Damit Geschichte lebendig wird

Erstellt am 14.10.2022

Öffentliche Vorträge geben faszinierende historische Einblicke

Abbildung von Soest und seinen Kirchen aus dem 17. Jahrhundert. Foto: Stadtarchiv Soest

Von Julie Riede

Soest. Der Verein für Westfälische Kirchengeschichte tagte anlässlich seines 125. Geburtstages in der Soester Hohnekirche und beleuchtete in öffentlichen Vorträgen besondere Ereignisse der lokalen Kirchengeschichte. Hinzu kommt das Jubiläum des Landeskirchlichen Archives. Und auch das Stadtarchiv Soest feiert mit: stolze 750 Jahre besteht dieses bereits.

Die Ausrichtung der Feierlichkeit in Soest wurde bewusst gewählt – die Bördestadt Soest lieferte den Gründungsimpuls für den Verein. „Die Vielzahl und Bedeutung der Kirchen und der Kirchengeschichte in Soest sind von großer Besonderheit“, betonte Dr. Mechthild Black-Veldtrup, Vorsitzende der Historischen Kommission für Westfalen beim  Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). „Die Hohnekirche als Ort für das Jubiläum ist eine der schönsten Kirchen Westfalens.“

„Im September 1893 tagte in Soest die Provinzialsynode der Landeskirche und beschloss die Berufung einer ‚Commission für Kirchliche Heimatkunde‘. Diese Kommission war die Vorstufe des Vereins“, berichtete der Vorsitzende des Vereins, Professor Dr. Christian Peters.“ Die eigentliche Gründung erfolgte dann vor 125 Jahren am 27. September 1897 in Hagen.

Der Verein für Westfälische Kirchengeschichte wurde zunächst als „Verein für evangelische Kirchengeschichte der Grafschaft Mark und der angrenzenden Kreise“ gegründet. Das Aufgabenspektrum hat sich im Laufe der Zeit erweitert. „Mittlerweile sind wir ökumenisch und in ganz Westfalen unterwegs“, so der VWKG-Vorsitzende. Gegenwärtig versteht sich der Verein als Dienstleister unter anderem für Kirchengemeinden, Bistümer und Landeskirchen. Er will das Interesse an kirchlicher Vergangenheit in allen Kreisen der Gesellschaft anregen und vertiefen. Für das kirchliche Leben in der Gegenwart sei es wichtig zu wissen, in welcher Tradition man stehe, so Peters.

Neben dem Verein für westfälische Kirchengeschichte gehörten auch der Verein für Geschichte und Heimatpflege Soest sowie das Stadtarchiv und die Wissenschaftliche Stadtbibliothek Soest zu den Veranstaltern. „Den Soester Geschichtsverein und den Verein für westfälische Kirchengeschichte verbindet eine lange Freundschaft“, verrät Peters.

Wie eine kleine städtische Landeskirche beispielhaft für Ordnung sorgte

Der Superintendent des Evangelischen  Kirchenkreises Soest-Arnsberg, Dr. Manuel Schilling, outete sich in seinem Grußwort als großer Fan von Kirchengeschichte: „Der Verein ist ein Ehrenschild für Soest und seine Geschichte“, so Schilling. „Staunen und Ehrfurcht erfüllen die BetrachterInnen in den Kirchen, die Erforschung dieses historischen Themas ist von unschätzbarem Wert. Der Blick in die Geschichte kann unsere Sinne schärfen, sodass wir die Gegenwart und Zukunft proaktiv gestalten können.“

Im ersten Vortrag der zweitägigen Tagung zeigte Professor Dr. Christian Peters  einen entscheidenden Wendepunkt in der Soester Kirchengeschichte auf. Der Hallesche Pietismus sollte die Religion in die Herzen der Menschen bringen. Wegbereiter dessen war im 18. Jahrhundert einer der Väter der Soester Stadtbibliothek und des Archivs – der evangelische Pfarrer Sybel.

Zum ersten Mal erhielt die Soester Landeskirche ordentliche Strukturen.  So war der Pfarrer der Prediger und sollte sich um seine Schäfchen kümmern. Als Hilfe bekam er einen jungen Vikar zur Seite gestellt. Um nichts weniger ging es, als gegen das Reich des Satans zu kämpfen. Die neue Kirchenordnung, der Generalkonvent und ein Inspektor sollten dies sicherstellen.  Der Küster pflegte die Kirchen als Hausmeister der Kirchen, die Totengräber taten Gleiches für die Friedhöfe und Kirchenmusiker hatten ebenfalls ihre Verpflichtungen und Verordnungen. Provisoren gab es zudem, die für Ordnung sorgen sollten und sich um finanzielles kümmerten. Vormittags und nachmittags waren die Gottesdienste verpflichtend. In wesentlichen Teilen findet sich diese Ordnung auch heute noch in der kirchlichen Arbeit wieder, allerdings mit einer deutlichen Aufgabenausweitung.

Bereits Ende des 17. Jahrhunderts wurde in Soest die erste Konfirmation eingeführt. Samstags gab es die Beichte in der Sakristei. Ohne sie durfte man nicht das heilige Abendmahl feiern. Geheiratet wurde nach strenger Ordnung. Kurios: Der Bräutigam bekam Stockschläge vor dem Altar.

War eine Frau schwanger, musste eine Heirat vollzogen werden. Erschien der Ehemann nicht zur Trauung, sprach kurzerhand ein Ersatzmann das Jawort, Ordnung musste sein; so konnte zur Not jemand aus dem Rat oder auch der Postbote als Stellvertreter auftreten – der Nichtanwesende war damit verheiratet und der Ordnung genüge getan.

Von der Wiege bis zur Bahre lag alles in kirchlicher Hand. Auch die Schule wurde unter Ordnung gestellt, die Aufsicht unterlag Predigern und Ratsherren. Eine Art frühe Sozialstudie entstand, durch Einzelbefragung in der Bevölkerung: Erwachsene, Kinder, Bedienstete, alle wurden befragt. Hier spielte tatsächlich das Befinden eine große Rolle, so wurde beispielsweise nach Ängsten gefragt –  vor dem Alter, vor Armut, oder wegen Arbeitsunfähigkeit.

Was „typisch Soest“ sei an der Kirchenordnung, fragte einer der Gäste, die gespannt den Ausführungen von Professor Dr. Peters lauschten. Hier gab es als Besonderheit das Soester Kollektenbüchlein und die genauen Niederschriften von Pfarrer Sybel, die ein getreues Abbild der damaligen Verhältnisse zeigen. Alles wurde in Formularen geregelt. So waren sensible Beichtformulare für Kinder in Soest eine besonders fortschrittliche Erscheinung.

Die Ordnung sorgte für eine Festigkeit im Leben der Menschen. Die Regierung in Berlin wollte eine neue Kirchenordnung und Pfarre Sybel wollte ein ideales Kirchensystem schaffen. Wie kaum in einer anderen Stadt wurde in Soest diese Ordnung praktiziert. Erst nach dem zweiten Weltkrieg gab es keine Provinziale Landeskirche mehr, sondern die Westfälische.

VWKG-Vorsitzender Professor Dr. Christian Peters gibt mit seinem Vortrag tiefgehende Einblicke in die Geschichte der Soester Kirchenordnung. Foto Julie Riede