiblichkeit. Da hängen Pfarrer ihre Predigt an die verschlossene Kirchentür, und Gemeindeglieder nehmen sie mit, für sich selbst, oder den Nachbarn, der das Haus nicht verlassen kann. Da halten Gemeinden Gottesdienste vor den Fenstern und Balkonen des Seniorenheimes.
Also hat die Kirche die Krise also Chance begriffen?
Ja, zumindest zum Teil. Der Heilige Geist ist eben doch noch gewitzter als die Epidemie. Und schließlich: ich nehme in unserer Kirche eine enorme Solidarität über die jeweiligen Berufsgruppen und Interessenverbände hinweg wahr. Wir sitzen derzeit alle im selben Boot. Dieser Geist weht in einem „kleinen“ Presbyterium wie in der „großen“ Superintendentenkonferenz mit der Präses. In gewisser Weise habe ich den Eindruck, wir alle haben Teil an einem großen Experiment. Unter dieser Prämisse haben mein Vorgänger Dieter Tometten und ich eine neue digital-physisch-interaktiv-experimentelle Form der Feier für den 5. Juni gefunden, auf die ich mich diebisch freue. Sie alle können im Netz dabei sein. Lassen Sie sich überraschen.
Haben Sie in den vergangenen Wochen Sorgen um die eigene Gesundheit oder die Ihrer Familie gehabt?
Glücklicherweise nicht. Unser ältester Sohn ist heil aus Berlin zurück im beschaulichen Minden. Meine alten Eltern passen gut auf sich auf. Vielleicht lässt mich das auch so positiv reden.
Auf Ebene der Landeskirche werden in diesem Jahr zwölf Superintendenten oder Superintendentinnen gewählt. Warum haben Sie sich gerade für Soest-Arnsberg entschieden? Das liegt an meiner eigenen Geschichte. Ich bin in Herford aufgewachsen und habe die letzten acht Jahre in Minden gelebt. Herford und Minden beide in vielfacher Hinsicht die historischen Schwesterstädte von Soest: in Bezug auf die Stadtgeschichte, die Reformation, die Größe, die Mentalität. Alle diese gemeinsamen religiösen und kulturellen Voraussetzungen – das spricht mich an.
Also keine Angst vor der großen Tradition vieler Kirchengemeinden? Ganz im Gegenteil. Ich freue mich darauf, den Dialog der Tradition mit den Menschen von heute mitgestalten zu können.
Kannsten Sie den Kirchenkreis vorher schon?
Ja, in der Tat. Als Tourist bin ich mehrfach in Soest gewesen. Ich kann mich sogar noch gut an meinen ersten Besuch erinnern. Damals habe ich als 16-Jähriger meinen Vater, der Pfarrer in Herford war, zum Westfälischen Kirchenmusikertag nach Soest begleitet. Da sind wir vier Tage lang jeden Tag von Herford nach Soest und wieder zurück gefahren. Die Petrikirche ist mir damals noch gut in Erinnerung geblieben und ich habe Soest als eine wunderschöne Stadt erlebt.
Wie kam es zur Kandidatur? Passten Stelle und Zeitpunkt jetzt einfach perfekt zueinander?
So kann man das vielleicht sehen. Ich bin bereits seit einigen Jahren Pfarrer in Minden und habe in der letzten Zeit immer häufiger an Leitungsprozessen über die Kirchengemeinde hinaus mitgewirkt. Zudem ist der Wunsch nach Veränderung immer stärker geworden. So habe ich mich deshalb seit einiger Zeit umgesehen, welche Kirchenkreise passen könnten. Da war Soest-Arnsberg dann einfach erste Wahl.
Bei der Wahlsynode im Januar in Meschede waren viele über ihre großen Detailkenntnisse überrascht, was den Kirchenkreis angeht. Wo oder wie haben sie sich informiert?
Als feststand, dass ich mich bewerben würde, habe ich viel im Internet recherchiert, Nachrichten aus den verschiedenen Kirchengemeinden gelesen und mit verschiedenen Menschen gesprochen. Das war sehr spannend.
Zu Ihrer Familie gehören neben Ihrer Frau Béatrice auch fünf Kinder. Musste Sie da viel Überzeugungsarbeiten leisten?
Oh ja. Das war sehr intensiv und zum Teil auch kontrovers. Unsere beiden ältesten Kinder sind bereits aus dem Haus und studieren. Ein weiterer Sohn macht gerade Abitur und wird dann auch studieren. Bleiben noch zwei Kinder, die überzeugt werden mussten.
Und das ist gelungen?
(schmunzelt) Es war ein harter Weg, aber schließlich ziehen die beiden Mädels mit.
Wie würden Sie sich selbst mit wenigen Worten beschreiben?
Ich bin vielleicht so etwas wie ein Paradiesvogel; manche sagen vielleicht auch komischer Vogel. Das hat einige bei meiner Vorstellung sicher auch ein wenig verblüfft. Aber dann haben sie gemerkt, dass ich etwas zu sagen habe. Ich versuche, immer authentisch zu sein; mich nicht zu verstellen. Ich bin sicherlich auch jemand, der nicht immer nur nach dem einfachsten und bequemsten Weg sucht. Schließlich halte ich mich für einen absoluten Teamspieler. Das habe ich von klein auf gelernt, war ja immerhin der jüngste von vier Söhnen.
Gemeinsam mit dem Wickeder Pfarrer Dr. Christian Klein (Mitte) hat sich Dr. Schilling auf der Wahlsynode dem Votum der Synodalen gestellt, rechts: Ulf Schlüter, Vizepräsident der Landeskirche. Fotos: Hans-Albert Limbrock
War nach seinem deutlichen Wahlsieg selbst ein wenig überrascht: Dr. Manuel Schilling. Foto: Volker Kluft
Dr. Manuel Schilling und Ehefrau Béatrice Potier de Courcy freuen sich schon auf die neuen Aufgaben im Kirchenkreis Soest-Arnsberg.
Wie stellen Sie sich Ihren Start in Soest vor? Mein Anspruch ist es, möglichst schnell die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kirchenkreises und des Kreiskirchenamtes kennenzulernen und alle Gemeinden zu besuchen; praktisch ein Ritt durchs Land. Und dann möchte ich möglichst viele Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und anderen wichtigen Bereichen treffen.
In Zeiten von Corona ist das nicht unbedingt einfach. Haben Sie schon Ideen, damit diese Begegnungen stattfinden können?
Das müssen wir von Termin zu Termin sehen. Für ein Seniorenheim oder das Gefängnis in Werl gelten andere Regeln als für das Büro des Bürgermeisters. Was heute unmöglich war, wird morgen erlaubt sein, oder aber – das verhüte Gott – vielleicht leider wieder nicht. Ich versuche, gelassen zu bleiben.
Worauf freuen Sie sich in Ihrer neuen Tätigkeit am meisten?
Dass ich so viele sehr unterschiedliche Menschen kennenlernen werde. Menschen, die in Städten und Dörfern, in der Weite der Soester Börde oder in den Hügeln des Sauerlandes leben. Das wird eine spannende Entdeckungsreise kirchlichen Lebens.
Wovor haben Sie den meisten Respekt, vielleicht sogar Angst?
Angst und Furcht sind schlechte Berater. Aber es macht mir schon Sorgen, dass sich die Rahmenbedingungen für uns als Kirche weiter verschlechtern könnten; dass die prognostizierten Veränderungen bei den Mitgliederzahlen zu einer Lähmung führen und den notwendigen Diskurs, welche Prioritäten wir setzen müssen, vergiften können.
Dass bedeutet: Sie sorgen sich um die schwindende Bedeutung von Kirche?
Nein, so kann man das nicht sagen. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass Kirche, so klein sie auch werden mag, für das gesellschaftliche Zusammenleben enorm wichtig bleibt, etwas unverwechselbar Wichtiges zu vermitteln hat und weiterhin viel Gutes bewirken kann. Wir sollten uns deshalb auch in Zukunft von der Freude des Evangeliums und nicht von der Angst regieren lassen.
Letzte Frage: Womit beschäftigen Sie sich außerhalb der Arbeit am liebsten?
Ich lese sehr gerne und viel, liebe Gedichte und singe gerne im Chor. Ich spiele und gucke gerne Fußball und genieße Gespräche bei eine Glas guten Weines