Musik als Auszeit von Corona und Krieg

Erstellt am 06.05.2022

Stadtoper-Projekt hält am Aufführungstermin fest / Zwei Drittel Haydn, ein Drittel Musical

Im Singkulturhaus AlmaViva läuft die Nähmaschine heißt: Hauptdarstellerin Cornelia Fisch (links) näht im Akkord Kissenbezüge für das Bühnenbild der Oberwelt, Regieassistentin Jennifer Tilesi Silek darf schon mal Probe liegen. Fischs Ehemann Michael Busch, musikalischer Leiter der Stadtoper, darf sich mit den harten Holzstühlen der Unterwelt begnügen. Foto: Bunte

 

Von Klaus Bunte

Soest – Die Unsicherheit in der Kulturbranche ist groß. Jetzt, nach zwei Jahren Corona, Auftritts- und somit auch Arbeitsverbot, wo es doch endlich wieder möglich ist, aufzutreten – kann und darf man in Zeiten des Krieges gegen die Ukraine überhaupt auftreten? Kann man da überhaupt Kultur und Zerstreuung anbieten? Oder sollte oder müsste man es gerade jetzt erst recht?

Das sind Fragen, die nicht nur Komiker, die ihr Publikum mit mehr oder minder seichter Unterhaltung zum Lachen bringen wollen, umtreiben. Auch Cornelia Fisch und ihr Mann Michael Busch, Leiter des Singkulturhauses Alma Viva und die Köpfe hinter den bislang sechs Soester Stadtopern, hadern mit sich. Steht doch am 19. Mai die Premiere ihrer ganz speziellen Version von „Orpheus und Eurydike“ in der Fassung Joseph Haydns an. Während in der Ukraine die Bomben fallen.

„Aber wir sehen die Stadtoper einfach auch als Möglichkeit, den Menschen nach zwei Jahren Corona und in Zeiten des Kriegs etwas anderes zu bieten, etwas Ablenkung von den Bildern aus der Ukraine“, meint Michael Busch, „kleine Momente des Glückes und Auszeiten von Corona. Die Musik hält einen auch in schlimmen Zeiten hoch“, ergänzt seine Frau. „Dennoch wird man dann gleich das Gefühl nicht los, man handele egoistisch, ebenso, wie wenn man seinen Urlaub plant. Dürfen wir das, wenn andernorts die Menschen sterben? Müssen wir ein schlechtes Gewissen haben, dass wir in einem großen Haus wohnen?“

Holzstühle in der Unterwelt

Gut, das große Haus ist ein Bed & Breakfast, bildet neben der Musik die zweite Einnahmequelle des Künstlerehepaares, „und wir haben der Stadt auch eines der Zimmer für Flüchtlinge angeboten, aber bislang kam noch niemand auf uns zu“, erzählt Busch. „Und in die Planungen zur neuen Stadtoper stiegen wir bereits vor Ausbruch der Pandemie ein. All die Arbeit möchten wir jetzt auch ungern über den Haufen werfen. Und wer pleite geht, kann nicht spenden, um den Ukrainern beim Wiederaufbau zu helfen.“

Was ihnen die eigenen Gewissensbisse etwas genommen habe, sei ihre Aktion in der Fußgängerzone gewesen. Dort verteilten sie Handzettel. Negative Reaktionen oder „Wie können Sie nur?“-Fragen seien ausgeblieben, im Gegenteil, atmet Cornelia Fisch auf: „Eine Frau zum Beispiel sagte mir: Hätte ich jetzt die vergangenen beiden Jahren die Musik nicht gehabt, ich glaube, ich wäre verrückt geworden. Selber zu musizieren und zu singen habe sie durch die Zeit getragen. Ganz viele sagten: Endlich ist wieder etwas los, endlich wieder Kultur, endlich ein wenig den Kopf frei bekommen. Es war so schön, so etwas auch von Menschen zu hören, die wir bislang nicht kannten.“

Dreimal führt das Paar mit Busch als musikalischem Leiter und dem bewährten Regisseur Friedrich von Mansberg vom Theater Lüneburg im Raum Schroth des Museums Wilhelm Morgner auf. Obwohl es sich um eine Haydn-Oper handelt, spricht die Produktion kein reines Klassik-Publikum an. Denn zu den Mitwirkenden zählen die Musicaldarsteller Navina Heyne und Sascha Littig.

Für ihre Parts wurde gemäß ihrem Genre eigens Musik hinzukomponiert von Daniel Stickan aus Lüneburg und auf Grundlage von Texten Elfriede Jelineks. Die  österreichische Schriftstellerin hatte 2013 für ihr Stück „Schatten (Eurydike sagt)“ den Mythos auf den Kopf gestellt und Eurydike, die ja eigentlich vom ihrem kühnen Liebsten aus der Unterwelt errettet werden soll, als selbstbewusste Frau der Gegenwart dargestellt, Orpheus hingegen als egoistischen, selbstverliebten Macho. Heyne teilt sich ihr Rolle mit Cornelia Fisch.

 

Unterstützung erhält das Leitungstrio von einer jungen Soesterin, die den Weg ins professionelle Theaterfach und nach Köln gefunden hat, derzeit aber aufgrund der Corona-bedingten Pause wieder in der Heimat lebt, wo sie einst schon Unterricht bei Cornelia Fisch nahm, „und in der Zauberflöte“, der Stadtoper von 2005, „spielte ich eine Maus“, amüsiert sich Jennifer Tilesi Silke über ihren Aufstieg vom Nager zur Regieassistentin. Im Dezember war sie mit dem Kölner „Ensemble Integral“ mit „Der Schatten“ (trotz gleichen Titels nicht Jelinek, sondern Hans Christian Andersen) in Neu St. Thomä zu sehen.

Der Platz im Raum Schroth ist eingeschränkt, ein ausladendes Bühnenbild würde fast den Ausschluss des Publikums bedeuten. Passend zum alten Griechenland geht es also spartanisch zu. Die karge Unterwelt wird durch harte Holzstühle symbolisiert, die komfortable Oberwelt durch jede Menge weiche Kissen. Dazu rattert im mechanischen Staccato noch Cornelia Fischs alte Nähmaschine, mit der sie im Akkord Kissenhüllen näht.

Finanziert wird die Produktion durch die Eintrittsgelder und den Förderverein, den „Freundeskreis Musikkultur“, aber auch durch eine ganze Reihe von Sponsoren und Stiftungen. Zusätzlich wurde ein Crowdfunding ins Leben gerufen, das bislang aber erst einen Bruchteil der angestrebten Fördersumme erzielt hat. Es läuft noch bis zum 6. Juni. Der Link: www.viele-schaffen-mehr.de/projekte/stadtopersoest2022

 

Tickets und Termine

Premiere am Donnerstag, 19. Mai, 19.30 Uhr, 2. Aufführung am Samstag, 21. Mai, 19.30 Uhr, 3. Aufführung Sonntag, 22. Mai, 18 Uhr. Einführung jeweils eine halbe Stunde vor Beginn. Tickets erhältlich über Hellweg-Ticket, im Singkulturhaus AlmaViva und an der Abendkasse zum Preis von 25 Euro.