Gemeinde-Schiff in schwerer See

Erstellt am 03.03.2023

Kirchengemeinde trennt sich von Markuskapelle in Sichtigvor

Mit der Osterkerze vorneweg zog die Gemeinde aus der Markuskapelle und brachte die liturgischen Gegenstände zum Auto des Pfarrers. Fotos: Hans-Albert Limbrock

 

Von Hans-Albert Limbrock

Warstein. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, befindet sich in schwerer See; es wird immer schwieriger, es auf Kurs zu halten, um es sicher und wohlbehalten in den nächsten Hafen zu bringen. Diese Erkenntnis ist bei den meisten Gemeindegliedern inzwischen angekommen. Vielleicht auch deshalb sangen sie bei der Entwidmung der Markuskapelle in Sichtigvor die vier Strophen des bekannten Kirchenliedes besonders laut und inbrünstig mit.

Pfarrer Uwe Müller ist der Kapitän dieses angeschlagenen Schiffes. Ein Kapitän, dem es sicht- und hörbar schwerfiel, seine Trauer, Wut, Angst und Sorge zu verbergen. „Dies ist ein ganz besonders trauriger Anlass für unsere Gemeinde“, sagte er in einer gut besetzten Kirche, die zum letzten Mal nach über 125 Jahren Austragungsstätte eines Gottesdienstes war.

Er habe in der Nacht zuvor schlecht geschlafen, teilte er der Gemeinde mit. Schließlich sei dies nach Rüthen und Kallenhardt schon die dritte Kirche, die in seinen mehr 25 Dienstjahren in seiner Gemeinde aufgegeben werde: „Das tut weh. Das ist bitter und traurig. Wir geben hier einen Standort evangelischen Lebens auf.“ Der Grund: Gottesdienste in der Markuskapelle seien sehr teuer. Das liege an der Heiztechnik (Nachtspeicheröfen) sowie in der aufwändigen Pflege des weitläufigen, idyllisch gelegenen Grundstückes. Müller: „Wir können uns das einfach nicht mehr leisten.“ Und man müsse auch ehrlich zu sich selbst sein: „Die Zahl der Gemeindeglieder ist inzwischen sehr überschaubar.“ Auch deshalb sei diese Entscheidung alternativlos.

Fast fünf Generationen haben in dem zwar kleinen, aber schmucken Kirchlein Gottesdienste gefeiert, geheiratet, sind getauft, konfirmiert worden und haben hier ihre Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen vor Gott getragen. So zum Beispiel auch Ortsvorsteherin Heike Kruse, deren Kinder hier getauft wurden: „Das ist für uns alle ein schwerer Tag heute.“

Und auch Uwe Müller war sich sicher: „Es wird Tränen geben.“ Und dennoch sei der Tag der Entwidmung auch ein Tag des Aufbruchs. Das verdeutlichte auch der aus Soest angereiste Superintendent Dr. Manuel Schilling: „Die Geschichte von Gott und Sichtigvor ist noch lange nicht zu Ende.“ Und er empfahl: „Bleiben sie beweglich wie Jesus.“

Das werden die Menschen im Möhnetal nun auch sein müssen, wenn sie künftig zum Gottesdienst nach zum Beispiel Warstein oder Belecke wollen. Der Pfarrer versprach, dass man sie dabei mit einem Fahrdienst unterstützen wolle, denn wichtig sei es, dass man einen Ort habe, wo man sich zugehörig fühle. Und den werde es nach der Entwidmung auch weiterhin geben. Schließlich sei die Region WAGE – was für Warstein, Anröchte, Geseke und Erwitte steht – auf einem guten Weg, neue Heimat für die Gläubigen zu werden.

Fast schon zur eigenen Ermutigung sangen abschließend alle: „Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt! Er kommt uns selbst entgegen. Die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.“

In einem symbolischen Akt wurden die liturgischen Gegenstände final aus der Kirche getragen und an der Möhnestraße in das Auto des Pfarrers gebracht. Noch gibt es keine konkrete Verwendung für sie. Aber das werde sich ergeben, bleibt Uwe Müller zuversichtlich.

Dort unten, in der Sonne dieses kalten Februartages formulierte Schilling mit Blick auf die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gottesdienstes noch eine Hoffnung: „Ihr Jugendlichen werdet den Tag  nicht so schnell vergessen und vielleicht noch euren Kindern und Enkelkindern davon erzählen. Hoffentlich könnt ihr dann auch davon erzählen, dass ihr die Kirche weitergebaut habt.“

Superintendent Dr. Manuel Schilling zeigte Verständnis für die Wut und Trauer der Gläubigen.

Pfarrer Uwe Müller musste nach Rüthen und Kallenhardt nun schon die dritte Kirchenschließung in seinem Verantwortungsbereich begleiten.

Mitglieder der Kirchengemeinde lasen zum letzten Mal die Fürbitten und verdrückten dabei auch die ein oder andere Träne.

Vor allem den jungen Teilnehmenden sprach Dr. Schilling Mut und Zuversicht zu.