Die Gesichter der Armut

Erstellt am 08.10.2021

Treffen von Trägern und Werken bei Diakonie Konferenz im Perthes Zentrum enthüllt Besorgniserregendes

Die Vertreter der Träger und Werke, v.l. Felix Staffehl, Günter Krause, Sarah Vedder, Peter Sinn, Martina Schaub, Susanne Klose-Rudnick, Tobias Eikel, Tina Schröder. Foto: Julie Riede

 

Von Julie Riede

Soest. Im September lud die Diakonie-Ruhr-Hellweg ihre Träger und Werke ins Perthes-Zentrum in Soest ein. Diakoniepfarrer Peter Sinn führte gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Perthesstiftung, Felix Staffehl, durch die Konferenz.

Das Christliche Hospiz in Soest wurde vorgestellt und über aktuelle Entwicklungen berichtet. Felix Staffehl, Vorsitzender der Perthesstiftung, über die Anfänge der Einrichtung: „Die Idee, ein Hospiz in Soest zu erschaffen, bestand schon vor 20 Jahren; 2017 wurde es konkret – seit der Eröffnung gab es 292 Aufnahmen. Die Gäste kommen im Schwerpunkt aus Lippstadt und Soest; es gibt 24 Mitarbeiter, 14,5 Vollzeitstellen, 90% der Mitarbeiter sind Fachkräfte im Palliativbereich. Zwei Pfarrer arbeiten im Christlichen Hospiz als Seelsorger; hinzukommen ehrenamtliche ausgebildete Trauerbegleiter.“

Die Nachfrage ist groß, das Palliativnetz Soest ist mitinvolviert. Die Stadt Lippstadt plant nun, aufgrund des großen Bedarfs, ein eigenes Hospiz zu eröffnen, möglicherweise mit Unterstützung einer ansässigen Stiftung. Auch ein sogenannter teilstationärer-Bereich ist in der Überlegung. Dieser richtet sich an Menschen, deren ambulante Versorgung zu Hause aufgrund einer unheilbaren Erkrankung auch mit externer Unterstützung (z.B. Hausarzt, Pflegedienst, SAPV-Team, ambulanter Hospizdienst) noch gewährleistet werden kann, und die noch einigermaßen „beweglich“ sind.

 

„Hier kommt es zu keinem Interessenkonflikt mit dem ambulanten Bereich“, betont Staffehl. Das Christliche Hospiz steht Menschen unabhängig von Nationalität oder Vermögenssituation offen. Es ist eine Herberge für Menschen in ihrer letzten Lebensphase.

Zentrales Thema der Konferenz aber war die Frage nach der Armut in unserer Gesellschaft. Was nehmen Träger und Werke wahr? Wo sind Veränderungen und vielleicht auch Zuspitzungen zu erkennen? Tobias Eikel, Geschäftsführer der Kindertagesstätten im Evangelischen Kirchenkreis Soest-Arnsberg sieht Bedürfnisse bei Kindern bzw. Familien, im Kindergarten, aber vor allem auch in Schulen z.B. was Winterkleidung oder Essen angeht. 

Sarah Vedder von der Diakonie sieht Armut vor allem in der Wohnungsknappheit. Sie berichtet: sogar Obdachlosenheime seien übervoll. Sozialwohnungen würden immer weniger. Schon ein Schufa-Eintrag führe zu Ablehnung: „Viele Menschen sind hier hilflose und ohnmächtige Opfer der Behörden“. Sie bringt das Problem auf den Punkt: „Die Stadt Soest muss für die ärmere Bevölkerung viel mehr Wohnmöglichkeiten schaffen.“

Auch Simone Pfitzner (Seelsorge im Kirchenkreis) sagt ganz klar: Menschen die Mietschulden haben, haben kaum eine Möglichkeit, an Wohnungen zu kommen. Sie rechnet vor: eine Witwe mit einer Rente von 700 Euro würde keine Wohnung bekommen, nach den Abzügen für die Lebenserhaltung würde für die Miete so gut wie nichts mehr bleiben. Auch in den Altenheimen werde die Situation immer schlimmer.


Martina Schaub vom Stift Cappel nimmt Armut vor allem in der Verwahrlosung von Kindern in bestimmten Bevölkerungsschichten wahr: das Geld vieler Eltern sei knapp, die Kleidung werde nicht gewaschen, oder die Hygiene stimme nicht, die Eltern wirkten von außen aber normal; oft werde das Geld für Dinge wie Friseur oder Nägel ausgegeben, statt für die Kinder.

Die nüchterne Statistik des Deutschen Bundesamtes sagt: die Gefährdung durch Armut oder soziale Ausgrenzung hat seit 2009 eher abgenommen.

Doch Armut hat viele Gesichter und ist nicht unbedingt eine Frage der Schicht – so konnte man in einem Artikel im Stern bereits 2019 lesen: „Mittelschicht - das gaukelt eine finanzielle Zugehörigkeit in der Mitte der Gesellschaft vor. Betrachtet man die Einkommen realistisch, zeigt sich: Viele, die zur Mittelschicht gezählt werden, sind eigentlich arm.

Simone Pfitzner rechnet vor: Ein aktueller Netto-Verdienst von 2600 Euro klinge zunächst einmal viel. Für die Rente bleibe da aber gerade einmal 850 Euro übrig. Bei steigenden Wohnungs- und Lebenserhaltungskosten ist dies eine dunkle Prognose für viele. Und auch bei der Frage der sozialen Ausgrenzung in einem Land, in dem es immer schwieriger für junge Menschen aus unteren Schichten und selbst aus der einfachen Mittelschicht wird, eine gute Bildung zu erhalten, können Statistiken doch lediglich an der Oberfläche kratzen.

 

Das Fazit der Konferenz: Armut ist auf den ersten Blick nicht sehr viel mehr sichtbar als früher, aber durchaus überall konkret erkennbar, wenn man genauer hinschaue.

 

 

Armutsgefährdung in unserer Gesellschaft laut Statistischem Bundesamt