Besuch auf dem Haus des Lebens

Erstellt am 25.03.2022

Gästeführungen bringen Interessierten Besonderheiten des jüdischen Friedhofes näher

Das Gräberfeld am Nottebohmweg gegenüber des Osthofenfriedhofs ist der neue jüdische Friedhof von 1833.

 

Von Thomas Brüggestraße

Soest. Viele fahren mit dem Auto oder Fahrrad tagtäglich daran vorbei, und selbst alle, die zu Fuß unterwegs sind, werden es nicht unbedingt wissen: Das Gräberfeld am Nottebohmweg gegenüber des Osthofenfriedhofs ist der neue jüdische Friedhof von 1833. Er ist heute in Obhut der Stadt in Kooperation mit der jüdischen Gemeinde in Dortmund.

Klassizismus, Historismus, Jugendstil und mehr: Die jüdischen Grabsteine mit ihren Beschriftungen in lateinischen und hebräischen Buchstaben, mit bildhaften Hinweisen auf religiöse Ämter, mit Verzierungen und einer Gestaltungssprache quer durch eine ganze Reihe von Stilepochen, sie zeugen vom steten Willen, sich anzupassen, Traditionen und konkrete Lebenswelt zu harmonisch Neuem zu verbinden. So erklärten es jetzt der katholische Theologe und Alttestamentler Jürgen Wilming-Gefeke und Gästeführer Dr. Günter Böcken.

Zwei Führungen boten die beiden Kundigen an am Weltgästeführertag. Böcken: „Wegen Corona haben wir die Teilnehmerzahl auf fünfzehn Personen begrenzt. Das Interesse war so groß, dass wir eine zweite mit angeboten haben und immer noch Führungen anbieten könnten – demnächst wieder.“

„Haus des Lebens“ nennen die Juden ihren Friedhof, und am liebsten ruhen sie so nahe wie möglich am Ölberg in Jerusalem, ganz in der Nähe des Tempelbergs, warten dort auf das Jüngste Gericht. Ruhen sie irgendwo sonst auf der Welt, dann bitte mit den Füßen gen Osten, ein Säckchen Erde aus Jerusalem unter dem Kopf. Auf jeden Fall schlicht und im Baumwolltuch statt im besten Kleid oder Anzug. So erläuterte es Wilming-Gefeke den Zuhörern, und dass auch Juden an die Unsterblichkeit der Seele und eine Auferstehung glauben.

Urnenbestattungen entsprächen nicht der Tradition, ebenso wenig sei Blumenschmuck oder Grabbepflanzung üblich: Ruhe und Würde soll sein, Gras und Efeu sollen wachsen über den Gräbern. Kleine Steine legt man als stillen Gruß auf Grabstein oder Grabplatte. Jede jüdische Gemeinde besitzt einen eigenen, verschlossenen und eingefriedeten Friedhof.

Der jüdische Friedhof am Nottebohmweg ist der zweite, der neue Friedhof. Der alte lag vor dem Grandweger Tor und ist in den städtischen Akten seit 1582 nachweisbar, davon berichtete Dr. Günter Böcken – und davon, wie der Kaufmann und Geldhändler Lazar Levi Hellwitz von 1827 bis 1857 als Prediger und Obervorsteher der Gemeinde wirkte – und als Reformer, der immer mehr liberale Vorstellungen durchsetzte. Jürgen Wilming-Gefeke: „Das Judentum ist bunt, man findet viele Strömungen.“

In Soest nicht mehr. Eine Gedenktafel und eine Stele erinnern am Ende des Eingangsweges daran – und an die Namen der unbestatteten jüdischen Soester, der Männer, Frauen, Kinder – von 1942 bis 1944 deportiert, ermordet oder verschollen. Viele kleine Steine liegen auf der Stele.

Was findet sich an jüdischer Symbolik? Zum Beispiel segnende Hände, die neben je zwei abgespreizten Fingerpaaren zusätzlich mit den Daumen und Zeigefingern auch ein Dreieck bilden. Sie finden sich auf jüdischen Grabsteinen für Abstammende des Priestergeschlechts der Kohanin. Ebenso finden sich Kannen für Leviten, die den Priestern die Hände wuschen und Hüter und Wächter des Tempels waren, Becher, Messer und Gebetbuch für die Mohel, die Beschneider, Kronen für Priester und Könige, Davidsterne oder auch die Bundestafeln als Symbol für die zehn Gebote – als jüdisches Symbol mit den ersten zehn Buchstaben des hebräischen Alphabets.

Abschließend ein Sprung von Jürgen Wilming-Gefeke zu Mister Spock (Leonard Nimoy) und allen Star-Trek-Fans: Der Vulkanier-Gruß mit den je zwei abgespreizten Fingern und dem ausgestreckten Daumen, er entstammt der zuvor beschriebenen bedeutungsvollen Geste, mit der eigentlich der Rabbi in der Synagoge die betende Gemeinde segnet. Nimoy, selber Jude, schlug seine Einhand-Fingerübung vor, als für die Serie ein eigener, natürlich ein besonderer vulkanischer Gruß gesucht wurde – spät im Leben hat Leonard Nimoy das einem Magazin verraten. Der Gruß wurde Kult, Spock auch.

Kleine Steine legt man als stillen Gruß auf Grabstein oder Grabplatte.

Eine Gedenktafel und eine Stele erinnern am Ende des Eingangsweges an die Namen der unbestatteten jüdischen Soester, der Männer, Frauen, Kinder – von 1942 bis 1944 deportiert, ermordet oder verschollen. Fotos: Thomas Brüggestraße