Herr Casanova und die Petrikirche

Erstellt am 14.01.2022

Stadtführung zur Reformation in Soest : „Erhalt uns Herr bei deinem Wort..."

Am großen Teich geht es los. Es sind vor allem auswärtige Besuche, die die Stadtführung zum Thema „Soest und die Reformation“ buchen. Fotos: Thomas Brüggestraße

Von Thomas Brüggestraße

Soest. Schluss mit diesem Humbug, dass man sich Zettel kaufen kann, die man fürs Seelenheil später an der Himmelspforte vorzeigen kann! Dieser Mönch aus Wittenberg bringt eine große Umwälzung fürs Land. Neuen Glauben. Eine neue Lehre. Deutsche Kirchenlieder. Nun ja, was man vor 500 Jahren so „Deutsch“ nennen konnte – überall verstehen konnte man das nicht. Aber schön singen konnte man das – endlich mal kein Latein! 

Ob dieser Herr Luther jetzt den wirklich richtigen Glauben brachte? Nun ja, die kleinen Leute haben das nicht entschieden. Gefragt wurden sie noch nicht. Zu sagen hatten die reichen Ratsmitglieder, und die sagten dem Bürgermeister, was er anzuordnen hatte. Wer nicht parierte, war arm dran.

Überhaupt waren die Menschen ziemlich rau miteinander. Vor dem Osthofentor haben sie Wiedertäufer einen Kopf kürzer gemacht, heißt es. Am Teich wurden Missetäter gewippt und auf dem Marktplatz, da rollten auch noch Köpfe – und alle waren beeindruckt von Recht und Gesetz und der Ordnung in Stadt und Land und Börde, zumindest wenn der Scharfrichter nüchtern war und sauber traf. Diesem Johannes Schachtrup soll das große, schwere Hackebeil ja in die Schulter gesaust sein, weil der Henker noch zu viel Soester Dunkel vom Abend zuvor intus hatte. War es nicht so? Wer weiß das schon so genau. Aber so ist es zumindest überliefert.

Betrunkener Scharfrichter

Die Leute drumherum sollen das jedenfalls gar nicht lustig gefunden haben, wie der Schachtrup da so jammerte und gar nicht vom Leben ablassen wollte, und der Scharfrichter hatte einen ganz famosen Shitstorm am Hals, wie man heute sagen würde. Er gab Fersengeld – ungefähr da, wo heute Soests gute Stube ist: der Marktplatz.

Heinz-Georg Büker hat bei seiner Stadtführung zu den Auswirkungen der Reformation in Soest einige solcher Schnurren parat. Die knapp zwei Dutzend Besucher sind fast alle von weiter her, haben die Tour schon länger im Voraus gebucht. Alle interessieren sich fürs Soester Flair und die Frage, wie es damals so war in der Stadt, die sie heute so gerne die Ehrenreiche nennen, mit den vielen Thesen, mit dem neuen Glauben, mit der Unruhe in Stadt und Land.

Landwirt Büker, der schon seit etlichen Jahren in seiner Freizeit als Stadtführer in Soest unterwegs ist,  kennt sich da bestens aus, die eineinhalbstündige Tour macht er nicht zum ersten Mal, und geschickt mischt er Stadtgeschichte und Gebäudekunde mit den allerwichtigsten Eckdaten über Soest und so manche Besonderheiten, die nicht jeder kennt: Wie die Soester vors Rathaus gezogen sind zum Beispiel, von dort aus wutentbrannt Rat und Bürgermeister angeschrien haben, die ihre Köpfe zum Fenster herausstreckten. Wie sie sich Zunftrechte erstritten, wie sie die Freilassung von lutherischen Predigern forderten, die der Rat aus der Petrikirche hatte zerren und einsperren lassen.

Biervorräte geplündert

Büker: „Zimperlich waren die alten Soester nicht – die sind mit allem, was sie greifen konnten rein ins Rathaus, haben das gestürmt, Rat und Bürgermeister festgesetzt, ihre eigenen Leute befreit, alles umgeschmissen und verwüstet und die ganzen Biervorräte geplündert.“ Für einen famosen Absacker? Büker muss schmunzeln: „Das haben die nicht nur einmal gemacht.“ Die Gäste schmunzeln auch.

Wo sie gerade auf dem Petrikirchplatz stehen, gibt es auch gleich eine weitere kleine Anekdote: Was ein Herr Casanova mit Petri zu tun hat? Die Türe der Kirche hat er gestaltet – viele sind abgebildet, die für Soest und die Reformation wichtig waren. Namen und Geschichten über Wichtige aus dieser Zeit hat Büker viele parat: Von Borchwede etwa, der in Soest 22 Thesen an die Dom-Türe nagelte, von Heinrich Aldegrever, dem großen Soester Künstler, von van Kampen, dem Prediger in der Pauli-Kirche, der eines der Spektakel vor dem Rathaus auslöste, Johannes Westermann, der eigentlich zu wenig gelobt wird, wo er es doch war, der die neue Lehre nach Westfalen brachte – auf Platt, das man hier gewöhnlich sprach. Und diese schönen Liedtexte – griffige Alltagssprache statt abgehobenem Latein.

War es Luther alleine mit der Reformation, war die Reformation ein Akt von einem auf den anderen Tag? Wohl nicht, erläutert Büker auf der Runde durch die Altstadt – neu und anders zu glauben, das sei ein Prozess gewesen und viele hätten da mitgewirkt. Und vor allem die Lieder hätten wohl bewirkt, dass der neue Glaube in den Herzen angekommen sei.

Bildersturm blieb aus

Zur Tour gehören natürlich die Besuche in den Kirchen: Dom, Wiesenkirche, Petri-Kirche, und bei allem Zwist und allem Streit, da habe es trotzdem keinen Bildersturm gegeben wie anderswo – das sei ein Segen für die Stadt gewesen, erzählt Büker. Im Dom unterbricht der Organist sein Üben an den Manualen und Pedalen.

Weiter geht es zur Wiesenkirche. Hier gibt es nicht nur herrlich bunte Glasfenster zu bestaunen, das „Westfälische Abendmahl“ zum Beispiel und daneben auch viele andere besondere Gemälde – Büker hat zu allen Schätzen reichlich Informationen parat und die Tourgäste hängen auch hier an seinen Lippen.

Am Großen Teich geht es vorbei  hinüber zur Rathaus-Rückseite: „Tot Eyndracht, Nut un de Vrede“, zur Eintracht, zum Nutzen und zum Frieden haben die Soester sich das errichtet, so steht es in goldbemalter Frakturschrift auf dem heute rosa getünchten Putz. „Auch darum ging’s“, erklärt Büker und führt alle weiter hinunter zum Marktplatz – dorthin, wo der arme Schachtrup so gejammert hat wegen dem Henker und dem Beil und dem Bier.

Ob’s damals schon Soester Dunkel war, von dem der Scharfrichter zu viel genascht hatte? Man weiß es nicht. Auf jeden Fall ist die Tour an dieser Stelle zu Ende, und alle gehen wieder auseinander – wissend, dass die Reformation auch in Soest nicht an einem Tag gemacht wurde. Heinz-Georg Büker  wird das auch in Zukunft weiter beleuchten. Mit profundem Detailwissen ebenso wie mit einem gnädigen Augenzwinkern. Um die Gnade ging’s ja schließlich – und darum, dass man sie nicht kaufen kann.

Buchen kann man die Stadtführungen (es sind zahlreiche Themen im Angebot) unter: www.wms-soest.de/sightseeing/stadtfuehrungen

Heinz-Georg Büker ist im „richtigen Leben“ Landwirt in Erwitte. Stadtführungen sind seine ganz besondere Passion.

Besuche in den Soester Kirchen – hier die Wiesenkirche – sind bei dieser besonderen Stadtführung natürlich Pflichtprogramm.