Die gelben Häuser der Hoffnung

Erstellt am 03.11.2021

Superintendent Dr. Manuel Schilling besucht mit Delegation aus Kirchenkreis die neue ZUE in Soest

In der ehemaligen Kapelle sind Empfang und erste Anlaufstation für die Geflüchteten untergebracht. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Die Sonne ist eine Betrügerin. Sie taucht das Gelände der ehemaligen Kanaal van Wessem Kaserne im Soester Süden in ein herbstmildes Licht und lässt die gelben Häuserwände leuchten. Darüber spannt sich ein wolkenloses Himmelblau. Auf den ersten Blick ein idyllisches Stückchen Erde. Erst wenn man in die Gesichter der Menschen schaut, die hier leben, kann man erahnen, welches Leid, welche Furcht, welche Ängste, welche Strapazen hinter diesen über 600 Frauen, Männern, Kindern liegen.

Das wird auch beim Spiel der Kinder deutlich, die auf dem Gelände toben. Aus bunten Legosteinen haben sich einige von ihnen Waffen gebaut: Pistolen, Gewehre. Einer hat sogar eine Kalaschnikow zusammengebastelt, die in Proportionen und Aussehen dem Original sehr nahe kommt; nur eben deutlich bunter. Kein Wunder: In Ländern wie Syrien oder Afghanistan, wo Tod und Terror allgegenwärtig sind, haben die Kinder häufig nichts anderes als Krieg kennengelernt. Unbeschwertes Spielen, wie es die meisten Kinder in Deutschland erleben, haben sie bisher nicht erfahren dürfen.

Monatelang - manche jahrelang – waren sie auf der Flucht. Auf der Flucht vor Krieg, Folter, Tod, Gewallt, staatlicher Willkür, vor Hunger, Durst, Ungewissheit. Über viele tausend Kilometer haben sie sich auf den Weg ins vermeintlich gelobte Land gemacht. Jetzt sind sie an einem Ort gelandet, dem der Staat das Wortungetüm „Zentrale Unterbringungs-Einrichtung“ (ZUE) verpasst hat. Aber allemal besser als der Begriff Lager, der noch vor gar nicht langer Zeit für solche Einrichtungen gepflegt wurde.

Der Superintendent des Kirchenkreises Soest, Dr. Manuel Schilling, hat jetzt mit einer kleinen Delegation, der Emmaus-Pfarrer Stefan Weyer, Zeinab El Zein von der Flüchtlingsberatung der Diakonie sowie Elisabeth Patzsch, Koordinatorin der Flüchtlingshilfe im Kirchenkreis Soest-Arnsberg, angehörten, die ZUE besucht, die seit knapp einem halben Jahr am Start ist.

Bereits im März hatte Schilling der ZUE in Echtrop einen Besuch abgestattet und sich vor Ort informiert. „Das nimmt mich sehr mit“, hatte er damals nach Gesprächen mit den Verfahrensberatern formuliert.

In Soest wurde die Gruppe jetzt von Vertreterinnen der Bezirksregierung und den Maltesern, die die Einrichtung betreuen, empfangen und über das weitläufige Gelände geführt. „Aus unserer Sicht ist es ein christlich-ethischer Anspruch, diesen Menschen Schutz zu geben“, hatte Schilling gleich zu Beginn des Gesprächs die Position der Evangelischen Kirche zur Flüchtlingsthematik deutlich gemacht und darauf verwiesen, wie wichtig es sei, eine Brücke zwischen den Geflohenen und der Gesellschaft in Stadt und Land zu bauen: „Wir wissen natürlich um die Gefahr der Spaltung und um den Hass, der diesen Menschen oft begegnet. Umso wichtiger ist es für uns als Kirche, dem entgegen zu wirken und aktiv am gegenseitigen Verständnis zu arbeiten.“

Ein Angebot, das Einrichtungsleiterin Sabine Heynen dankend annahm: „Wir sind darauf angewiesen, von außen mitgetragen zu werden, nur dann wird eine Einrichtung wie diese von der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert.“

Die Frauen, Männer und Kinder, die in den für knapp 37 Millionen Euro vom Land durchrenovierten, ehemaligen Kasernenblöcken leben, bezeichnete Heynen als „Menschen auf Zeit“. Unter den aktuell 630 Menschen sind über 200 Kinder. Deshalb gibt es eine Kinderbetreuungseinrichtung und ein schulisches Angebot, das von Lehrerinnen und Lehrern der Soester Gesamtschule möglichst täglich an den Wochentagen vorgehalten wird.

„Es handelt sich um ein schulnahes Bildungsangebot“, erläutert Ursula Reuß, zuständig für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen bei der Bezirksregierung Arnsberg. Aktuell werden 120 Kinder im Alter zwischen 6 und 17 Jahren „beschult“. Reuß: „Das wird gut angenommen. Für viele der Kinder ist es das erste Mal, dass sie überhaupt eine Schulbank drücken. Deshalb ist jeder Tag, an dem unser Angebot angenommen wird, auch ein Erfolg.“

Während die Familien möglichst schnell (maximal sechs Monate) anderen Kommunen zugewiesen werden sollen, um ihnen zumindest so etwas wie eine vorläufige Zukunftsperspektive zu geben, ist das bei den alleinreisenden Geflüchteten (in der Regel Männer) etwas anders. Sie können bis zu zwei Jahre in der Einrichtung bleiben.

Um sie kümmern sich vor allem Alisa Riehemann, stellvertretende Leiterin des Malteser-Betreuungsdienstes, und Umfeld-Manager Jakob Schulte mit einem vielköpfigen Team. „Wir sind für die Tagesstruktur zuständig“, skizziert Riehemann das Aufgabenfeld, zu dem Qualifizierungsangebote (vor allem Sprache) ebenso gehören wie etwa ein Job-Screening. „Wir wollen gemeinsam mit dem Geflüchteten eine Perspektive entwickeln, aber auch Werte und Normen vermitteln, die für ein konfliktarmes Zusammenleben wichtig sind.“

Inwieweit das gelingt, hängt natürlich immer von jedem einzelnen ab. „Das ist wie überall“, erläutert Sabine Heynen, „letzten Endes muss man es auch wirklich wollen. Wir können nur Angebote machen.“

Beim anschließenden Rundgang zeigten sich Superintendent Dr. Manuel Schilling und seine Begleiter sichtlich angetan von der Einrichtung und dem Engagement der dort Arbeitenden. „Ich bin wirklich tief beeindruckt“, sagte Schilling. „Wir als Kirche müssen nun Wege und Möglichkeiten finden, wie wir Ihre Arbeit hier vor Ort unterstützen können. Darüber werden wir uns nun Gedanken machen und dann wiederkommen. Das sehe ich nach diesem Gespräch als unseren Auftrag an.“

Seit April ist die neue Einrichtung in Soest am Start. Hier finden die Geflüchteten eine erste Bleibe auf Zeit, nachdem sie zuvor monate- manchmal jahrelang unterwegs waren.

Gemeinsam mit einer kleinen Delegation aus dem Kirchenkreis – von links: Zeinab El Zein, Stefan Weyer, Elisabeth Patzsch - hat Superintendent Dr. Manuel Schillings (rechts) die ZUE besucht und wurde dort von Vertreterinnen der Bezirksregierung und der Malteser empfangen: Alisa Riehemann (4. von links), Bettina Höfer, Lara Sippel, Ursula Reuß und Sabine Heynen.

100 Beschäftigte

In Nordrhein-Westfalen kommen Geflüchtete zunächst in die Landes-Erstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Bochum. Von hier werden sie nach einer medizinischen Erstversorgung sowie nach Klärung der Personalien in eine Erstaufnahme-Einrichtung (EAE) verwiesen. Dort finden medizinische Untersuchungen, teilweise weitere Registrierungen und die Asylantragstellung beim BAMF statt. Von dort geht es weiter in eine Zentrale Unterbringungs-Einrichtung (ZUE). Im Kreis Soest gibt es davon mit Soest, Echtrop und Wickede aktuell drei. Ziel ist es, nach vergleichsweise kurzer Zeit den Flüchlingsstatus festzustellen und eine Weiterleitung in eine Kommune zu ermöglichen.

Die ZUE in Soest ist seit April dieses Jahres am Start und ist für bis zu 1200 Menschen ausgelegt. Zuletzt hat es einen vergleichsweise starken Zuwachs gegeben, weil ein Teil der Menschen aus den Evakuierungsflügen aus Afghanistan, die nach Nordrhein-Westfalen gekommen sind, Soest zugewiesen wurden. Das waren nach Auskunft der Bezirksregierung etwa 200 Frauen Männer und Kinder.  

In der Soester Einrichtung gibt es knapp 100 Stellen für die Betreuung der Geflüchteten sowie die Organisation der Einrichtung.