Der Tanz auf dem Vulkan

Erstellt am 28.05.2021

Seit einem Jahr im Amt als Superintendent für den Kirchenkreis Soest-Arnsberg: Dr. Manuel Schilling. Foto: Hans-Albert Limbrock

SOEST/ARNSBERG – Im zweiten Teil des Interviews mit Öffentlichkeitsreferent Hans-Albert Limbrock antwortet Superintendent Dr. Manuel Schilling unter anderem auf die Fragen, was ihm Sorgen bereitet und welche Enttäuschungen es im ersten Jahr gegeben hat.

Auch ohne die Pandemie steht die Kirche vor großen Aufgaben. Welche ist für Sie in Ihrer Funktion als Superintendent dieses großen Kirchenkreises die größte Herausforderung der kommenden fünf Jahre?

Wir werden kleiner, das sagen uns ziemlich verlässliche Prognosen. Das müssen wir ernst nehmen, das müssen wir solide steuern. Weniger PfarrerInnen, weniger Gemeindeglieder und weniger Geld – all das muss vernünftig aufeinander bezogen werden, um keine bösen Überraschungen zu erleben. Und gleichzeitig dürfen wir den Traum nicht aufgeben, dass wir die „Botschaft von der freien Gnade Gottes an alles Volk“ (Barmen 5) weitersagen sollen. Wenn wir uns mit unserer eigenen drohenden Bedeutungslosigkeit abfinden, sind wir jetzt schon tot. Der Heilige Geist ist kein Skeptiker, hat Luther einmal gesagt. Wohl wahr. Schließlich ist aber wichtig, dass uns dieser spannende Spagat nicht zerreißt, dass wir nicht versuchen, verzweifelt gegen den Megatrend durch eigene Hyperaktivität die Kirche aufzupumpen und unsere eigene Wirkmächtigkeit zu überdehnen. Das wäre der direkte Weg in den kollektiven oder individuellen Burnout. Ich habe keine Lust, meine sowieso schon gebeutelten Pfarrerinnen und Pfarrer mit solchen Phantasien zu überfordern.

Was bereitet Ihnen zunehmend Sorge?

Es ist dieses absurde Lebensgefühl des Tanzes auf dem Vulkan. Keine Generation vor uns hatte materiell und gesellschaftlich so günstige Voraussetzungen – wir könnten doch aus der Erde ein Paradies machen, wir Menschen müssten nur lernen, die Reichtümer der Erde gerecht zu verteilen. Und die Kirche hatte noch nie soviel Freiheit und Gelegenheit, den Menschen Gottes Botschaft weiterzugeben. Aber keine Generation bedroht so uneinsichtig den Fortbestand der menschlichen Zivilisation und des ökologischen Gleichgewichtes. Und die Kirche schafft es nicht, nachhaltig gegen diesen Trend zu steuern. Um ein anderes Bild als das des Vulkans zu nehmen: Ich komme mir vor, wie der Reiter über den Bodensee, nur mit dem Unterschied, dass ich weiß, auf welchem dünnem Eis ich reite, und dass ich befürchten muss einzubrechen, bevor ich das rettende Ufer erreiche. Und ich bin nicht allein, sondern ein ganzer Kirchenkreis ist mir anvertraut.

Hat es in Ihrer Funktion als Superintendent schon erste Enttäuschungen gegeben – und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Manchmal gibt es Stress mit dem Landeskirchenamt und der Kirchenleitung. Da habe ich manche politische Entscheidung oder behördliche Anordnung nicht ganz nachvollzogen. Das kommt vor und liegt nicht an den Menschen in Bielefeld. Die sind gut und geben ihr Bestes, wie wir hier vor Ort auch. Ich möchte derzeit nicht die Präses oder Landeskirchenrat sein. Umgekehrt habe ich selbst schon einige Menschen enttäuschen müssen, habe sie lange warten lassen, habe bei Problemen keine Lösung gefunden, habe einfach Druck weitergereicht, oder habe auch eine Zusage nicht gehalten. Das tut mir leid und beschämt mich.

Ein normaler Acht-Stunden-Bürotag ist für Sie eher die Ausnahme. Sind Sie überrascht von Komplexität und Intensität Ihrer Aufgaben?

Ja, und jeden Tag mehr. Nach einem Jahr ist mir jetzt klar: ich werde die jetzige Arbeitsleistung und Organisation so nicht durchhalten. Das merke ich an ganz einfachen Dingen. Als Gemeindepfarrer fuhr ich jeden Tag meine halbe Stunde bis Stunde auf dem Fahrrad durch die Gemeinde zu den Leuten. Jetzt geht es einmal zum Büro und zurück. Früher konnte ich mir reinhauen, was ich wollte, und blieb dünn. Jetzt habe ich in diesem Jahr mindestens ein Kilo zugenommen, obwohl ich versuche, weniger zu essen. Früher hatte ich nur bei offenem Streit Magendrücken, jetzt kommt das  öfters vor, spätestens Donnerstagabend nach einem langen Tag. Das soll sich ändern. Ändern soll sich nicht: ich will weiterhin den Menschen mit offenen Visier entgegentreten, ohne Pokerface. Ich möchte weiterhin versuchen, zuerst die Menschen zu verstehen, die Gott mir entgegensendet. Zugleich will ich klar Position beziehen, wenn es nötig ist, und wenn’s auch weh tun sollte. Daneben soll ich aber auch Garant für Ordnung sein und Sicherheit ausstrahlen. Oje, diese Bandbreite will ich weiter durchhalten. Allein, dass ich mich eben weiser organisiere, und manchmal weniger mache.

Wie und wo holen Sie sich die Kraft für Ihr verantwortungsvolles Amt?

Zuerst bei der Familie. Zum Beispiel schnippele ich auch gerne in der Küche mit unserer Tochter und höre derweil das Hörbuch „Harry Potter“, vom unsterblichen Rufus Beck gelesen. Oder ich helfe meiner Frau am Wochenende und im Garten. Umgraben und Unkraut jäten, herrlich. Zweimal pro Woche gehe ich in den Keller und spiele dort – damit mich niemand hört –  Cello. Und ich sitze jeden Morgen eine halbe Stunde, bevor das Haus aufwacht, vor der Ikone und bete. Ich glaube, das hilft am allermeisten.