Eine Katastrophe für die Menschheit Fregattenkapitän der Reserve Jochen Siering berichtet in der Pfarrkonferenz von Hilfseinsatz im Mittelmeer

Erstellt am 26.09.2019

WARSTEIN. Der Einsatz liegt nun schon ein paar Jahre zurück und doch sind die Bilder für Jochen Siering immer noch so präsent, als sei es erst gestern gewesen. 2015 war der Fregattenkapitän der Reserve mit dem deutschen Marineschiff Berlin mehrere Monate im Mittelmeer im Einsatz, um Geflüchtete zu retten. Damals gab es noch von der EU koordinierte Rettungseinsätze, an denen insgesamt elf europäische Nationen teilgenommen haben. Darüber berichtete Siering jetzt auf Einladung der Pfarrkonferenz des Evangelischen Kirchenkreises im Gemeindezentrum der Kirchengemeinde Warstein.

„Wir wussten ja nicht, was auf uns zukommt“, machte der 64-Jährige, der bei der Agentur für Arbeit in Soest beschäftigt ist und als Offizier der Reserve regelmäßig an Übungen der Marine teilnimmt, deutlich, dass es für die Beteiligten auch so etwas wie eine Reise ins Ungewisse war. Denn im Gegensatz zu den sonst üblichen Übungen wurde der Ernstfall hier nicht geprobt, sondern fand jeden Tag live statt.

„Die meisten Flüchtlinge“, so Siering, „ertrinken bei schlechtem Wetter.“ Die Schleußer setzen sie zumeist nur in bedingt taugliche Boote; wohlwissend, dass die Internationale Gemeinschaft viele von ihnen retten wird. Gleichzeitig aber wird menschenverachtend in Kauf genommen, dass Tausende von ihnen die rettenden Ufer von Malta oder Italien nicht erreichen. Mindestens 18.000 Kinder, Frauen und Männer sind in den letzten Jahren dort ertrunken. Die Dunkelziffer wird ungleich höher geschätzt. „Das Mittelmeer“, so Siering, „ist zu einem gigantischen Friedhof geworden.“

Mit einer Länge von 175 Metern gehörte die Berlin zu den größten Schiffen, die an diesem internationalen Einsatz beteiligt waren. Siering war für drei Monate Teil der Mannschaft und vor allem als Logistiker gefragt: „Der Einsatzgruppenversorger Berlin ist komplett ausgestattet; ist praktisch wie ein schwimmendes Krankenhaus.“ Über 220 Besatzungsmitglieder, darunter zahlreiche Ärzte, konnten eine umfassende Versorgung der Flüchtlinge garantieren.

Mit Hilfe von Drohnen, Helikoptern und durch internationale Koordination aus der Einsatzzentrale in Rom konnten immer wieder völlig überladene Schlauchboote ausfindig und die darauf ausharrenden Menschen gerettet werden. „Während unseres Einsatzes ist uns niemand dadurch geflutscht“, machte Siering deutlich, das der Einsatz immer noch in ihm nachwirkt: „Die Bilder von den Geretteten vergisst man einfach nicht.“

Knapp 4000 Menschen, so die Angaben der Marine, sind in diesem Zeitraum von den deutschen Schiffen gerettet worden. Inzwischen hat sich die internationale Solidarität längst von derartigen Rettungseinsätzen verabschiedet. Die Schiffe, die jetzt noch im Einsatz sind, gehören Hilfsorganisationen oder sind privat finanziert.

Es gehört längst zur Routine, dass in den Nachrichtensendungen darüber berichtet wird, dass Schiffen mit Geretteten an Bord die Einreise nach Italien und Malta verweigert wird und erst nach tagelanger Odyssee auf dem offenen Meer ein Hafen gefunden wird. Prominentestes Beispiel war die deutsche Kapitänin Carola Rackete, die von den italienischen Behörden sogar verhaftet und tagelang festgesetzt wurde. Andere Kapitäne teilen dieses Schicksal.

„Was dort im Mittelmeer passiert, ist eine Katastrophe für die Menschheit“, erzählte Siering den Pfarrerinnen und Pfarrern. Die hatten sich zuvor mit dem gemeinsam gesungenen Lied „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ auf den Vortrag vorbereitet. (Lim)

Drei Monate war Jochen Siering als Fregattenkapitän der Reserve im Jahr 2015 im Mittelmeer bei Rettungsversuchen von Flüchtlingen im Einsatz. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Das Thema „Flüchtlinge“ begleitet die Arbeit der Pfarrer im Kirchenkreis seit Jahren intensiv.