Von der Stadtkirche zur Kulturkirche

Erstellt am 28.01.2022

Trotz finanzieller Rückschläge laufen hinter den Kulissen die Vorbereitungen für Neuausrichtung weiter

In zahlreichen Sitzungen haben sich Presbyterium und Engagierte mit dem Projekt „Wir bauen eine neue Kirche“ beschäftigt (von links): Rainer Müller, Claudia Bork-Thiel, Marie Kretzschmar und Benedikt Meckel.

Von Hans-Albert Limbrock

Brilon. „Das Leben ist kein Wunschkonzert“. Der Spruch ist ebenso abgedroschen wie zutreffend. Das hat in den vergangenen Monaten auch die Kirchengemeinde Brilon in schonungsloser Deutlichkeit erfahren. Denn wenn das Leben ein Wunschkonzert wäre, dann wäre der marode Kirchturm längst abgerissen, ein neuer gebaut, der Anbau fertig und die Neugestaltung des Innenraumes abgeschlossen.

De Realität ist allerdings eine andere. Seit geraumer Zeit beschäftigen sich Pfarrer Rainer Müller, das Presbyterium und verschiedene Gremien mit dem zukunftsweisenden Thema „Wir bauen eine neue Kirche“. Doch bisher musste man vor allem herbe Rückschläge einstecken.

So hat sich der Bund aus der Finanzierung zurückgezogen, bzw. sich erst gar nicht daran beteiligt. „Das war ein Schock für uns“, ist Pfarrer Müller auch heute noch über die negative Nachricht aus Berlin, die die Kirchengemeinde im Spätsommer ereilt hatte, noch traurig. „Die obere Denkmalbehörde hat unserer Kirche völlig unerwartet die bundesweite Bedeutung als Denkmal nicht zuerkannt.“ 

Das Ende der ehrgeizigen Pläne hat der negative Bescheid indes nicht bedeutet. Im Gegenteil: Die Briloner halten an ihren Vorhaben fest und zeigen sich kämpferisch. „Dann“, so Müller, „müssen wir eben andere Wege gehen und alternative Finanzierungen finden.“ Eine davon, so die Hoffnung, soll vom Land kommen. Ein entsprechender Antrag ist gestellt. Müller: „Da hoffen wir für das zweite Quartal auf eine Zusage.“ Auch die Suche nach Briloner Sponsoren, die das Millionen-Projekt tatkräftig mitunterstützen wollen, läuft unvermindert und unverdrossen weiter.

Eine treibende Kraft ist in dieser Beziehung Gernot Hattig, der mit dem Kirchen-Kiosk, den die Gemeinde vom Kirchenkreis zur Verfügung gestellt bekommen hat, unter anderem auf dem Wochenmarkt für das Projekt wirbt. „Durch den Wagen werden wir wahrgenommen und kommen mit den Menschen ins Gespräch. Das ist ein schönes Aushängeschild für uns“, setzt Müller auf die Werbekraft des flammendleuchtendroten Wagens, der zuvor viele Jahre an der Soester Wiesenkirche gestanden hat und jetzt für das Briloner Vorhaben neu designet worden ist.

Gott mitten unter uns

Die engagierten Gemeindeglieder sind aber nicht nur beim Akquirieren von Spendengeldern aktiv. Parallel dazu laufen die Abstimmungen mit den Architekten und Planern. Vor allem, was die Frage der Innenrauumgestaltung angeht, ist man inzwischen ein gutes Stück weiter. Müller: „Das nimmt langsam Form an; da sind wir auf einem guten Weg.“

„Gott mitten unter uns“ ist die Überschrift, unter der der Innenraum neu gestaltet wird. Die Kirchengemeinde geht dabei einen mutigen Schritt. „Wir“, so Müller, „verabschieden uns vom liturgischen Frontalunterricht.“ Will sagen, dass die klassische Aufteilung  - Pfarrer vorne am Altar, davor die Gemeinde – aufgelöst wird. Altar, Taufstein, Ambo werden künftig mitten in der Kirche stehen, die Gemeinde gruppiert sich dann drumherum. „Wir nehmen uns dadurch viel besser und intensiver wahr“, nennt der Pfarrer einen Vorteil. Mit dieser optischen Neuausrichtung soll auch das Ziel, die Stadtkirche künftig nicht nur als Gottesdienststätte, sondern auch als Kulturkirche zu nutzen, flankiert werden. „Das wird vor allem auch für Chöre spannend“, nennt Müller einen weiteren Vorteil der anstehenden Veränderung.

Durch intensive und technisch aufwändige Untersuchungen sind zudem weitere Voraussetzungen geschaffen worden, das Kirchengebäude künftig vielfältiger als in der Vergangenheit zu nutzen. So füllten jetzt in den Wintermonaten keine zarten Orgelklänge, sondern das kräftige Sägen einer Kernbohrung das über 170 Jahre alte Gotteshaus.

Architekt, Fachingenieure für Statik und Akustikgestaltung und ein Fachmann für Kernbohrungen begannen mit ersten konkreten Untersuchungen. „Wir haben hier weder eine vergrabene Reliquie noch eine archäologische Sensation zutage gefördert“, schmunzelt Pfarrer Rainer Müller, der den Fachleuten die Besonderheiten der Stadtkirche erläuterte.

Die Untersuchungen zur Statik des Gebäudes und zum Aufbau der Bodenplatte des Fundamentes waren notwendig, um genauen Aufschluss über den notwendigen Umfang der Sanierungsmaßnahmen zu bekommen. „Nur wenn wir wissen, was getan werden muss, können wir auch verlässlicher die Zahlen berechnen, die als Kosten dann zusammenkommen“, begründete Architekt Dirk Boländer den Eingriff in den Fußboden der Kirche.

Während der Kernbohrung bereiteten schon mal die Akustikingenieure mit Decken über den Bänken und aufgeblasenen Luftballons die anschließenden Bestandaufnahmen des akustischen Profils der Stadtkirche vor. Daran werden dann die Auswirkungen der geplanten Umbaumaßnahmen gemessen. Schließlich soll die bei den in der Kirche auftretenden Musikgruppen beliebte Akustik erhalten und gegebenenfalls sogar noch verbessert werden.

Rainer Müller: „Auch wenn es von außen betrachtet vielleicht so aussieht, als ob sich nichts tut, so sind wir doch sehr aktiv und bringen das Projekt voran.“ Und weil das Leben zwar kein Wunschkonzert ist; Wünsche aber dennoch bisweilen in Erfüllung gehen, ist der Pfarrer auch für den weiteren Zeitplan zuversichtlich: „Ich hoffe, dass es mit der finanziellen Unterstützung durch das Land klappt und wir in der zweiten Jahreshälfte mit dem Abriss des Kirchturmes und der Fassadensanierung beginnen können.“

„Wir bauen eine neue Kirche“: Mit einer vielseitigen Broschüre werben Pfarrer Rainer Müller und seine Mitstreitenden für das ehrgeizige Projekt in Brilon. Foto: Hans-Albert Limbrock

Der Kiosk des Kirchenkreises, den die Gemeinde jetzt für ihre Öffentlichkeitsarbeit nutzt, wird vielfältig eingesetzt.