Wenn man sich nicht sattsehen kann

Erstellt am 09.07.2021

Schöpferkraft in erdigem Grün: Pfarrer Christian Casdorff und Inga Schubert-Hartmann stehen vor einem Triptychon zum Psalm 23 (Der Herr ist mein Hirte). Fotos: Thomas Brüggestraße

Soest. Inga Schubert-Hartmann erinnert an ihre Kindheit in der Lukas-Mühle in Gildehaus und ehrt damit das reichhaltige Schaffen ihres Vaters Friedrich (* 30. Mai 1912 in Siegen, † 15. Dezember 2000 in Gildehaus, Grafschaft Bentheim), der Maler, Folkwang-Dozent und ein Leben lang freischaffender Künstler war.

Zwei Ausstellungen in einer hat sie dafür organisiert, an zwei Orten in direkter Nachbarschaft – und man kann sich gar nicht sattsehen in der Evangelischen Kirche Neu Sankt-Thomä und dem Saal des Kreiskunstvereins schräg gegenüber, sattsehen an den  abstrakten Farbkombinationen aus Naturfarben, an den eigentümlich in Licht getauchten Szenen, an dieser Kunst,  selbst in die allerdunkelste Dunkelheit eine Ahnung von etwas aufscheinen zu lassen, das jeder für sich selbst auskundschaften darf: Ist es Hoffnung, Trost, Geborgenheit, liebevolle Erinnerung? Auf jeden Fall immer wieder ist es eines: Ein unbändiges Staunen.

„Mit Worten kommt man da nicht ran, dafür muss es Kunst geben, gut, dass es die Kunst von Friedrich Hartmann gibt“, schreibt Petri-Pfarrer Christian Casdorff. „Und er hat nicht nur gemalt, er hat ganze Kirchen ausgestaltet, von den Glasfenstern bis zum kleinen Teelicht.“ Vor mehr als dreißig Jahren hatte er den Künstler einmal besuchen dürfen in seinem Mühlen-Atelier in Gildehaus in der Grafschaft Bentheim. Stöbern und sich sattsehen durfte er dort.

„Und Friedrich Hartmann, das Antlitz gerahmt von einer angemessenen Künstlermähne, er beobachtete genau, wo und wie lange ich betrachtend verharrte“, so erinnert sich Casdorff beim Pressetermin in der Thomäkirche. Über Grün ist er gerade ins Schwärmen geraten vor einem Triptychon, einem Dreifachbild: Öl auf Holz, gemalt, getupft, gewischt, abgezogen, geritzt, gekratzt. Hell wirkt es hier, dunkel dort, dann wieder wolkig, wabernd, geheimnisvoll strahlend.

„Ein ganzer Psalm, und wie herrlich“, hebt Casdorff an: „Er weidet mich auf grüner Aue… – kennt jeder, einfach wirken lassen…“ Der Altarraum hängt voll mit Bildern, die Entwürfe waren für spätere Glasfenstergestaltungen in Kirchen, mit Bildern, die Wände in Kirchen und Gemeindehäusern zieren. Mal abstrakt, mal reduziert figürlich. Wirkungsvoll, selbst wenn ein Bild auf Sackleinen entstand.

Die Lukas-Mühle in Gildehaus, das ist der Ort, wo Inga Schubert-Hartmann aufwuchs, nahe der Stadt Bad Bentheim. Die Eltern erwarben den zerbombten Mühlenstumpf kurz nach dem Krieg, bauten eine Etage drauf, installierten ein Glasdach. Unten wurde gekocht und gegessen, darüber gewohnt und geschlafen, ganz oben war das Atelier für den Vater und seine anfänglichen „Speckbilder“: Die Höfe ringsum malte er, tauschte seine Bilder gegen Kartoffeln, Fleisch, Gemüse.

Strom gab es, aber fließend Wasser, das gab es noch draußen aus einer Pumpe. Eine Märchenzeit? „Die war es sicher nicht“, schreibt Inga-Schubert Hartmann im Buch „Mühlenkinder“, das begleitend zur Werkschau erschienen ist, Familie, Freunde und Wegbegleiter als Autoren vereint: „Aber die Zeit war ungewöhnlich, einzigartig und unwiederbringlich. Ja, man hat schon was zu erzählen…“

Im Saal des Kreiskunstvereins zeigt sie ein Bild „Inga malt“ – ihr Vater hat diesen Moment in Öl festgehalten, viele andere private Momente ebenso, und wieder ist es diese Kunst, Licht zu setzen, die Wirkung schafft, und Wärme, eine Kunst, die staunen macht. Bei den drei Kindern etwa, die vor einem echt propperen Schneemann stehen – Inga, Anke, die Schwester, Welf, der Bruder. An jedem der Bilder hängen Erinnerungen, die noch einmal Bücher füllen könnten: „Ich bin froh, dass ich mich doch einmal getraut habe, diese Ausstellung zu machen“, sagt Schubert-Hartmann: „Nach so vielen Jahren als Vorsitzende darf ich das mal, ohne dass man mir Eitelkeit vorwirft – oder?“ Viele Anekdoten hat sie zu erzählen – zum Beispiel, warum Hans Kaiser so gerne Eierlikör mochte, welches Bild Wilhelm Morgners Mutter ihrem Vater verehrte, wie es damals so war, wenn Künstler auf Tour waren und zelteten.

Die Lukas-Mühle ist heute ein Museum, wird von einem Verein getragen. Dass sie 1720 aus Bentheimer Sandstein errichtet wurde und die West-Windmühle in Gildehaus war, steht auf dem Schild am Eingang, und dass sie über 50 Jahre lang Friedrich Hartmann als Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens gedient hat. Mehr als 100 seiner Gemälde können in der Mühle besichtigt werden – die Doppelausstellung unter dem Titel „Der leere Stuhl – die Suche nach dem Licht“ ist in Soest bis zum 21. August geöffnet.

„Das Lebenswerk des Künstlers ist kaum überschaubar“, so heißt es im Begleittext zur Ausstellung: „Sehr breit ist die Palette seiner künstlerischen Tätigkeit. Als Maler hat er einen eigenen und wohl unverwechselbaren Stil entwickelt, der gleichwohl keineswegs einer Technik alleine verpflichtet war. Es reizte ihn immer wieder, Neues auszuprobieren. Da sind Ölgemälde mit durchweg selbst angemischten Erdfarben, Aquarelle, Kreide, Collagen, Radierungen, Linolschnitte, Beizbilder auf Holz unter Ausnutzung der Maserung zur Bildgestaltung, Bühnenbilder, Ziegelmosaiken an sakralen und profanen Bauten, Glasfenster, Plastiken aus Ton oder Bronze. Ebenso vielfältig sind die Gemälde mit Landschaften, architektonischen Motiven, Bilder mit geschichtlichem oder religiösem Hintergrund, Märchen, mythologische Themen, Portraits oder musikalische Impressionen.“

Öffnungszeiten

Kulturforum Neu-Sankt-Thomä täglich 10 bis 18 Uhr.

Kunstsaal Kreis-Kunst-Verein, Klosterstraße 13, mittwochs von 15 bis 18 Uhr, donnerstags von 17 bis 19 Uhr, samstags von 11 bis 13 Uhr und nach Vereinbarung. www.kunstverein-kreis-soest.de

„Am Maltisch“. Der späte Friedrich Hartmann.

Drei Kinder und ein propperer Schneemann. Ölbild von 1955.