Deutsche Sprache - schwere Sprache?

Erstellt am 22.10.2021

Besuch in einem Sprachkurs für Flüchtlinge

Für sie ist die Teilnahme an den Sprachkursen der Evangelischen Erwachsenenbildung der entscheidende Schlüssel zur Integration. Fotos: Julia Riede

Von Julie Riede

Geseke. Nach und nach trudeln die Teilnehmer ein. Heute Nachmittag hat niemand ein Kind mitgebracht,  aber möglich macht es die Erwachsenenbildung des Evangelischen Kirchenkreises Soest-Arnsberg. In einem Raum nebenan wurden am Morgen Kinder des sogenannten „I-KURS" betreut.

„Mit den Grundlagen lernen wir die deutsche Sprache. Und das ist die Aufgabe des Alphakurses, Grundlagen vermitteln, den erwachsenen Teilnehmern ermöglichen,  sich in Deutschland nach erfolgreichem Anschluss verständlich zu machen“, sagt Kursleiterin Petra Schröter.             

Es ist auch ein Teilnehmer aus einem höheren Kurs anwesend – er holt sich Unterlagen für einen Sprachtest ab und macht direkt nochmal mit beim Kurs.  „Die Grundlagen des deutschen Grundgesetzes", lese ich auf seinem Übungsbogen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar" liest Filimon laut vor und nickt ernst.

Die Kursteilnehmer sprechen fast alle Arabisch - das macht es einfach: was einer nicht verstanden hat, übersetzen ihm nach Möglichkeit die anderen. Es wird viel dazwischen gesprochen, aber eher ähnlich einem Workshop. Man versucht alles gemeinsam zu lösen.

Heute ist das Thema Einzahl/Mehrzahl  und „der/die/das“ an der Reihe. Maus/Mäuse. Baum/Bäume. Verkauf/Verkäufer. Erst wird das Prinzip an Beispielen an der Tafel gezeigt und geübt, dann ein Übungstext gelesen.  „Interessant"- ein langes, schwieriges Wort, mit ungewohnter Lautbildung  für die Teilnehmer.

„Was ist interessant?“ fragt Petra Schröter. Alle schauen sich an. „Deutsch lernen“ hilft Filimon, der ja schon weiter ist. Und dann fällt den anderen auch etwas ein. „Neues", „Freunde", „Filme", „Bücher". Und was macht der Verkäufer?“ Alle zählen Dinge auf, die verkauft werden können. „Und was ist interessant zu kaufen? Was ist billig, was ist teuer? Was kostet es?“

„Die Hauptvorlage beschreibt Integration als Einbeziehung und Teilhabe aller, die am besten von unten her wachse. Es bedarf wechselseitiger Begegnungsgeschichten vor Ort, damit aus Fremdheit Gemeinschaft wird“ schreibt Lena Husemann, Leiterin der Erwachsenenbildung als Begleittext zum Sprachkurs. Das beschreibt es ziemlich gut.

Die Altersstruktur ist hier ziemlich breit, aber die meisten Teilnehmer, die ich hier sehe, sind zwischen 30 und 60. Dabei wird mir eins klar: hier sitzen nicht die angehenden Ingenieure von morgen. In der Schule hatte ich eine vietnamesische Mitschülerin, die innerhalb eines Jahres Deutsch lernte und nun im Forschungsbereich Maschinenbau tätig ist. Sie war damals 28, was man ihr aber nicht ansah, ihr Abitur wurde in Deutschland nicht anerkannt, so musste sie es nochmal hier in Deutschland schaffen.

Und das hat sie. Ich war beeindruckt damals, von ihrem Fleiß und Willen. Doch sie kam aus dem asiatischen Kulturkreis, der geprägt ist von eben jenen Kriterien, die man auch den Deutschen in der Geschichte oft nachgesagt hat. Ich kenne viele Beispiele von Flüchtlingen, gerade aus Syrien, die nun an unseren Universitäten studieren. Doch es gibt auch die anderen. Die „Nicht-Überflieger“. Die, deren Ziel es ist, sich einfach nur verständigen zu können, im Alltag. Wenn ich mich an meine Zeit in Kairo zurückerinnere, wo ich mich für ein Auslandspraktikum am Goetheinstitut aufgehalten habe, bin ich auf eben dieser Ebene der Kommunikation. Dort sprach ich nur Wörter, statt Sätze. Die Formung der arabischen Laute machte mir extreme Probleme. Ich verständigte mich mit Zetteln, auf die Alltagsgegenstände gemalt waren, daneben die deutsche und arabische Bezeichnung. So kam ich gut durch die paar Monate.

Mir vorzustellen, ich müsste in ein arabisches Land flüchten und in dieser mir fremden Kultur dauerhaft leben, das ist ein ganz anderes Niveau. Und wenn ich mir vorstelle, dass meine Eltern in ihrem Alter das müssten, dann weiß ich, würden sie ähnlich wie diese Leute hier im Unterricht nach Worten ringen. Und hier muss auch gesehen werden, dass wir immerhin ein Land voller Bildung sind, Analphabetismus ist hier kaum ein Problem, und wenn ich mir den Unterschied zwischen einem deutschen Bauern und einem afghanischen Bauern, oder einem syrischen, oder einem äthiopischen klar mache, dann weiß ich, dass auch hier Welten dazwischen liegen.

Genau das zu verstehen,  ist wichtig. Wir alle haben Möglichkeiten: die, die uns von Gott gegeben sind.  Wir alle sind Produkt unserer Umgebung, unserer Erziehung, unserer Kultur. Wir alle müssen lernen, die Messlatte nicht am höchsten Punkt anzusetzen, sondern an einem realistischen – und der fängt dort an, wo der Wille und das Bemühen, eine fremde Sprache zu lernen, anfängt. Egal, auf welchem Niveau man anfängt und egal, welches man erreichen kann. Nur so kann aus Fremdheit Gemeinschaft werden.

Lernen durch Begegnung

in Integrationskursen

Die aktuelle Hauptvorlage der Landeskirche befasst sich intensiv mit dem Thema Migration und ermutigt, Verantwortung zu übernehmen. Vielfalt als Geschenk solle die interkulturelle Entwicklung von Kirche fördern. Integrationskurse sind ein Baustein, um Geflüchteten und Zugewanderten eine neue Perspektive aufzuzeigen.

Der Träger Evangelisches Erwachsenenbildungswerk Westfalen Lippe e.V. bietet in Geseke und Lippstadt Sprach- und Orientierungskurse nach Integrationskursverordnung  in Teilzeit an. Geseke ist seit 2006 vom Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge als Kursort für sogenannte  Integrationskurse anerkannt. Nach vielen guten Jahren im Bodelschwingh-Haus wird dieses bald komplett umgebaut so dass die Sprachkurse samt Büro in den Sommerferien umgezogen sind und jetzt in der Schlaunstraße 10 stattfinden

Pfarrer und Pastoralverbundsleiter Rainer Stahlhacke und Mitglied des Kirchenvorstands  Franz-Josef Ramm vermieten die neuen Räumlichkeiten im Gemeindehaus  St. Marien. Marion Blobel und ihr Team betreuen einige Kinder der Kursteilnehmenden während des Unterrichts. Claudia Büker und Melanie Schlottmann verwalten die Sprachkurse und beraten die Teilnehmenden auch in vielen Alltagsfragen. Lena Husemann leitet aus Soest die ev. Erwachsenenbildung. Als Lehrkräfte haben sich Petra Schröter und Willi Dorok bewährt. Die Teilnehmenden melden eine gute Lernatmosphäre und ein warmes Miteinander zurück.

Kursleiterin Petra Schröter mit einer Teilnehmerin an der Tafel