Herr über Leben und Tod

Erstellt am 06.08.2021

Die Bonhoeffer-Kirche in Arnsberg-Oeventrop.

 

Von Hans-Albert Limbrock

Oeventrop. Diese Augen. Sie scheinen in jeden Winkel der Kirche schauen zu können. „Man fühlt sich an jedem Platz in der Kirche angeschaut, obwohl sie sich natürlich gar nicht bewegen“, weiß Pfarrerin Claudia Schäfer. Eine Konfirmanden-Gruppe habe das Kirchenfenster deshalb einmal gar als furchteinflößend bezeichnet.

Furchteinflößend ist in jedem Fall ein gutes Stichwort. Hat sich doch der Gestalter des Fensters in der Oeventroper Bonhoeffer-Kirche (so heißt sie allerdings erst seit ihrem 100. Geburtstag im Jahre 1993) keineswegs von der Furcht vor den Nazis, die die Menschen in den dunklen Jahren in Deutschland vielfach gelähmt hat, beeindrucken lassen. Ganz im Gegenteil: Der in Günne wirkende Künstler Max Schulze-Sölden hat den Auftrag, für das Gotteshaus im Arnsberger Stadtteil ein Kirchenfenster zu gestalten, zu einer klaren politischen Ansage genutzt.

Das ist umso erstaunlicher, da die Bilder, die der 1887 geborene Schulze-Sölden bis dahin gemalt hatte, von den Nazis als „entartete Kunst“ eingestuft wurden. Seine Kunstwerke wurden aus öffentlichen Sammlungen entfernt und größtenteils zerstört. Vor diesem Hintergrund ein Fenster zu erschaffen, dessen Botschaft zwar versteckt, aber dennoch klar erkennbar ist, ist sicherlich mehr als bemerkenswert und zeugt von einer großen Charakterfestigkeit sowie außerordentlichem Mut. Mut, den damals in Deutschland viel zu wenige hatten.

„Das Kirchenfenster“, so die Arnsberger Pfarrerin, „ist eins der wenigen Zeugnisse aus der Protestzeit Schulze-Söldens gegen den Nationalsozialismus und hat damit besonderen Seltenheitswert.“

Die gläserne Darstellung zeigt Jesus als Weltenherrscher – und das in einer Zeit, wo sich ein anderer in nationalsozialistischer Großmannssucht zum Herrscher über die Welt aufschwingen wollte. Es sind unglaublich viele Details in diesem Kunstwerk, die erahnen lassen, wie groß die Wut von Max Schulze-Sölden auf das braune Regime gewesen sein muss. Details, die sich bei intensiver Betrachtung gut erschließen (siehe dazu auch den Kasten).

Dass die Nazis das Fenster nicht sofort wieder haben ausbauen oder gar zerstören lassen, liegt vermutlich daran, dass Oeventrop in der Weltgeschichte eine eher untergeordnete Rolle spielt. Fest steht aber, dass die Darstellung nicht nur Freunde hat(te). Anfang der 60er Jahren wurde das Chorraumfenster zum Ziel von Vandalen. Da dies in die Zeit der Innenrenovierung fiel, bei der man die Kirche ohnehin betont schlicht gehalten hat, hat man das Fenster kurzerhand zugemauert.

Erst Ende 2001 wurde es wieder freigelegt und ausgebaut. Da zunächst das Geld für die Restaurierung fehlte, wurde es zwischenzeitlich in der Glaswerkstatt Peters in Paderborn eingelagert, ehe es dann dank der Initiative des Förderkreises instandgesetzt und im Juli 2003 wieder eingesetzt wurde.

Die Bedeutung des Fensters ist auf der Homepage der Kirchengemeinde passend beschrieben: „Diese Kirche  erinnert und ermahnt uns mit ihrem Namen und ihrem Kirchenfenster an eine Zeit, in der politischer Widerstand angesagt war und Ergebung in göttliche Führung gelebt werden musste. So wollen wir als Gemeinde auch heute noch Flagge zeigen und mit unserem Kirchturmbanner und den Worten Dietrich Bonhoeffers viele Menschen ansprechen und aufmerksam machen.“

 

Wahrer Gott und wahrer Mensch

Christus scheint auf einem Thron zu sitzen zwischen Himmel und Erde. In einer Hand hält er die Bibel mit dem ersten und letzten Buchstaben des griechischen Alphabets. Allumfassend ist seine Botschaft und seine Herrschaft, vom Anfang bis zum Ende und darüber hinaus. Die andere Hand hat er zum Segen erhoben. Die Handhaltung weist auf die Dreifaltigkeit und auf die Zwei-Naturen-Lehre. Zwei Finger zeigen auf die innere Handfläche: Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Drei Finger zeigen nach oben: Segen geschieht im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Füße sind unterschiedlich: ein fleischiger, kräftiger Fuß steht für das Leben; ein magerer, skelettierter Fuß steht für das Leiden und den Tod. Jesus Christus ist der Herrscher über Lebende und Tote, sein Herrschaftsbereich umfasst alle Zeiten und das ganze Weltall. In ihm berühren sich Himmel und Erde, durch ihn scheint die Ewigkeit in unser Leben.

Für Pfarrerin Claudia Schäfer ist das Fensterbild im Chorraum eine Ermahnung, auch in heutiger Zeit politisch Flagge zu zeigen und Unrecht entgegenzutreten. Fotos: Hans-Albert Limbrock