Flüchtlingshilfe mit viel Ausdauer

Erstellt am 15.01.2021

 

Von Frank Albrecht

ARNSBERG/BRUMLINGSEN - In diesen Tagen ist Shiyar Mousa aus Syrien stets in Arbeitskleidung unterwegs: Der Auszubildende zum Heizungs-, Sanitär- und Klimatechniker kümmert sich in Arnsberg darum, dass die Menschen es wieder warm haben, wenn die Heizung streikt. Für den heute 27-jährigen Familienvater eine scheinbar normale Situation, die von Unterstützung durch Mitmenschen und dem eigenen Ehrgeiz geprägt ist. Nach gut drei Jahren in der Ausbildung soll schon bald Schluss sein: Shiyar Mousa hat die theoretische Prüfung bereits absolviert, noch fehlen die praktische und die mündliche. Sorgen macht ihm gerade die nicht – sein Deutsch ist schon sehr perfekt.

Ingrid und Dietrich Thomsen aus Arnsberg-Brumlingsen sind froh und zufrieden mit der Entwicklung ihres „Zöglings“ aus einem anderen Kulturkreis. So möchte das Rentner-Ehepaar am Stadtrand von Arnsberg das Verhältnis sehen, gab es doch in den letzten fast fünf Jahren viele Begegnungen und Fortschritte. „Wir haben uns gleich 2015 in Oeventrop in die Hilfsangebote für Flüchtlinge eingebracht“, erinnern sich Ingrid und Dietrich Thomsen.

Der Kontakt zur Familie Mousa wurde zunächst jedoch etwas argwöhnisch beäugt. „In der Unterkunft lernte ich eine schwangere Frau aus Syrien kennen“, erzählt Ingrid Thomsen, als gelernte Krankengymnastin wollte sie der jungen Mutter bei ihren heftigen Rückenschmerzen helfen. Ein Mann aus Syrien, der sich das zunächst noch etwas skeptisch anschaute, war der Ehemann – Shiyar Mousa.

2015 – da hatten Shiyar Mousa und seine Frau Rokhash schon eine Tortur. Über München und Dortmund waren sie auf ihrer Flucht aus Syrien in Oeventrop gelandet und dem Ehepaar Thomsen „in die Hände gefallen“. „Ich war beim ersten Kontakt noch skeptisch und irritiert“, sagt Shiyar heute mit einem Zwinkern in den Augen. In seinem Kulturkreis sei es nicht üblich, dass andere Menschen seine Frau betrachten oder gar berühren. Beides hatte Ingrid Thomsen getan, und so haben sich die Familien dann in Oeventrop kennen gelernt.

An rund 180 Helferinnen und Helfer kann sich Dietrich Thomsen in der Oeventroper Flüchtlingshilfe noch erinnern. Selbst heute, nach fast fünf Jahren, gebe es außer ihnen beiden immer noch einige, die sich für die Menschen aus fernen Ländern engagieren.

Im Falle der Familie Mousa sind alle Unterstützungsangebote angekommen und haben Früchte getragen. Der Weg dahin führte über viele Treffen und Verabredungen zum Kaffee oder Tee. Schnell hatten die Thomsens die beiden und ihre inzwischen zwei Kinder als Paten angenommen. Jan und Rudi sind den Senioren schon ans Herz gewachsen – auch wenn die Corona-Pandemie der letzten Monate das Wiedersehen vor große Herausforderungen gestellt hat.

Die restliche Geschichte ist wie die aus einem Bilderbuch: Dietrich Thomsen, ehemaliger Kraftwerksleiter bei der Arnsberger Zellstoff hat zusammen mit seiner Frau geholfen, dass Shiyar den Einstieg in das Berufsleben in Deutschland findet. Nach zwei Monaten Praktikum bei der Firma Rohe Haustechnik konnte es dort im August 2018 mit der Ausbildung los gehen.

 

„Ich möchte diese Erfahrung nicht missen!“

(Ingrid Thomsen, Patin für Flüchtlinge)

 

Heute zeigt Shiyar Mousa als Handwerker und Familienvater alles, was sich die Thomsens von Anfang an für die jungen Syrer gewünscht hatten: Zielstrebig wurde die deutsche Sprache erlernt und das Wissen für die Beruf angeeignet. Dass das so reibungslos verlaufen ist, verdankte die syrische Familie der Unterstützung von Ingrid und Dietmar Thomsen – und weiteren Helfern.

So gab es schon nach der Geburt des ersten Sohnes eine Wohnung für die junge Familie, und die Mutter konnte vom Krankenhaus aus gleich in die eigenen vier Wände entlassen werden. Briefe von Behörden und dem Jobcenter wurden gemeinsam gelesen und beantwortet. Selbst für die Wohnungseinrichtung hat das Ehepaar Thomsen alle Hebel in Bewegung gesetzt. „Wir konnten dazu die Oeventroper Möbelbörse im Internet nutzen oder sind mit einem Anhänger im ganzen Ruhrgebiet auf die Suche gegangen“, lacht Dietrich Thomsen. Der Einsatz hat sich gelohnt, die Ausdauer der Eheleute ist beispielhaft.

„Für uns sollte eine Patenschaft nicht mit der Suche nach einer Wohnung beendet sein“, sagt Thomsen. Man sei sehr sozial engagiert. „Wir wollen Paten bleiben, solange wir leben“, sagen die 77-Jährige und der 81-Jährige aus Brumlingsen entschlossen. Freiwillig wolle man die syrische Familie jetzt nicht mehr hergeben, heißt es aus dem Mund der beiden weiter.

Und weil es mit dem Abspeichern der Telefonnummer der Thomsens wegen des Namens noch nicht so klappte, freuen sich immer noch alle, dass der Kontakt jetzt unter „Opa“ im Handy zu finden ist. Etwas traurig sind alle, dass man die „Enkel“ jetzt nur an der Arnsberger Wohnung aus einem Fenster winken sieht. Aber die Hoffnung auf das kommende Jahr stirbt bekanntlich zuletzt.

Shiyar Mousa, heute 27 Jahren alt, kam 2015 nach Deutschland und kann in den nächsten Wochen eine Ausbildung zum Heizungs-, Sanitär- und Klimatechniker bei der Arnsberger Firma Rohe abschließen.

Ingrid und Dietrich Thomes aus Arnsberg-Brumlingsen freuen sich stets über einen Besuch von Shiyar Mousa, auch wenn die Zeit für den Handwerker mittlerweile stets knapp ist. Fotos: Frank Albrecht

Infobox:

Der Zusammenhalt bei der Unterstützung von Flüchtlingen in Oeventrop hat stadtweit viel Bewunderung erfahren

Dietrich Thomsen bringt sich mit seinen handwerklichen Fähigkeiten auch im so genannten Repair-Café der Diakonie in Arnsberg ein

An der Unterstützung der syrischen Familie Mousa beteiligen sich auch immer wieder die Söhne des Ehepaares Thomsen

Wenn die Gesellenprüfung für Shiyar Mousa weiter so gut läuft, freut sich der Azubi auf die Feier zur Freisprechung.