Und plötzlich ist der Krieg ganz nah

Erstellt am 22.11.2024

Fotoausstellung und Gesprächsrunde im Bürgerzentrum „Alter Schlachthof“ gehen unter die Haut

Berichteten über ihr Leben in der Ukraine vor dem Krieg (von links): Olga Ihnatenko, Iryna Gutsmann, Oleksandra Kondratieva und Roksolana Yerchenko. Foto: Hans-Albert Limbrock

 

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Mehr als 1000 Tage Krieg. Mehr als 1000 Tage, die inzwischen dafür gesorgt haben, dass der Krieg in der Ukraine für uns Alltag; Routine geworden ist. Wenn aus den Fernsehnachrichten Bilder von zerstörten Häusern nach russischem Bombardement in unsere Wohnstuben flimmern, nehmen wir das fast schon mit der gleichen Gelassenheit hin wie den Wetterbericht  oder die Bundesliga-Ergebnisse.

Und doch ist der Krieg ganz nah, mitten in Europa. Ein Krieg, der uns eigentlich alle betrifft. Wie nah er wirklich ist und welche Auswirkungen Bomben, Tod und Terror haben, das machten bei einer Diskussionsveranstaltung der Soester Gruppe von Amnesty International mehrere Frauen deutlich, die aus der Ukraine stammen und vor dem Krieg nach Deutschland geflüchtet sind.

Nachdem der Soester Journalist Martin Huckebrink zu Beginn mit einem Rückblick in das Thema eingeführt hatte, dauerte es im Bürgerzentrum „Alter Schlachthof“ nur wenige Augenblicke, bis die ersten Taschentücher gezückt wurden. Eindringlich, intensiv und sehr persönlich schilderten die Frauen, wie sie den Moment des Kriegsausbruchs und die Tage danach erlebt haben. Wie ihnen  ziemlich schnell klar wurde, dass dieser Krieg nicht nur wenige Tage dauern würde und sie deshalb mit ihren Familien nur einen Ausweg gesehen haben: die Flucht in den Westen.

„Wir hatten ein tolles Leben bis dahin“, schilderte Olga Ihnatenko und ergänzte dann mit tränenerstickter Stimme: „Der Krieg hat alles geändert.“ Von ihrer Heimat Bachmut, einst eine blühende Stadt in der Nähe zur russischen Grenze, sind fast nur noch Trümmer übrig. Eine Rückkehr? Irgendwann? Schwer vorstellbar. Ihnatenko: „Die Situation wird ja täglich schlimmer.“

Auch Oleksandra Kondratieva, von Beruf Musikerin, berichtete von einem guten Leben vor dem Krieg: „Es war alles super bis zum 24. Februar 2022. Ich hatte alles und konnte mir nicht vorstellen, dass es einmal Krieg geben würde. Krieg? Wir lebten doch im Jahr 2022.“

Iryna Gutsmann ist schon lange vor dem Krieg nach Deutschland gekommen. Sie lebt und arbeitet inzwischen in der Gemeinde Lippetal, wo sie im Auftrag der Caritas Flüchtlingen – natürlich auch ukrainischen – mit Rat und Tat zur Seite steht. Auch ihr versagte die Stimme, als sie von einem Mädchen, berichtete, welches sie betreut. Regelmäßig habe das Kind am Online-Unterricht ihres ukrainischen Heimatortes teilgenommen. Vor wenigen Tagen sei sie zu ihr gekommen und habe gesagt, dass sie nicht mehr am Unterricht teilnehmen könne: „Meine Schule gibt es nicht mehr. Sie ist zerbombt worden.“

Knapp zwei Stunden berichteten die Frauen, beantworteten Fragen, gaben Einblicke in ihr Seelenleben und sorgten so dafür, dass der ach so ferne Krieg plötzlich ganz nah war. Mitten unter uns.

 

INFO

Die Diskussion war gleichzeitig Auftakt einer Fotoausstellung die Amnesty aktuell in der Gaststätte des Schlachthofes präsentiert. „Ukraine – Alltag im Krieg“ zeigt Fotos der Berliner Foto-Agentur Ostkreuz. Wie leben die Menschen im Krieg? Wie gestalten sie trotz großer Gefahren ihren Alltag? Wie versuchen sie, Hoffnung zu bewahren? Antworten auf diese und noch mehr Fragen geben die Fotos der Ausstellung, die noch bis zum 5. Dezember während der üblichen Öffnungszeiten der Gaststätte zu sehen sind.