Mit Mistforken für Reformation - Ambitioniertes Filmprojekt spielt den Thomas-Aufstand in der Innenstadt nach

Erstellt am 18.03.2019

Von Thomas Brüggestraße

Soest. „Gebt den Prädikanten frei! Gebt den Prädikanten frei!“ Zum guten Schluss stellt sich Dr. Frieder Schütz vor die Leute und dirigiert mit weit ausholenden Bewegungen den Protest, damit der Aufschrei auch wirklich einen eingängigen Rhythmus hat: Es ist ein Samstag im Winter, und es ist Samstag, ein Markttag.

 Mittelalterfreunde und Schützen haben sich Schlag zwölf am und auf dem Petrikirchhof aufgebaut und schimpfen grimmig in Richtung Rathaus, recken Mistforken, Dreschflegel, Besen und Säbel in die Höhe. Klaus-Dieter Schmidt wieselt mit seiner Filmkamera mal hierhin, mal dorthin und fängt den Auflauf für die Nachwelt ein – natürlich war der Protest pünktlich zum Mittagsläuten nur bestellt, aber dazu später.

Die Wochenmarktbesucher am Samstag haben ihre Einkäufe längst unterbrochen, sammeln sich, um die Szene zu beäugen – immer mehr Schaulustige bleiben stehen: „Das ist ja mal ein schöner Aufmarsch“, witzelt ein Pärchen mit breitem flämischen Akzent: „Macht Ihr schon wieder Schützenfest, oder was wird das hier?“

Dr. Frieder Schütz klärt alle auf, die Fragen haben: „Wir drehen eine Szene zu einem Skandal in Soest von 1531 – am Thomas-Tag, dem 21. Dezember: Da haben sie einen evangelischen Prediger in der Petrikriche vom Altar weg verhaftet. Die wollten nicht, dass die Reformation in Soest Fuß fasst. Das Volk aber, die Soester Bürger und die Schützen, sie liefen zusammen und haben hier vor dem Rathaus protestiert. 3000 Leute waren damals da: Ein Tumult sondergleichen! Der Rat musste sich beugen, und der Bürger-meister war hinterher gezwungen, eine Urkunde zu unterschreiben und damit in Soest das evangelische Bekenntnis zuzulassen…“.

Schütz führt Regie bei einem ambitionierten Filmprojekt, das er zusammen mit Klaus-Dieter Schmidt und Hans-Joachim Schmallenbach umsetzt: „Soest – Geschichte einer Stadt“, ein Spaziergang durch die Zeit und ganz im modernen Mix von Information und Unterhaltung: Kamerafahrten, Totale, Halbtotale, ganz nah ran und gerne auch mit Effekten und ein wenig Pixel-Zauberei –Technik von heute macht das alles möglich, ohne dass die Festplatte qualmt. Es gibt Fakten, Fakten, Fakten und immer wieder Interviews mit Leuten, die sich auskennen. Dr. Norbert Wex zum Beispiel, Leiter des Stadtarchivs.

 

Es gibt viele nachgestellte Szenen, grob angelehnt an das, was war, an das, was Quellen hergeben. Teil eins ist raus und für ein paar Euro in Soest im Petrus-Haus zu haben: Es ist ein Hobby, aber die Materialkosten fürs DVD-Brennen und die Verpackung, sie sollen gedeckt sein, sagt Klaus-Dieter Schmidt dazu, während er die Treppen im Rathaus hinauf hechtet, eine Kamera am langen Arm, dann links herum an schweren, beschnitzten Schränken, einen Flur entlang, dann eins, zwei, drei: Wie jetzt? Die Tür ist zu? So ein Mist aber auch! Nächste Tür. Auch zu. Und noch eine: Glück gehabt, die ist auf. Rein ins Zimmer, Fenster auf und die Kamera einrichten, anschließend flottiflotti die Flure und Treppen wieder hinunter und ab auf den Petrikirchplatz: Die mobile Funkhilfe weist gerade die Komparsen ein – gedreht wird heute für den zweiten Teil der Soest-Geschichte, so ab der Reformation bis zur Industrialisierung.

Sind eigentlich genug Leute da? 3000 Komparsen – das wäre was gewesen! Auf den Aufruf auf allen Kanälen reagierten aber offenbar keine 100 Leute, die sich für geschätzt zehn Minuten Drehzeit filmfein machen wollten: „Das Hemdenbügeln hat länger gedauert, als die Dreherei“, flachst denn auch Burkhard Kunert, Schatzmeister der Bürger-Schützen, die in Frack, Zylinder und weißen Hosen mit aufmarschiert sind, mit Schärpen, Ordensschmuck, Regiments- und Hofesfahnen. Von der „Einigkeit“ haben sich gut zwei Dutzend Leute die Uniform angezogen und sind pünktlich an der Petri-Kirche.

Das Gros des arrangierten Bürgerzorns stellen die Mittelalterfreunde, Soest-Fans wie Markus Dolch mit seinem Furcht einflößenden  Kriegshammer, Gabriele Jäschke aus Enkesen im Klei mit ihrem Dreschflegel oder Wolfgang Ehlers aus Soest mit seinem Reisigbesen: „Denen werden wir’s zeigen“, witzeln die Hobbydarsteller: „Die können sich warm anziehen, die Herren im Rathaus!“

„Gebt den Prädikanten frei!“ Laut und wütend sollen das alle schreien und sich dabei vorstellen, wie im Rathaus die Fenster auffliegen, Bürgermeister und Magistrate verdutzt herausschauen. Die Komparsen schreien und schimpfen aus voller Kehle, es ist ein schönes Durcheinander. Da muss Ordnung rein, findet Frieder Schütz, der Regisseur und stellt sich vor die Leute, dirigiert den Ärger: So klingt’s! Und wie grimmig sie alle dreinschauen! Klaus-Dieter Schmidt ist zufrieden.

Knapp zehn Minuten dauert der Haupt-Dreh, dann wird die Meute noch durch die Gassen geschickt: Sie sollen schön schreien und fluchen und den Kirchplatz fluten. „Das kann man am Schneidetisch so zusammensetzen, dass es nach richtig viel aussieht, nach einem Riesen-Auflauf“, weiß Klaus-Dieter Schmidt sich zu helfen: „Muss man nur durchmischen, die Gruppe, damit nicht immer die gleichen Leute prominent im Bild sind…“. Bis zum Jahresende soll Teil zwei des Geschichtsfilms fertig sein.

Markus Dolch (rechts) reckt den Kriegshammer und brüllt seinen Ärger heraus, ebenso wie die versammelten Mittelalterfreunde und Schützen, die zum Dreh für den historisch belegten Aufruhr gekommen sind.

An der Kamera: Klaus-Dieter Schmidt, daneben Hans-Joachim Schmallenbach sowie Dr. Frieder Schütz mit Komparsen. Fotos: Thomas Brüggestraße