Zukunft wie in Stein gemeißelt

Erstellt am 22.03.2023

Nele Dreizehner macht in der Dombauhütte eine Ausbildung zur Steinmetzin und Steinbildhauerin

Nicht nur eine Frage von Kraft; in der Steinbildhauerei kommt es auch auf Technik und Sensibilität an.

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Man könnte vortrefflich auf der Klaviatur der Klischees spielen. Beispiele gefällig: Die Frau, die in einem Männerberuf ihren Mann steht. Oder: Unter zarten Frauenhänden wird harter Stein wachsweich. Aber das würde weder Nele Dreizehner noch der Realität gerecht. Und dennoch: Dass Frauen in Bauhütten als Steinmetzin arbeiten, ist immer noch die Ausnahme, wie auch das Rechtschreibprogramm des Computers bestätigt, der das Wort Steinmetzin nicht kennt. Aber es werden ständig mehr - und das ist auch gut so.

Dass die aus der brandenburgischen Kreisstadt Herzberg stammende Nele Dreizehner in der Soester Bauhütte der Wiesenkirche gelandet ist, ist dabei nach ihren eigenen Angaben „purer Zufall“. Auch die Tatsache, dass Soest Partnerstadt von Herzberg ist, habe dabei keine Rolle gespielt: „Soest war mir vorher eigentlich kein Begriff.“ Umso mehr hat sie die Stadt in den knapp anderthalb Jahren, in denen sie hier nun schon in der Ausbildung ist, lieben und schätzen gelernt.

„Nele macht das einfach fantastisch. Sie ist ein absoluter Gewinn für unser Team. Sie ist gleichermaßen robust wie sensibel – zwei wichtige Eigenschaften, um die Steinbildhauerei zu erlernen“, lobt der, der es wie kein Zweiter wissen muss. Als Dombaumeister hat Jürgen Prigl bisher sieben Lehrlinge sowie knapp achtzig Meisterschüler betreut und ihnen das uralte Handwerk beigebracht. Inzwischen ist er zwar (offiziell) im Ruhestand, begleitet die Restaurierung und Sanierung der Wiesenkirche aber immer noch intensiv und ist so auch für Nele Dreizehner ein herausragender Lehrmeister. „Von Herrn Prigl kann ich unendlich viel lernen; ein absoluter Glücksfall für mich.“

Nach dem Abitur vor knapp zwei Jahren waren für die junge Frau vor allem drei Dinge wie in Stein gemeißelt: erstens kein Studium, zweitens etwas Kunsthandwerkliches und drittens weg von der brandenburgischen Heimat: „Ich wollte und musste einfach mal etwas anderes sehen.“

Die Liebe zum Handwerk ist ihr dabei quasi in die Wiege gelegt worden, denn schon als Kind und als Jugendliche hat sie viel mit ihrem Vater gewerkelt. „Da haben wir vor allem mit Metall gearbeitet.“ Holz wäre als Werkstoff bei der Berufswahl auch noch eine Option gewesen, in der Beziehung war die inzwischen 20-Jährige absolut offen. Also hat sie erst einmal Bewerbungen geschrieben und ist mit der Härte der Realität konfrontiert werden, dass zwar alle Handwerks-Branchen unter dem Fachkräftemangel leiden und darüber stöhnen; aber man noch nicht einmal eine Absage auf eine Bewerbung bekommt. Über achtzig Bewerbungen hat sie geschrieben, auf eine Vielzahl gab es keine Reaktion.

Umso erfreuter war sie dann, als Post aus dem westfälischen Soest ins Haus flatterte. Bewerbungsgespräch, Probezeit – und Nele hatte eine Ausbildungsstelle, von der sie heute sagt: „Ein Volltreffer. Ich wollte immer etwas mit meinen Händen schaffen und mich mit dem Material, das ich bearbeite, weiter entwickeln. Und genau das kann ich hier, einfach traumhaft.“

Die anfänglichen Schwierigkeiten hat sie längst überwunden, und auch die zu Beginn noch fehlende Kraft, die schweren Hämmer und Meißel zu schwingen, ist längst kein Problem mehr. Im Gegenteil – „am Stein“ geht sie vollauf auf: „Dieses Spannungsfeld zwischen grober Kraft, die man einsetzen muss, und dem filigranen Herausarbeiten von Strukturen oder Figuren – das gibt es so nur in der Arbeit mit Stein.“

Und da es nicht so ist, wie man als Laie vielleicht glauben mag, dass Kraft der entscheidende und alleinige Faktor ist, sondern, dass es in erster Linie auf Technik, ein gutes Auge und die nötige Sensibilität ankommt, kann sie ihre Stärken wunderbar einbringen. „Die Kraft kommt sowieso mit der Zeit“, hat sie in den fast anderthalb Jahren ihrer Ausbildung festgestellt.

Dass sie zudem mit der Wiesenkirche an einem Bauwerk arbeiten darf, das vor 710 Jahren mit dem Anspruch für Jahrhunderte gebaut wurde, ist ihr dabei mehr als bewusst: „Das hier ist etwas ganz Besonderes. Vor allem, wenn ich auf dem Turm arbeite, spüre ich, dass das hier für die Ewigkeit ist. Es ist einfach ein wunderschönes Monument, man baut eine Beziehung zu solch einem Bauwerk auf; das ist dann schon mehr als nur noch Stein.“

Für ihre weitere berufliche Laufbahn hofft sie, „weiter im System Bauhütte bleiben zu können. Ich sehe meine Zukunft auf jeden Fall weiter im Kunsthandwerk.“ Aber das ist aktuell noch Zukunftsmusik: Demnächst steht erst einmal die Zwischenprüfung an, danach beginnt die zweite Hälfte der Ausbildung. Doch schon jetzt scheint festzustehen, dass Nele Dreizehner ihren Weg gefunden hat und ihn konsequent gehen wird.

Vom Meister lernen: Jürgen Prigl ist erfreut, mit Nele Dreizehner nun zum ersten Mal einen weiblichen Lehrling in der Dombauhütte betreuen zu können, links: Geselle Jonathan Schulze. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Eine Fülle von Meißeln und Hämmern steht zur Bearbeitung der Steine zur Verfügung.