Auf dem Rücken der Kleinsten

Erstellt am 18.02.2022

Unbeschwertes Spielen – so wie hier im Petrus-Kindergarten im Soester Norden – ist das, was die Kinder am liebsten möchten. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Von Ann-Kristin Herbst

Soest-Arnsberg. Um mehr als 400 Prozent sind die Corona-Infektionen in den Kindergärten von Nordrhein-Westfalen innerhalb eines Monats angestiegen. Reduzierte Betreuungszeiten, geschlossene Gruppen und ein mulmiges Gefühl sind die Folgen in den Einrichtungen. Auch weil Corona-Tests für Kita-Kinder freiwillig sind.

Pool-Tests gibt es in der Kita von Christopher Hausmann nicht. In Lippstadt setzt man seit fast zwei Jahren auf freiwillige Selbsttests. Drei Tests pro Woche bekommen die Eltern der Kita-Kinder mit nach Hause. „Ob die Tests dann auch wirklich durchgeführt werden und vor allem wie professionell, das können viele Kita-Leitungen nur erahnen", meint der Leiter des Evangelischen Wichern-Kindergartens Lippstadt.

In seiner Einrichtung hat der Elternbeirat sich in einer Selbstverpflichtung zum regelmäßigen Testen zu Hause entschieden. „Das ist für viele Familien aber nicht einfach. Wir bekommen immer wieder Schnelltests unterschiedlichster Hersteller, die dann anders durchgeführt werden müssen.“ Im Wichern Kindergarten haben 90 Prozent der Familien einen Migrationshintergrund. Die komplizierten Anleitungen der Tests seien für viele Eltern komplett unverständlich. Die Nachfragen landen dann bei den Kita-Mitarbeitenden. „Das können wir natürlich nicht stemmen.“ Christopher Hausmann wünscht sich stattdessen, dass in den Kitas nur Tests eines Herstellers verwendet werden. Dazu sollten Hinweise zur Anwendung in unterschiedlichen Sprachen mitgegeben werden.
 

Frustration, Verzweiflung und Wut

„Wir fühlen uns von den Politikern alleine gelassen“, bringt es Charlotte Bierkamp, pädagogische Fachberaterin im Evangelischen Kirchenkreis Soest-Arnsberg, auf den Punkt. Es seien bürokratische Hürden geschaffen worden, die es zu Beginn der Pandemie noch nicht gegeben habe. Gerade musste wieder eine ihrer fünfzig Kitas die Öffnungszeiten reduzieren. Statt um 17 Uhr schließt der Kindergarten jetzt um 14 Uhr. „Was sollen wir machen? Sobald zu viele Fachkräfte ausfallen, müssen wir Betreuungszeiten reduzieren.“ Schon vor Corona sei es eng gewesen mit dem Personal, es stünden einfach nicht genügend Erzieher*innen auf dem leer gefegten Arbeitsmarkt zur Verfügung.

„Vieles wird auf den Schultern der Leitungen ausgetragen: Sie müssen die neuesten Verordnungen verstehen und in der Praxis umsetzen, für Hygienekonzepte sorgen und versuchen, irgendwie die durch Corona-Erkrankungen entstandenen Personallücken notdürftig zu flicken“, sagt Bierkamp. Der Regelbetrieb sei in vielen Einrichtungen nur eingeschränkt möglich. Mit einem Brandbrief hat sie sich deshalb gemeinsam mit anderen Fachberatungen an die Diakonie RWL und die nordrhein-westfälische Politik gewandt. Bierkamp: „So dramatisch war die Situation noch nie.“

Zwölf NRW-Kitas pro Tag geschlossen

In ganz NRW wurden an nur einem Wochentag im Januar durchschnittlich rund 46 Kitas teilweise und rund zwölf komplett wegen Infektionsschutzmaßnahmen geschlossen.

Das sorgt bei den Eltern für einen enormen Redebedarf. Durch zwei Jahre Pandemie sind viele junge Familien ausgelaugt. „Wir haben Familien, die leben mit drei Kindern in einer 50-Quadratmeter-Wohnung“, sagt Christopher Hausmann. „Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie das während der Lockdowns für sie gewesen sein muss.“ Elternabende dauern deutlich länger.  

Was sich Fachkräfte wie Bierkamp und Hausmann wünschen, ist eine bessere Kommunikation. An der jetzigen Infektionslage könne die Politik nichts mehr verändern, aber ein verständlicher und vor allem rechtzeitiger Dialog mit den Kitas über neue Maßnahmen könnte Druck nehmen. Denn dann müssten die Kita-Leitungen nicht mehr am Wochenende Maßnahmen wälzen, um sie montags aufgebrachten Eltern erklären zu können. „Wir versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Man merkt, wir stehen alle mental kurz vor diesem Loch“, sagt Christopher Hausmann, „aber was hilft es? Wir kommen nur mit Optimismus durch diese Pandemie.“

Charlotte Bierkamp, Kindergartenfachberatung: Fühlen uns allein gelassen.

Christopher Hausmann vom Lippstädter Wichern-Kindergarten setzt auf Optimismus in Zeiten der Pandemie.

Testen in Kitas

Aktuell sind Tests laut NRW-Corona-Betreuungsverordnung nur dann vorgeschrieben, wenn ein bestätigter Corona-Fall in der Kita vorliegt. Auf freiwilliger Basis kann natürlich trotzdem getestet werden. Dreimal die Woche stellt das Land entsprechende Tests in den Kitas zur Verfügung.

NRW-Familienminister Joachim Stamp spricht sich gegen verpflichtende Corona-Tests aus: „Sie würden bedeuten, dass Kinder, für die kein Test vorgezeigt werden kann, nicht betreut werden könnten." Die Diakonie RWL hingegen setzt sich für eine Selbstverpflichtung der Eltern ein. Dreimal pro Woche sollten die Kinder zu Hause getestet werden. Die Tests sollen durch eine Unterschrift der Eltern bestätigt werden. „Das schafft Verbindlichkeit und bewahrt die Kitas vor Diskussionen ums Testen mit den Eltern“, sagt Sabine Prott, Geschäftsfeldleitung Kitas bei der Diakonie RWL.