„Wir werden den Patienten heilen“ - Beseitigung neuer Schäden an der Wiesenkirche wird wohl mindestens fünfzehn Jahre dauern

Erstellt am 29.04.2019

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Manchmal, wenn er sich so richtig aufregt, dann kann es schon einmal sein, dass die berühmten Gäule mit ihm durchgehen. Dann flucht Jürgen Prigl wie ein Kesselflicker, sodass man das Gefühl hat, die beiden Türme der Wiesenkirche würden wackeln.

„Kerle, Kerle“, entfährt es dem Dombaumeister hoch oben auf dem Gerüst, „das ist ein einziges Lumpenpack, Ein fürchterliches Lumpenpack. Das ist Hitlerdreck. Eine absolute Schweinerei.“  Seit dem Herbst letzten Jahres weiß Prigl, dass das Gesims von minderwertiger Qualität ist und dass hier oben eine neue Baustelle entsteht, die der Dombaumeister so bisher nicht auf der Rechnung hatte.

Da es unverantwortlich gewesen wäre, die betroffenen Bereiche vor dem Winter schon in genaueren Augenschein zu nehmen, wurde bisher nur eine gigantische Stütze angebracht, um das schadhafte Mauerwerk zu stützen. Mit der Wiederaufnahme der Arbeiten am Turm nach der Winterpause schlug nun allerdings die mit Spannung erwartete Stunde der Wahrheit.

Mit Meißel und Hammer rückten Prigl und Steinmetz Daniel Müller den kritischen Stellen zu Leibe, entfernten Bleche und Betonteile und sahen schon nach kurzer Zeit ihre Befürchtungen bestätigt: „Was die da alles eingeschmissen haben – alte Ziegel, Schutt, humpigen Mörtel, Hitler-Beton – als wäre das ein Viehstall und nicht die wahrscheinlich wichtigste gotische Hallenkirche nördlich der Alpen. Ich hätte nie gedacht, dass so ein Pfusch überhaupt möglich ist. Das waren Verbrecher, richtige Verbrecher“, zeigte sich Prigl betroffen.

Und doch hat der Ortstermin auch eine gute Nachricht. Die Schäden sind nicht ganz so schlimm wie ursprünglich befürchtet. „Wir haben kein Treibmaterial gefunden. Das wäre der worst case gewesen und hätte uns vor ganz erhebliche Probleme gestellt.“ So ist es in erster Linie das schlechte Material, das hier eingesetzt worden ist, was für Probleme sorgt.

In den Jahren zwischen 1925 bis 1932 haben Renovierungsarbeiten an der Wiesenkirche stattgefunden. Zum Einsatz kamen in erster Linie Billigmaterialen. Anschließend hat man alles mit einer Betonschicht überzogen, mit Blechen abgedeckt und grün angemalt. Von unten sah das dann so aus, als habe man Grünsandstein verwendet.

„Wenn wir nicht die Fenster restauriert hätten“, so Prigl, „wäre uns das vermutlich gar nicht aufgefallen, bis es dann zur Katastrophe gekommen wäre.“ So sind die fatalen Risse im Mauerwerk vermutlich noch rechtzeitig entdeckt worden, um schlimmeren Schaden abzuwenden. Die erwähnte Stütze sorgt in dieser Beziehung für Sicherheit, so dass Besucher der Wiesenkirche nicht gefährdet sind.

Etwa fünfzehn Jahre, so Prigls  Schätzung, wird es dauern, diesen „wahnsinnigen Pfusch“ zu beheben:  „Das sind etwa 150 laufende Meter, die komplett saniert werden müssen. Etwa zehn Meter kann man pro Jahr schaffen.“ Da das natürlich mit erheblichen Mehrkosten verbunden ist, hofft der Dombaumeister auch in Zukunft auf Unterstützung durch Bund und Land: „Das Land muss uns weiter helfen, sonst bekommen wir das nicht hin. Das können wir allein nicht schaffen.“

Trotz der schlechten Nachrichten ist Prigl, der im Sommer bekanntlich in den Ruhestand geht, allerdings zuversichtlich, dass die Sanierung gelingen wird: „Wir werden diesen Patienten heilen, und zwar rückstandslos. Das sind wir diesem fantastischen Bauwerk und seinen Bauherren schuldig. Panik und Hysterie sind dabei fehl am Platze. Jetzt sind Verstand, Fachwissen, handwerkliches Geschick, ein kühler Kopf und ganz viel Gottvertrauen gefragt. Dann wird das wieder.“

Da ist es gut, dass der ausgewiesene Experte, der nun schon seit 27 Jahren die Sanierung des Bauwerks verantwortet, auch nach seinem offiziellen Abschied mit Rat und Tat zur Seite stehen wird, auch wenn er zugibt: „Ich hatte mir den Übergang schon ein bisschen gemütlicher vorgestellt.“

Mit Hammer und Meißel hat Dombaumeister Jürgen Prigl die schadhaften Stellen geöffnet, um sich einen Eindruck von den wirklichen Schäden zu machen. Fotos: Hans-Albert Limbrock

„Alles Pfusch!“ Jürgen Prigl, Statiker Gunther Rohrberg und Steinmetz Daniel Müller fanden beim Ortstermin am schadhaften Gesims viel Schrott und Billigmaterial.