Das Haus der Hoffnung

Erstellt am 24.09.2021

Im Marie-Haverkamp-Haus wird Frauen geholfen, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind

Christiane Wiggeshoff leitet das traditionsreiche Marie-Haverkamp-Haus: „Das Wohl eines Kindes sicher zu stellen, ist eine Herausforderung.“ Foto: Hans-Albert Limbrock

 

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Ein Kind zur Welt zu bringen, Mutter zu sein, das Aufwachsen zu begleiten, das Kind zu einem guten Menschen zu erziehen – das gehört zu den schönsten und wertvollsten Aufgaben im Leben einer Frau. Aber leider nicht für alle. Manche verzweifeln daran, erleben das Kind als eine einzige Belastung, können den Anforderungen nicht gerecht werden, reagieren hilflos, oft mit Gewalt und Vernachlässigung.

Schon seit bald 120 Jahren wird Frauen im Marie-Haverkamp-Haus in Soest geholfen. Seit 1904 ist der Evangelische Versorgungshausverein Träger dieser segensreichen Einrichtung und hat seitdem tausende, oft verzweifelte Mütter bei der schwierigen Erziehungsaufgabe unterstützt.

In den nunmehr weit über 100 Jahren hat sich das Anforderungspotenzial, um einen der begehrten Plätze zu bekommen,  natürlich immer wieder gewandelt.  Bei seiner Gründung war es zunächst eine „Zufluchtsstätte“ für ledige Mütter, die auch als „Erstgefallene“ oder „sittlich gefährdet“ bezeichnet wurden. Heute werden  die 44 Plätze (22 für Mütter, 22 für Kinder) im „Mutter-und-Kind-Haus“ von Jugendämtern in ganz Deutschland vor allem an solche Frauen vergeben, die aufgrund psychischer Probleme  oder Erkrankungen nicht in der Lage sind, sich ohne professionelle Unterstützung um ihre Kinder zu kümmern; bei denen das Kindeswohl akut gefährdet ist.

„Es sind dann oft ganz banale Dinge, die nicht klappen“, weiß Leiterin Christiane Wiggeshoff und ergänzt: „Zum Beispiel wenn die Kinder Hunger oder Durst haben oder sauber gemacht werden müssen. Für diese eigentlich selbstverständliche Basisversorgung fehlt oft das Gespür, weil die Frauen aufgrund eigener defizitärer Erfahrungen im Fürsorgeverhalten erheblich eingeschränkt sind.“  45 Mitarbeiterinnen gehören zum Team im Marie-Haverkamp-Haus, die sich jeder Klientin ganz individuell annehmen und sie eng begleiten, damit sie ein Gespür für die Bedürfnisse ihrer Kinder bekommen.

Die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung ist dabei ebenso unterschiedlich wie das Alter der Mütter: Manchmal brechen die Frauen ihren Aufenthalt schon nach wenigen Tagen ab, zehn Jahre ist bisher die längste Verweildauer. Im Durchschnitt bleiben sie ein bis zwei Jahre. Die jüngste Mutter war 12 Jahre, die älteste über 40. Die Kinder sind in der Regel jünger als sechs Jahre, aber es ist durchaus üblich, dass auch ältere Geschwisterkinder mitaufgenommen werden.

Wiggeshoff: „Viele Frauen haben Gewalterfahrungen erlebt, haben eigene Entwicklungsaufgaben wie zum Beispiel einen Schulbesuch nicht bewältigt. Oder aber sie haben ein Beziehungstrauma hinter sich beziehungsweis  stecken noch mitten drin.“ Alkohol und Drogen spielen ebenso häufig eine Rolle. Da diese Konstellation oft ein großes Konfliktpotenzial mit sich bringt, wird erst einmal genau die Ist-Situation analysiert und darauf hingewiesen, dass eine Psychotherapie nötig ist, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Es geht darum festzustellen, welche Gefährdung für das Kind besteht; ob zum Beispiel die erlebte Gewalterfahrung der Mutter auf das eigene Kind übertragen wird.

„Wir erstellen deshalb so genannte Gefährdungsmarker“, erklärt Wiggeeshoff. Dazu gehört dann auch, dass die Beziehung zum Vater der Kinder oder zum aktuellen Partner beleuchtet und bewertet wird. Da diese Frauen oft in toxischen Beziehungen leben, muss eingeschätzt werden, ob der weitere Kontakt zum Partner förderlich ist oder jeglichen Therapieansatz gefährdet. Dabei gelten strenge Regeln: „Verurteilte Täter dürfen nicht ins Haus, erst recht nicht, wenn Verurteilung oder Verdacht auf Missbrauch vorliegen. Diese Regel gilt rigoros“, formuliert Wiggeshoff eine Maxime.

Während die Kinder nach Möglichkeit eine Soester Kita oder Schule besuchen, können die Frauen sich eine Lehrstelle suchen oder auch eine Arbeit annehmen. Doch das klappt nur in Ausnahmefällen.

Christiane Wiggeshoff: „Wir versuchen,  die Frauen so gut es geht zu begleiten, zu unterstützen und zu stabilisieren. Wir machen ihnen deutlich, dass der Aufenthalt bei uns kein Urlaub ist. Wir machen ihnen klar, dass sich ihr Leben komplett verändern wird und verändern muss, wenn sie ihren Kindern eine bessere Entwicklung bieten wollen,, als sie selbst gehabt haben.“

Dass das fast immer eine Herkulesaufgabe ist, wissen Wiggeshoff und der Mitarbeiterinnenstab nur zu gut, aber eben auch, dass diese Aufgabe nahezu alternativlos ist: „ Das Wohl eines Kindes sicher zu stellen und seine Entwicklung gut zu begleiten, ist eine Herausforderung – für alle“, sagt Christiane Wiggeshoff.