Sensation unter Putzschicht

Erstellt am 10.07.2020

Von Hans-Albert Limbrock

NEUENGESEKE – „Unter dem Pflaster liegt der Strand“. Das war mal in den siebziger Jahren ein Klassiker unter den Studentensprüchen. Leicht abgewandelt könnte der Spruch für Heike Wehner lauten: „Unter dem Putz liegt die Sensation“. Denn bei der Restaurierung eines Gewölbebogens in der Evangelischen Kirche in Neuengeseke hat die Diplom-Restauratorin unter mehrlagiger Putzschicht Erstaunliches zutage gefördert. So erstaunlich, dass sie es selbst als „sensationell“ bezeichnet.

„Das ist ornamentale Malerei, die aus der ersten Bauphase stammen dürfte“, schwärmt die Fachfrau von der Firma Ars Colendi. Die Paderborner sind auf die Restaurierung von Kirchen, Schlössern, Burgen und historischen Häusern spezialisiert. „Ein solcher Fund wie in Neuengeseke“, so Wehner, „ist auch für uns nicht alltäglich.“

Immerhin dürften die Malereien, die noch erstaunlich gut erhalten und in ihrer farblichen wie geometrischen Struktur gut zu erkennen sind, fast 870 Jahre alt sein. Bereits in den siebziger Jahren hat es Restaurierungsarbeiten im Neuengeseker Gotteshaus gegeben. Wehner: „Damals sind die Ornamente aber wohl übersehen worden.“

Mindestens zehn Schichten Kalkanstrich hat die Restauratorin abgetragen, ehe sie für ihre Hartnäckigkeit und ihr Fingerspitzengefühl belohnt wurde. Es handelt sich um typische romanische Malerei, die direkt in den noch frischen Putz aufgebracht wurde.

Nach Einschätzung von Heike Wehner handelt es sich dabei um ein Unikat – vor allem was das Motiv angeht: „Die angewandte Maltechnik finden wir in vielen Kirchen der Region. Neu ist das Motiv. In der Regel sind rankenförmige Musterungen gemalt worden. Dieses hier sind kleine Quadrate mit Sternchen. Ich bin wirklich sehr beeindruckt.“

Die Arbeit von Ars Colendi, die bereits eine Vielzahl von Kirchen in der Soester Börde (Wehner: „Der Reichtum an historischen Kirchen in dieser Region ist einzigartig“) restauriert haben, ist Teil der Gesamt-Restaurierung, der die Kirche in Neuengeseke gerade unterzogen wird.

Bereits im März wurde mit den umfangreichen Arbeiten begonnen. Da wegen Corona keine Gottesdienste mehr gefeiert werden konnten, wurden einige Arbeiten vorgezogen. Inzwischen ist die Kirche komplett ausgeräumt, sodass die Handwerker freie Bahn haben. Meterhohe Gerüste stehen wie stählerne Skelette in der Kirche, damit Restauratorin Wehner und ihre Kollegen freie Bahn haben.

Parallel wird bereits an der Erneuerung der Elektrik gearbeitet. Auch die ist in die Jahre gekommen und musste dringend den aktuellen Anforderungen angepasst werden. In einem nächsten Schritt werden dann noch neue Beleuchtungs- und Beschallungskonzepte installiert. „Das alles“, so Dirk Pieper, Architekt des Evangelischen Kirchenkreises Soest-Arnsberg, „wird dafür sorgen, dass die Kirche und ihr Innenraum ganz anders wahrgenommen werden.“

Bereits am 20. Juli, so der aktuelle Stand der Planung werden die Gerüste aus der Kirche entfernt. Noch vor der Adventszeit wird dann vermutlich wieder Gottesdienst in der neuen, alten Kirche gefeiert werden können.

Die Kosten für das gesamte Projekt belaufen sich auf 305.000 Euro. Davon kommen vom Bund aus dem Denkmalpflege-Sonderprogramm 114.00 Euro. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) beteiligt sich mit 75.000 Euro, sodass die Kirchengemeinde mit Unterstützung des Fördervereins einen stattlichen Eigenanteil in Höhe von 116.000 Euro wird aufbringen müssen.

In dieser Auflistung sind allerdings noch nicht die Kosten für die Orgel enthalten. Auch die wurde ausgebaut und vom Orgelsachverständigen der Landeskirche, Dr. Hans Christian Tacke, begutachtet. Der Aufwand, die Orgel zu sanieren, scheint zu hoch. Hier werden Kosten von 40.000 Euro und mehr veranschlagt. Die Kirchengemeinde denkt daher über eine Neuanschaffung nach, auch wenn die Kosten dafür den Reparaturansatz noch einmal deutlich übersteigen.

 

 

Restauratorin Heike Wehner hat die ornamentale Malerei unter einer mehrlagigen Putzschicht in einem Gewölbebogen entdeckt und freigelegt. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Steinmetz Heinz Wollenweber ist für die Putzarbeiten verantwortlich.

Wie stählerne Skelette dominieren die Gerüste aktuell den Kirchenraum.