Holzwurm ist Feind der Jahrhunderte

Erstellt am 09.06.2020

Von Thomas Brüggestraße

SOEST - Ob er sich gelangweilt hat - bei was auch immer -, der Andreas Schüerhoff – damals, am 20. Februar 1779? Ein Samstag war’s, und er wird oben links auf der Empore, auf dem „Priechen“ gesessen haben in der Paulikirche. Ein Messer zum Ritzen wird er dabeigehabt haben oder etwas anderes Spitzes. Und Zeit wird er gehabt haben, bis er sich in dem Holz der Brüstung verewigt hatte in Großbuchstaben, mit seinem vollständigen Namen, sogar mit Ort und Datum. Wobei dem B bei Februar ein Bogen fehlt und es wie ein P ausschaut.

Ob der Diederich nebendran im Holz nun auch ein „Schüerhof“ ist, vielleicht sogar der gleiche – oder aber einer der Vornamen vom Florens Nierhoff, der offensichtlich 1783 in der Paulikirche zu Besuch war und ebenfalls am Holze kratzte? Ein gewisser Kracke war 1779 da, ein Carl Kramer hat sich ebenfalls mühevoll eingeritzt, genau wie ein Wilhelm Rehbein.

„Das sind schon ganz besondere Zeit-Zeugnisse“, das sagen Restauratorin Monika Voss-Raker aus Werl und ihre Mitarbeiterin Andrea Peter. „Die genauen Hintergründe kennen wir nicht.“ Die Holzwürmer auch nicht, die seither am Holz gefressen haben und deretwegen die Restauratorinnen jetzt über mehrere Wochen verteilt wieder einmal in der Paulikirche waren: Eine Wärmebehandlung soll alle Käfer und ihre Larven abtöten, das Holz bei beiden Emporen muss nachgearbeitet oder passend verfüllt werden, Malschichten sollen verfestigt werden.

Hier und da muss sogar ein Schreiner ran und etwas nachbauen. „Wo wir können, erhalten wir die originalen Teile“, so erklärt Monika Voss-Raker beim Besuch die vorsichtige Arbeit. Eine große Kiste voll mit Pinseln und allerlei Pulvern und Pasten hat sie mit aufs rollende Gerüst genommen, das jetzt auf der steinernen Grabplatte des Kaufmanns Johann Theodor Rocholl und seiner Frau Sophia Elisabeth Mönnich steht.

Viel Feingefühl brauche es, erklären beide Restauratorinnen – und dazu reichlich Fachkenntnis über alles Material, über Farben und schützende Überzüge, über den jeweiligen Kunststil der Zeit, über Besonderheiten der Handwerkskunst.

Voss-Raker: „Manchmal bleibt eine dünne Farbschicht stehen, wenn der Holzwurm sich sattgefressen hat. Das sieht von weitem dann alles tiptop aus – aber wehe, man berührt so eine Stelle, dann bröselt einem nur noch Mehl entgegen.“ Durchs weiche Holz frisst sich der Käfer am liebsten, aber auch harte Treppenstufen verschmäht er nicht: Eine musste dieses Mal ersetzt werden. Voss-Raker: „Arbeit für den Schreiner“.

Wozu dienten die „Priechen“, die um 1600 errichtet wurden, überhaupt? Pfarrer Bernd-Heiner Röger hat es der Tageszeitung so beschrieben: „Ein Priechen bot den Adeligen und höheren Ständen einen abgesonderten, einen erhöhten Sitzplatz.“ Der Pfarrer vermutet, dass vom Altar aus gesehen die rechte Empore den Frauen, die linke zunächst nur den Frauen vorbehalten war.

Absolut erhaltenswert

„Die Priechen sind erhaltenswert“, sagt Monika Voss-Raker: „In dieser Anordnung sind sie einzigartig in der Region.“

Verbunden mit den inzwischen abgeschlossenen Arbeiten an den „Priechen“ war eine generelle „konservatorische Durchsicht“, wie Monika Voss-Raker es beschreibt, alles abgestimmt mit dem Denkmalamt: Ein gotisches Kruzifix in einer Nische wurde dabei überarbeitet, ebenso die Zwölf-Apostel-Darstellung im Chorraum – eine wertvolle gotische Tafel-Malerei. Der Staubsauger kam auch noch zum Einsatz am Tag unseres Besuchs: Die Figuren im Chorraum sollten noch vorsichtig von Staub befreit werden.

Ein ebenfalls schon historischer Holztisch unter einer der Priechen wurde ebenfalls überarbeitet – und vorher wurde zwangsgeräumt: Beim Stickstoffverfahren wird der Tisch luftdicht eingeschweißt und begast. „Dann kann man sehen, wie die Käfer aus dem Holz flüchten, wie stark der Befall war“, erzählen die Restauratorinnen. „Das sind schon einige, die sich da vergeblich retten wollen…“

 

Gemeinsam mit Mitarbeiterin Andrea Peter hat sich Restauratorin Monika Voss-Raker in den vergangenen Wochen den historischen Priechen in der Paulikirche gewidmet. Fotos: Thomas Brüggestraße

Dafür braucht man keine Lupe: Der gefräßige Holzwurm hat seine Spuren hinterlassen.

Heute nennt man so etwas Graffiti. Die Einkerbungen sind einige Hundert Jahre alt.

Die gefüllte Werkzeugkiste lässt erahnen, wie aufwändig die Arbeiten sind.