Haben alle eine Chance auf Zukunft? - Interkulturelles Theaterstück bringt „Lebenswege“ von Einheimischen und Flüchtlingen hautnah auf die Bühne

Erstellt am 13.03.2019

Von Kathrin Koppe-Bäumer

Brilon. Junge Menschen haben Fragen, egal mit welchem nationalen und kulturellen Hintergrund sie aufwachsen. Die interkulturelle Revue „Lebenswege“ unter der Regie der beiden Briloner Künstlerinnen Beate Ritter und Susanne Lamotte zeigt das: Jugendliche aus Brilon, mit deutschem, spanisch-deutschem, polnisch-deutschem und schweizerisch-deutschem Familienhintergrund bringen ihre bisherigen Lebenswege auf die Bühne: Schule - Ausbildung zur Erzieherin - der Wunsch Schauspieler zu werden - die Sehnsucht nach einem Leben außerhalb einer bürgerlichen Blase, die ja sowieso platzen wird.

Fragen sind da, Lieder und Rituale der Großmütter geben Geborgenheit, stückweise ergeben sich Antworten und Schritte in die Zukunft, die forsch oder zaghaft gegangen werden. Auch wenn Unsicherheit bei allen zum Leben gehört, fällt der Unterschied auf zwischen diesen europäischen Lebenswegen und denen, die junge Männer und Frauen aus dem Iran und aus Syrien nach Brilon geführt haben.

Einzeln betreten sie die Bühne, stellen sich auf zwei Backsteine und erzählen, wie ihr Weg aussieht: geboren in Syrien, im Iran – der Folter entkommen – geflüchtet – in Brilon gelandet – B 1-Kurs besucht -  und nun auf der Suche nach einem Job, einer Wohnung oder der Zulassung zum  B 2 - Kurs.

Verschiedene Bräuche beim Trauern, beim Heiraten, offene Fragen und sehr unterschiedliche Chancen – das wird deutlich: die einen haben viel Sicherheit, singen im Chor, lassen ihre hohen, gut ausgebildeten Stimmen im Briloner Kolpinghaus erklingen, die anderen sind hin – und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach ihrer Heimat, die heute von Gewalt und Lügenpropaganda geprägt ist, und der Sehnsucht nach der Ankunft in einer neuen Heimat.

In dieser wiederum werden sie nicht nur willkommen geheißen. Bürokratische Hemmnisse, Vorurteile der einheimischen Bevölkerung, ganz verschiedene Lebensweisen – die Brücke zum Leben in Deutschland ist wacklig. „Manchmal habe ich das Gefühl, alle hassen mich“ sagt eine junge Iranerin, die vorher erzählt hat, dass sie einen Ausbildungsplatz gefunden hat. Anmutig führt sie den Tanz der jungen Frauen auf der Bühne zur persischen Musik an. Zaki und Kinan Diarbakarli, in Syrien bekannte Musiker, begleiten den Tanz und andere Lieder auf der Oud, einer orientalischen Kurzhals-Laute, und der Darbuka, einer Bechertrommel.

Die Stimmungen zwischen den Theaterszenen wechseln - das Publikum lacht, wenn zwei  Sauerländerinnen beim Friseur sich über die ausländischen Familien beklagen, Gerüchte über die gut aussehende syrische Zahnärztin austauschen und sich fragen, ob die Flüchtlinge das alles überhaupt schaffen können – eine Wohnung finden, Deutsch lernen, einen Ausbildungsplatz finden.


Zutiefst berührende Mitte ist die Szene im Gefängnis: „Stellen Sie sich vor“, sagt ein junger Mann aus Syrien, zusammengekrümmt sitzt er auf einem Hocker. „Stellen Sie sich vor, Sie sind im Gefängnis und da ist der General.“ Der General steht bedrohlich hinter ihm. „Stellen sie sich vor, wie der General sagt: Dieses Gefängnis wirst du nie verlassen, auch wenn dein Körper Tausende von Kilometern entfernt sein wird...“

Wie tröstlich, dass alle immer wieder zu einem Chor werden, Lieder von Bertolt Brecht singen, zusammen tanzen und lebensfroh auf der Bühne spielen. Einfühlsam, anregend und hochmusikalisch gestalten Susanne Lamotte am Klavier und Dirk Mündelein an der E-Gitarre zusammen mit den syrischen Künstlern die Musik. Das Publikum ist fasziniert von dem, was es zu hören und zu sehen gibt. Die Begeisterung äußert sich in lebhaften Pausengesprächen und mündet in lang anhaltendem Schlussapplaus. Das Ensemble bedankt sich bei Beate Ritter und Susanne Lamotte: „Es war nicht immer leicht. Wir danken euch für die feste und geduldige Leitung.“

In sechs Monaten hat die Gruppe in den Räumen der Evangelischen Kirchengemeinde Brilon an je sechs Wochenenden das Stück entwickelt und geprobt. Die Mühe hat sich gelohnt. Gefördert wurde die Arbeit mit Komm An-Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen. Susanne Lamotte und Beate Ritter haben ehrenamtlich gearbeitet: „Wir wollten wieder etwas Integratives machen“, sagen sie. Mit den

„Lebenswegen 2019“ knüpfen sie an die „Lebenswege 2017“ an. Die Gruppe hat sich gegenüber 2017 leicht erweitert. Ihre Ausdrucksfähigkeit, ihre Spielfreude und ihr Gesang haben sich in den  ergangenen zwei Jahren sehr gesteigert. Das Ensemble lebt Integration auf der Bühne beispielhaft vor.

Das Ensemble singt Brecht-Lieder.

Wie wird es weitergehen in Deutschland?

Die syrischen Künstler Zaki und Kinan Diarbakarli

Dank an Susanne Lamotte (links) und Beate Ritter (rechts)