Mangelware „Bufdi“ - Viele Stellen bleiben unbesetzt

Erstellt am 16.08.2019

Von Klaus Bunte

WERL. Ein Jahr nach seiner Einführung wurde der Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) noch als Erfolg gehandelt, da die Träger laut Medienberichten Bedarf für 30 Prozent zusätzlicher Stellen anmeldeten. Wie sieht die Lage heute aus? Zumindest in Werl eher durchwachsen. Eine Bestandsaufnahme.

Der letzte „Bufdi“ der Bördewerkstätten an der Unionstraße ist schon vor über einem Jahr gegangen, derzeit hilft er als Krankheitsvertretung aus. Betriebsleiter Fred Wenselowski fand bislang niemanden, der den Staffelstab hätte übernehmen können – kein Einzelfall, zumindest in Werl. Mag das Modell „Bufdi“ auch mal als Erfolg gefeiert worden sein, ein Blick auf nackte Zahlen zeigt schon deutliche Unterschiede zu jenen Zeiten, als es noch den Wehrdienstverweigerer gab, den Zivildienstleistenden. Und deren Zahl war ein Vielfaches der heutigen Bufdis. 2002 erreichte die Zahl der Zivis in NRW einen Höchststand von circa 136.000. Der Bufdi-Rekord liegt bislang bei 9.250 im Jahr 2017.

„Seit ich Anfang 2018 hier anfing, hatten wir keinen Bufdi“, meint auch Martin Müller, Leiter des Regionalbüros Werl der Caritas im Kreis Soest und somit auch der Sozialstation. Gut, „Pflege“ könnte abschreckend wirken – aber nur, wenn man nicht weiß, dass Bufdis hier, um ein altes Klischee zu bemühen, eben nicht „alten Leuten den Popo abwischen müssen“, nicht einmal dürfen, das dürfen nur Fachkräfte. Sie würden eher in der Tagespflege oder zu Botendiensten eingesetzt, so Müller. Immerhin, in der ebenfalls von der Caritas betriebenen Tafel ist die Stelle stets besetzt, so deren Leiter Michael Geitmann. Auch auf die Stelle, die „Gemeinsam“ ausgeschrieben hat, gebe es derzeit keine Bewerbungen, bedauert Heike Horlbeck von der Kontaktstelle für Menschen mit Behinderung.

Keine Probleme dagegen haben die beiden Curanum-Altenheime Amadeus und Mozart: Man werde zwar nicht überrannt, „aber unsere drei Stellen sind immer besetzt“, so die Einrichtungsleiterin Manuela Ehwald.

Auch die Arbeit mit Kindern scheint recht beliebt zu sein: Für ihre beiden Stellen kann die stationäre Jugendhilfe Roots in der Niederbergstraße stets aus mehreren Bewerbern auswählen, so Daniela Überfeld, und auch Michael Neuhaus, Leiter der Kinder- und Jugendhilfe Westuffeln, hat zurzeit alle vier Stellen besetzt, was aber auch nicht immer der Fall gewesen sei. Eingesetzt werden sie vor allem bei den kleineren Kindern.

Genau das ist das Problem der Intensiv-Regelgruppe „Refugium“: Die Jugendlichen hier sind nicht viel jünger als die Schulabgänger-Bufdis, daher können nur deutlich ältere angenommen werden, weshalb die Stelle bislang leer blieb, so die Einrichtung auf Anfrage.

Vor allem das Jugendzentrum habe ein Problem: Hier sei die Stelle sei zwei Jahren nicht besetzt, so Kristina Bunse auf Anfrage.

Philipp Rogge bereut nicht, Bufdi gewesen zu sein. Sein Elektrotechnik-Studium hatte sich als Sackgasse erwiesen, also brach er es kurzerhand ab. Was also tun? Einfach umsatteln? Aber worauf? Welche Möglichkeit gibt es für junge Menschen, wenn sie nach der Schule noch nicht recht wissen, was aus ihnen werden soll? Ein Sabbatjahr, durch die Welt trampen? Auch das will schließlich finanziert sein. Einfach jobben?

Sein Vater riet ihm, ein Jahr lang Bundesfreiwilligendienst zu schieben. Davon hatte er bis dahin nichts gehört, gibt Philipp Rogge zu. Heute ist ihm klar: „Hätte ich das schon vor meinem Studium gekannt, hätte ich das schon direkt nach dem Abi gemacht.“

Wäre der 23-Jährige zehn Jahre früher zur Welt gekommen, hätte er schon gewusst, dass es eine solche Möglichkeit gibt – denn bis 2011 war sie mehr oder minder ein Zwang, hieß damals noch Zivildienst und war die einzige Alternative zur Wehrpflicht, und wer den Dienst an der Waffe verweigerte, musste dies unter Darlegung der Gewissensgründe beantragen. Viel leichter haben es dagegen die Bundesfreiwilligen – im Volksmund auch Bufids genannt.

Philipp Rogges Weg zu den Bördewerkstätten der Perthes-Stiftung führte zugegebenermaßen noch nicht einmal über eigene Interessen – sein Vater kannte Fred Wenselowski über die gemeinsame sportliche Leidenschaft, den Kampfsport Aikido. Wenselowski ist Betriebsleiter des Werler Börde-Industrie-Service, eines Teil der Börde-Werkstätten. Er empfahl ihm, ihn mal zu fragen, ob er dort nicht einen Bundesfreiwilligendienst verrichten könnte.

„Auf Fortbildungen sah ich später, dass die meisten in Altenheimen und Krankenhäusern arbeiteten“, erzählt Rogge. „Ich glaube, die wenigsten haben diese Einrichtung hier auf dem Schirm, dabei ist sie optimal: Hier arbeitet man nicht im Schichtdienst, sondern hat einen ganz normalen geregelten Arbeitstag von halb acht bis 16 Uhr.“

Wenselowski ergänzt: „Man lernt hier als Schulabgänger das Arbeitsleben kennen, lauter Dinge, die man später in vielen Berufsbereichen benötigt, und kann sich nach eigenen Interessen einsetzen lassen.“

Rogge tastete sich langsam an die neue Aufgabe, denn der Kontakt zu Menschen mit Behinderungen war relativ neu für ihn. Das sei nicht ungewöhnlich, meint Wenselowski, „aller Inklusion zum Trotze“. Doch es sei kein Problem für ihn gewesen, meint Rogge, „ich gehe mit den Beschäftigten hier wie mit jedem anderen um. Ich war von Anfang an zurückhaltend, damit ich nicht in die Gruppe reinplatzte und sie sich erst einmal an mich gewöhnten.“

Denn bei den Menschen, die hier arbeiten, stehen die psychischen Erkrankungen im Fokus, sie sind tendenziell verschlossener als zum Beispiel jene in der Werler Wichern-Werkstatt, in der im Wesentlichen Menschen mit geistigen Behinderungen arbeiten. Die sind deutlich aufgeschlossener und gleich mit jedem per Du. In der Unionstraße dagegen bleibt man erst einmal noch beim höflich distanzierten Sie.

Rogge: „Ich weiß noch, wie mich beim einem Besuch der Wichern-Werkstatt ein Beschäftigter direkt in den Arm nahm – sehr herzlich, aber vor allem sehr fest.“ Da rang selbst der 196 Zentimeter große Rogge zunächst nach Luft. Er führte Einzelgesprächen mit den Mitarbeitern, um mehr über ihre Erkrankungen zu erfahren, übernahm verschiedene Aufgaben im Haus und zupfte in der internen Hausband auf dem Sommerfest und der Weihnachtfeier den E-Bass.

Nach Ablauf seines Jahres verlängerte Rogge noch einmal um ein halbes, „weil es mir so gut gefallen hatte“. Länger als 18 Monate kann ein Freiwilligendienst jedoch nur in Ausnahmefällen dauern.

Danach jobbte er eine Weile, derzeit ist er wieder an seinem alten Arbeitsplatz, drei Monate lang als Krankheitsvertretung für einen Gruppenleiter. Dauerhaft eine solche Funktion zu übernehmen, wäre erst einmal nicht denkbar für ihn, „dazu fühle ich mich zu jung.“ Durch die Arbeit im handwerklichen Bereich hat er jedoch zu seiner Bestimmung gefunden: In Kürze beginnt er seine Ausbildung zum Industriemechaniker.