75 Jahre und kein bisschen leise

Erstellt am 19.08.2021

Ein stiller Protest: Zweimal die Woche steht Volkert Bahrenberg an Warsteins viel befahrener Kreuzung Hauptstraße/Rangestraße mit seinen Protestschildern und demonstriert gegen den Steinabbau. Fotos: Hans-Albert Limbrock

 

Von Hans-Albert Limbrock

Warstein. Der muss das nicht machen. Der Mann ist schließlich 75 Jahre. Er könnte auch in seinem Garten sitzen, den Vögeln beim Zwitschern und den Bienen beim Summen und Brummen zuhören. Oder auf seinem geliebten Banjo zupfen. Aber für Volkert Bahrenberg gilt das alte Luther-Wort in besonderer Weise: „Hier steh ich nun. Ich kann nicht anders“. Und das ist wörtlich zu nehmen, denn der Pfarrer im Ruhestand steht wirklich an einer vielbefahrenen Kreuzung in Warstein ­– und demonstriert.

Es ist ein stiller Protest: „Trinkwasser vor  Steinabbau“ und: „Steinbrüche sind Russisches Roulette“ steht auf dem Pappkarton, den er sich auf den Rücken und vor den Bauch geschnallt hat. „Wir wollen Impulse und Denkanstöße geben. Die Leute nicht bequatschen oder missionieren. Die Menschen sollen selber denken“, sagt er und wartet an der Rangestraße darauf, dass die Ampel auf Grün springt. Dann wechselt er die Straßenseite und überquert als nächstes die Hauptstraße. Immer im Quadrat. Zweimal die Woche, jeweils eine Stunde. Manchmal ist Bahrenberg nicht allein, dann begleiten ihn andere Aktive aus der Trinkwasser-Initiative.

Kraterlandschaft

Oft hupen Autofahrer und heben anerkennend den Daumen. Der Konflikt mit der Steinindustrie ist in Warstein ein Dauerkonflikt, einer, der die Stadt im Sauerland seit Jahrzehnten buchstäblich spaltet. Der Stein, der durch Sprengungen abgebaut wird, gilt als besonders hochwertig und liefert das megatonnenschwere Futter, das die nimmersatte Zementindustrie speziell im Raum Beckum und Ennigerloh braucht. 1,7 Millionen Tonnen Kalkstein gewinnt Westkalk, der Hauptakteur, hier jährlich.

Von der Luft aus betrachtet, gleicht Warstein einer Kraterlandschaft. Die beinahe täglichen Sprengungen erschüttern die Stadt und die Häuser der Anwohner, die besonders nah an den Sprengstätten liegen. Wie von einer Riesenfaust werden sie durchgerüttelt. Aber mehr noch als die Umweltzerstörung sorgt die Warsteiner die Angst um ihr Trinkwasser. Die Lörmeckequelle versorgt die gesamte Stadt mit Wasser. „Ich mag mir gar nicht ausmalen, dass bei den Sprengungen mal was passiert, dass die Quelle durch eine Havarie verschmutzt oder verschüttet wird“, formuliert Bahrenberg seine Sorge.

„Das Trinkwasser muss eindeutig Vorrang vor den Interessen der Steinindustrie haben“, fordert der streitbare Theologe daher und redet sich (ein ganz klein wenig) in Rage: „Klar, passt die Steinindustrie auf. Die wollen das Trinkwasser natürlich grundsätzlich auch schützen. Das nehme ich denen auch ab. Aber das Profitinteresse vernebelt die Sinne und den Verstand; die Wahrnehmung wird verschleiert. Ich habe große Zweifel daran, dass Steinabbau und Trinkwasserschutz nebeneinander funktionieren können. Wirklich große Zweifel.“

"Ich bringe mich ein"

Und weil Volkert Bahrenberg  keiner ist, der sich mit seinen Sorgen und Zweifeln im stillen Kämmerlein einschließt und den lieben Gott bittet, er möge doch bitte den Warsteiner Konflikt lösen, steht er an der Kreuzung und demonstriert. „Eigentlich“, resümiert er, „mache ich jetzt im Ruhestand ja nichts anderes als das, was ich auch schon vorher als Pastor

 gemacht habe: Ich bringe mich ein, erhebe meine Stimme.“

Radikal? Nein, radikal sei er nie gewesen. „Das ist nicht meine Welt. Obwohl?“, sagt er und hält für einen kurzen Moment inne. „In den Gottesdiensten und in den Predigten war ich mitunter schon radikal. Aber das muss auch so sein. Die Menschen wollen kein Wischiwaschi von der Kanzel hören. Die erwarten, dass man eine klare Meinung hat, eine Position vertritt.“

Bahrenberg war schon immer ein politischer Mensch, hat sich schon immer eingebracht. Rückblickend betrachtet, räumt er ein, aber nicht genug. „Die ganze Klima-Diskussion haben Menschen wie ich, hat meine Generation doch komplett verpennt. Wir alle haben doch schon vor vielen Jahren gewusst, dass das so nicht weitergehen kann; dass da eine Katastrophe auf uns zukommt. Und was haben wir gemacht? Nichts haben wir gemacht. Gar nichts. Und das fuchst mich ungemein.“

Auch deshalb steht er mit seinen Schildern an der Kreuzung – und seiner ganz eigenen Botschaft: „Hier steh ich nun. Ich kann nicht anders.“