Der Tod als Erlösung

Erstellt am 25.09.2024

Pfarrkonferenz des Kirchenkreises beschäftigt sich mit Thema "Assistierter Suizid"

Bestatter Eckhard Gauseweg und Pfarrerin im Probedienst Anika Prüßing informierten die Pfarrkonferenz des Evangelischen Kirchenkreises über das sensible Thema „Assistierter Suizid“. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Meschede. Die Kirche und der Tod. Zwei Themen, die untrennbar zueinander gehören. Für die Pfarrerinnen und Pfarrer ist es fast schon Tagesgeschäft, Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten und den Hinterbliebenen Trost und Zuversicht in schwerer Zeit zu spenden. Was aber, wenn jemand freiwillig aus dem Leben scheiden will? Wenn jemand von einer so großen Todessehnsucht erfüllt ist, ja buchstäblich des Lebens müde ist – ja was dann?

„Ein schwieriges Thema, mit dem wir uns als Evangelische Kirche immer schon schwer getan haben und es auch heute noch tun“, räumte Petri-Pfarrer Christian Casdorff (Soest) bei der jüngsten Pfarrkonferenz ein. Weil es aber ein Thema ist, dem man sich stellen muss, hatte es Pfarrerin im Probedienst Anika Prüßing, die in diesen Tagen in Werl ordiniert wird, ins Zentrum der monatlichen Zusammenkunft gestellt. Die fand  dieses Mal im Pfarrzentrum in Meschede statt.

Prüßing selbst hat dem Thema „Assistierter Suizid und die Rolle der Seelsorgenden“ breiten Raum in ihrem Theologie-Studium gewidmet. Mit Eckhard Gauseweg, der sich selbst als „Der Fährmann“ bezeichnet, hatte sie jemanden eingeladen, der beruflich den Tod zu den Menschen bringt. Deutlich über vierhundert Männern und Frauen hat Gauseweg schon geholfen, „auf die andere Seite zu kommen.“

Im Auftrag des in Hamburg ansässigen Vereins „Deutsche Sterbehilfe e.V.“ sucht der aus Warstein-Belecke stammende Bestatter bundesweit Menschen auf, die nicht mehr leben können oder nicht mehr leben wollen. Beim ersten Besuch führt Gauseweg Gespräche, die auf Video aufgezeichnet werden und versucht, die Motivation, die hinter dem Todeswunsch steht, herauszufinden.

Dies können ganz unterschiedliche Gründe sein: Eine Krankheit, die nicht heilbar, mit Schmerzen und Einschränkungen verbunden ist, die jegliche Lebenslust nehmen. Psychische Erkrankungen wie schwere Depressionen oder auch der Wunsch, nach dem Verlust des geliebten Partners nicht alleine zurückzubleiben, sondern diesem zu folgen. Gauseweg räumte dabei gleich zu Beginn mit der Vorstellung auf, dass der Gesetzgeber den so genannten assistierten Suizid nur bei schwerer, aussichtloser Krankheit erlaube: „Sterbehilfe ist in Deutschland aus vielerlei Gründen erlaubt. Wir alle dürfen ohne eine todbringende Krankheit freiwillig sterben.“

Viele Wünsche werden abgewiesen

Dem ersten Gespräch mit dem Todeswilligen folgen weitere, hinzukommen Gutachten von Psychologen und unabhängigen Ärzten. Erst, wenn das Bild komplett ist, tritt der elf- bis siebzehnköpfige Ethikrat des Sterbehilfe-Vereins zusammen und gibt grünes Licht – oder auch nicht: „Viele Wünsche werden abgewiesen – und das aus den unterschiedlichsten Gründen.“ Sieht der Ethikrat den Wunsch und die Gründe, selbststimmt aus dem Leben ausscheiden zu dürfen, als ausreichend an, macht sich Gauseweg  quer durch die Republik auf den Weg. Im Gepäck hat er dann drei Medikamente: einen Magenschoner, ein hochdosiertes und schnell wirkendes Schlafmittel und schließlich das Medikament,  das den Tod durch Herzstillstand bringt. Alle drei Medikamente müssen selbst- und eigenständig von den Sterbewilligen eingenommen werden. „Der Todeseintritt kann unterschiedlich lange dauern. Aber man stirbt, wie wir uns das fast alle wünschen: Einschlafen und einfach nicht mehr aufwachen.“

Auch nach inzwischen deutlich über vierhundert Todesbegleitungen ist der Belecker überzeugt, das Richtige zu tun: „Mich machen dieser Beruf und diese Berufung richtig glücklich. Es ist meine innerste Überzeugung, dass es nach dem Tod gut wird. Und wer Menschen erlebt, die ein oft jahrelanges Martyrium ohne Hoffnung auf Besserung hinter sich haben; Menschen, deren Leben nur noch aus Leid und Schmerzen besteht, kann verstehen, dass sie nicht mehr leben wollen. Für diese Menschen kann der Tod ein großes Glück, im wahrsten Sinne eine Erlösung und ein Segen sein.“

„Selbstbestimmtes Sterben“ ist natürlich umstritten. Das wurde auch bei der anschließenden und zum Teil auch kontrovers geführten Diskussion mit den Pfarrerinnen und Pfarrern deutlich. Pfarrerin Kathrin Günther (Marsberg) etwa formulierte stellvertretend für viele das Unbehagen, das sich bei den Erklärungen von Eckhard Gauseweg eingestellt habe: „Ich stehe auf dem Standpunkt, dass Gott Leben schenkt und daher auch nur Gott das Leben nehmen kann.“

Einig waren sich allerdings alle darin, dass man sich diesem Thema nicht verschließen kann, sondern der Diskussion stellen müsse. „Die Rolle des Seelsorgenden ist es, den Menschen zu zuhören. Das ist meiner Meinung nach die beste Suizid-Prävention. Für mich steht fest, dass Seelsorge beim assistierten Suizid nicht wegzudenken ist“, sprach Anika Prüßing so etwas wie ein Schlusswort.

Hat schon über vierhundert Menschen beim selbstbestimmten Sterben unterstützt: Eckhard Gauseweg aus Warstein-Belecke.

Über 400 Menschen – die Jüngste war 24, der Älteste 99 Jahre - hat Gauseweg bereits beim „selbstbestimmten Sterben“ unterstützt. Es wären vermutlich noch ungleich mehr, hätte das Bundesverfassungsgericht diese Form der Sterbehilfe nicht 2015 zunächst verboten. Erst seit Frühjahr 2020 haben die Richter das Urteil revidiert. Seitdem gibt es im allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) als „Ausdruck der persönlichen Autonomie“ ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.