Die Frau, die am Rad dreht

Erstellt am 13.07.2020

Von Hans-Albert Limbrock

LIPPSTADT – Manchmal braucht es einschneidende Erlebnisse, um dem Leben noch einmal eine andere Richtung zu geben. Eine Richtung, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Barbara Berger kennt ein solches Erlebnis. Vor drei Jahren ist ihre Mutter, die sie zuvor über viele Jahre gepflegt hat, gestorben. „Da bin ich zunächst einmal in ein tiefes Loch gefallen“, bekennt die Lippstädterin. Doch gleichzeitig war dies der Anfang für eine wunderbare Idee, mit der sie nun viele Menschen glücklich macht: Drehmomente. „Ich habe fast 1000 Stunden an dieser Idee gefeilt“, erzählt sie.

Auslöser war ein Bericht über „Radfahren ohne Alter“. In Dänemark gibt es eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, Fahrräder zu bauen, mit denen auch ältere und behinderte Menschen, die selbst nicht mehr Radfahren können, mühelos transportiert werden können. Intensiv hat Berger über „Christiania Bikes“ recherchiert und ziemlich schnell festgestellt, dass das genau das ist, was sie sucht und machen möchte.

Mit einem Teil ihres Erbes hat sie für 8000 Euro ein erstes Transportrad angeschafft. Die Passagiere, wie sie ihre Fahrgäste nennt, sitzen dabei vorne vor dem Fahrer – ganz so wie in einer Rikscha, die vor allem im asiatischen und arabischen Raum zuhause sind.

Doch mit dem Kauf eines solchen Rades war zwar ein Mut machender Anfang gemacht. Mehr aber noch nicht. Denn nun galt es noch, eine Menge bürokratischer Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Zunächst einmal wurde ein Verein mit entsprechender Satzung gegründet. „Das wollte ich eigentlich gar nicht“, erzählt Barbara Berger. Aber um gemeinnützig zu sein, braucht es einen Verein. Und Gemeinnützigkeit wiederum ist nötig, um Spenden generieren und Spendenquittungen ausstellen zu können.

Berger: „Das gesamte Projekt finanziert sich ausschließlich aus Spenden.“ Inzwischen ist der Verein auf dreißig Mitglieder angewachsen, hat zehn „Piloten“  und drei Rikschas. „So können  wir schon recht vielen Menschen schöne Drehmomente anbieten“, freut sich Berger, dass der Verein in vergleichsweiser kurzer Zeit deutlich gewachsen ist.

„Wir haben den Nerv der Zeit getroffen“, ist die Initiatorin zuversichtlich, dass Drehmomente „weiterhin am Rad drehen“ wird. Zwar hat Corona in den vergangenen Wochen auch hier für Einbußen gesorgt, aber Berger ist überzeugt, dass ihr Angebot schon bald wieder deutlich stärker nachgefragt wird: „Jeder, der mit uns fährt, ist begeistert. Das liegt auch daran, dass die Piloten alle mit Herzblut dabei sind und den Passagieren wirklich schöne Erlebnisse garantieren.“

Die geniale Konstruktion der dänischen Fahrradkonstrukteure sorgt dafür, dass die Rikschas von den Piloten mit nur geringer Kraftanstrengung bewegt werden können. Auch weitere Strecken sind so kein Problem. Die Geschwindigkeit ist eher in der Kategorie „gemächlich“ einzuordnen. „Für Raser ist das nix“, beschreibt Berger diese Entdeckung der rollenden Langsamkeit. Für sie steht an erster Stelle, dass damit Menschen die Möglichkeit bekommen, an Bereichen des Lebens teilzunehmen, die ihnen sonst oft verschlossen bleiben.

Aber „Drehmomente“ sieht sich nicht nur als Dienstleister für diese Gruppen. „Mit uns“, so Berger, „kann jeder fahren.“ So zum Beispiel das amtierende Lippstädter Königspaar oder der Mann, der nach einer Untersuchung beim Arzt, kein Taxi bekommen konnte. Wenn dann am Ende der Tour noch eine kleine (oder große) Spende gezahlt wird, hilft das, die laufenden Kosten des Vereins – vor allem Reparaturen und Versicherungen – zu begleichen.

Inzwischen sind auch andere Städte auf die Rikscha-Idee aus Lippstadt aufmerksam geworden. In Arnsberg steht man ebenso wie in der benachbarten Kreisstadt Soest kurz vor der Gründung eines eigenen „Drehmomente-Vereins“. In beiden Fällen hat Barbara Berger ihr Knowhow zur Verfügung gestellt. „So entsteht ein Netzwerk in der Region.“ Auch bei der Schulung der Piloten, die etwa drei bis vier Stunden umfasst,  wird sie zur Seite stehen. „Man muss das Rad ja bekanntlich nicht neu erfinden“, bleibt sie im Sprachgebrauch und freut sich, dass eine Idee, die in der Zeit großer Trauer und Traurigkeit entstanden ist, auch in anderen Städten pure Lebensqualität bringt.  

Wer sich für die Idee interessiert oder eine Tour buchen will, kann Barbara Berger direkt erreichen unter: 0172/5333327.

 

Daumen hoch für eine tolle Idee: In Lippstadt gehört Barbara Berger mit ihrer Fahrrad-Rikscha inzwischen zum Stadtbild. Foto: Hans-Albert Limbrock

Da der Schützen-Umzug wegen der Corona-Pandemie in Lippstadt ausfallen musste, hat sich das amtierende Königspaar in der Rikscha kutschieren lassen.