Gefahr des Rückfalls in die Barbarei

Erstellt am 22.03.2023

Der Soester Autor Michael Römling über seine Romanreihe „Tankred“ und den Krieg in der Ukraine

Mit der Streaming-Serie The Last Kingdom hat Netflix die Bücher von Bernhard Cornwell erfolgreich verfilmt. Der Soester Autor Michael Römling hofft, dass er mit seiner Tankred-Saga an diese Erfolge anknüpfen kann. Foto: Bernhard Walsh/Netflix

Soest. Der aus Soest stammende Autor Dr. Michael Römling hat mit der „Tankred“-Reihe eine historische Saga geschrieben, von der der Rowolth-Verlag hofft, dass sie an die internationalen Erfolge des Briten Bernhard Cornwell anknüpfen kann. Dessen dreizehn Romane um die Figur Uhtred wurden weltweit millionenfach verkauft und von Netflix  unter dem Titel „The Last Kingdom“ in bisher fünf Staffeln erfolgreich verfilmt. Mit Hans-Albert Limbrock sprach der inzwischen in Göttingen lebende Römling über seine neue Buchreihe – Band 2 „Hammer und Kreuz“ ist vor kurzem erschienen – und welche Rolle der Ukraine-Krieg beim Schreiben gespielt hat.

Nachdem Ihre beiden Romane Pandolfo und Mercuria in der sinnenfrohen italienischen Renaissance angesiedelt waren, begeben Sie sich dieses Mal mit Ihrem Helden Tankred in äußerst finstere Zeiten und Gefilde. Was hat Sie an dem Karolingerreich und den Wikingern gereizt?

Der Verlag wollte die Lücke besetzen, die durch das Ende der Uhtred-Reihe von Bernard Cornwell entstanden ist und fragte an, ob ich mir vorstellen könne, etwas in dieser Richtung zu machen. Uhtred ist allerdings sehr kampflastig, während mich der kulturelle Aspekt – das, was man die karolingische Renaissance nennt – viel mehr angesprochen hat. Darum habe ich aus Tankred einen Bibliothekar gemacht. Er beschäftigt sich mit Fragen von Philosophie und Wissenschaft, und er kennt die antike Literatur, die gerade zu dieser Zeit durch das Nadelöhr der Klosterüberlieferung geht

Die Fußstapfen von Bernard Cornwell sind natürlich groß. Wenn dann eine Anfrage des Verlags kommt, ob man sich vorstellen könne, etwas Ähnliches zu schreiben, zuckt man da erst einmal zusammen oder haben Sie sich gesagt: Ja, das ist genau mein Ding! Das ist meine Chance!

Das hat mich nicht geschreckt. Ich habe mich eher geschmeichelt gefühlt und auf ähnlich hohe Verkaufszahlen gehofft…

Viele Beschreibungen in Tankred zum Beispiel über sinnlose Zerstörungen erinnern an den Krieg in der Ukraine. Inwieweit hat dieser Krieg mitten in Europa Ihr Schreiben beeinflusst?

Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten: Auf der einen Seite Plündererbanden unter wechselnden Anführern, deren einziges Ziel darin bestand, so viel Beute wie möglich zu machen, ohne Ideologie und ohne das Ziel, herrschaftliche Strukturen zu zerstören oder zu übernehmen. Auf der anderen Seite ein diktatorisch regierter, von chauvinistischer und imperialer Ideologie getriebener Staat, der unter einem propagandistisch begleiteten Vorwand einen Nachbarstaat überfällt. Wenn man in der Geschichte nach Parallelen für den Krieg in der Ukraine sucht, dann findet man sie nicht im Mittelalter, sondern im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert. Und gerade deshalb kann man es nicht fassen, wie Putin ernsthaft glauben konnte, sich mit dieser Invasion einen Gefallen zu tun. Aber das Schreiben über das Mittelalter beeinflusst es nicht.

Besonders bei der Schlacht um Koblenz mit ihrer blinden Zerstörungswut fühlt man sich an die Angriffe auf Kiew oder andere ukrainische Städte erinnert. Fast kann man den Eindruck bekommen, dass die Menschheit in fast 1200 Jahren nicht wirklich dazu gelernt hat. Teilen Sie diesen Eindruck?

Nein. Ich glaube, dass die Menschheit unter dem Strich dazugelernt hat, auch wenn immer die Gefahr des Rückfalls in die Barbarei besteht. Die von Ihnen angesprochenen Angriffe auf ukrainische Städte, die Massaker und Deportationen sind ein solcher Rückfall, aber der Fortschritt der Menschheit äußert sich ja gerade auch darin, dass ein großer Teil der Weltgemeinschaft das nicht mehr einfach so hinnimmt.

Und dennoch gibt es fast achtzig Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges wieder mitten in Europa einen Krieg. Das ist nicht wirklich ein Fortschritt

Trotzdem sind wir heute wieder ein Stück weiter. Der freie Westen, in dem wir leben, hat auch Dreck am Stecken, er hat aus Gier und Opportunismus faule Kompromisse geschlossen und seine eigenen Werte verraten, aber er leugnet nicht, dass sie existieren, er hat sie nicht abgeschafft, und ihre Anziehungskraft ist unbestreitbar. Liberale Demokratien haben ein größeres Interesse an Frieden; sie haben bessere Chancen, Wohlstand zu erreichen und zu sichern, und sie lassen Menschen leben, wie sie wollen – darum sind sie attraktiver. Wenn es anders wäre, würden die Migrationsströme ja nicht so verlaufen, wie sie das tun. Wo wollen diese Menschen hin? Nach Russland? In den Iran? Nach Nordkorea? Dahin, wo man bespitzelt, gegängelt, niedergeknüppelt und zum Militär eingezogen wird, um in irgendwelche Kriege zu ziehen?

Wie gesagt, dieser Fortschritt ist nicht linear, er ist immer gefährdet, und es gibt keine Garantie, dass die Welt in fünfzig Jahren nicht genauso finster aussehen wird wie vor hundert oder tausend Jahren. Aber es gibt ein paar Prinzipien, auf die sich die meisten denkenden Menschen inzwischen einigen können: Es lohnt sich nicht, der vermeintlichen Größe der eigenen Nation Millionen von Menschenleben zu opfern. Man wird in seiner Freiheit nicht eingeschränkt, nur weil andere so leben, wie sie wollen. Und ein Rechtsstaat ist besser als das korrupte Willkürsystem, zu dem bisher noch jede Diktatur früher oder später mutiert ist.

Sensucht nach einer Pause

Die Beschreibungen der Städte und der Landschaften wirken sehr detailgetreu, obwohl es keine Fotos aus der damaligen Zeit gibt. Wie recherchiert man da?

Eine Vorstellung von den Städten und Landschaften gibt es schon. Die Gegend zwischen Maas, Rhein und Mosel war eine für die damalige Zeit vergleichsweise dicht besiedelte und urbanisierte Kulturlandschaft, die außerhalb der Siedlungen nicht so viel anders aussah als heute, wenn man davon absieht, dass die Flüsse an den Unterläufen breiter, mäandrischer und flacher waren. Was die Städte angeht, muss man sich auf die Archäologie verlassen. Zumindest die Straßenverläufe, die Beschaffenheit von Gebäuden und die materielle Kultur lassen sich ganz gut rekonstruieren. Für viele Details hat man allerdings tatsächlich mehr Freiheit, und ich komme auch mehr und mehr davon ab, mich sklavisch an die Fakten zu halten. Fakten sollen ein Gerüst sein und kein Korsett.

Haben Sie selbst diese Gegenden intensiv bereist?

Teilweise. Aachen kenne ich sehr gut, Rhein und Mosel einigermaßen, die Maas und die Eifel kaum. Allerdings nützt es oft auch nicht viel, diese Orte punktuell zu bereisen. Wichtiger sind oft ganz andere Fragen, für deren Beantwortung dem modernen Stadtmenschen die Praxis fehlt: Wie weit kann man von dem und dem Hügel aus eigentlich sehen? Wenn ein Reiter in vollem Galopp am Horizont erscheint – wie lange dauert es, bis er mich erreicht hat? Hört man in einem Eichenmischwald weiter als man sehen kann? Kann man in Verdun über die Maas hinweg ein Gesicht erkennen? Und wie dunkel ist eigentlich eine mondlose Nacht in einer Stadt ohne jede künstliche Beleuchtung?

Inwieweit haben Streaming-Serien wie Vikings oder Last Kingdom Einfluss genommen, vielleicht sogar geholfen?

Last Kingdom fand ich tatsächlich hilfreich, vor allem, was Straßenbild, Einrichtung und Kampfszenen betrifft. Der Archäologe, der mich beraten hat, konnte darüber nur die Augen verdrehen: Kein Kämpfer des 9. Jahrhunderts hätte sein Schwert auf dem Rücken getragen, wie Uhtred das tut; die Gesichtstätowierungen, mit denen die dänischen Bösewichter so schön fies aussehen, sind nirgendwo nachweisbar. Dennoch ist es anregend, sich das anzuschauen, weil Ästhetik und Dramaturgie gut aufeinander abgestimmt sind. Man darf das alles auch nicht zu bierernst nehmen. Im zweiten Tankred-Band lasse ich einen dänischen Anführer mit Hörnerhelm auftreten, womit er sich zum Hanswurst macht. Diese Helme hat es nie gegeben; sie haben sich über eine Wagner-Inszenierung in die Populärkultur geschlichen.

Ihre Romanelden sind immer sympathische Draufgänger, mit einer gehörigen Portion Schalk im Nacken. Wie viel Michael Römling steckt in Pandolfo oder Tankred?

Man sucht sich immer Erzählerfiguren aus, mit denen man sich identifizieren kann, ohne dass man jede Eigenschaft mit ihnen teilen muss. Im dritten Tankred-Band, der im September erscheint, gibt es eine Szene, in der mir deutlich geworden ist, wie stark diese Identifikation ist: Bevor Tankred loszieht, um Rache an seinem Halbbruder zu nehmen, muss er eine Ansprache an seine Männer halten; das gebieten die Regeln des Genres, das gebietet die Dramaturgie, und abgesehen davon ist es eine Frage der Würde. Man kann nicht hundertsechzig Bewaffnete im Morgenrauen versammeln, um gegen den Todfeind zu ziehen, und dann einfach nur sagen: So, Jungs, dann wollen wir mal. Nun habe ich eine tief sitzende Abneigung gegen das pathetische Tremolo der großen Gesten, gegen Schlachtgesänge, Fanfarengeschmetter und Siegen-oder-Sterben-Geschrei. Es war sehr schwierig, Tankred da Worte in den Mund zu legen, die der Situation gerecht werden und gleichzeitig so klingen, dass ich damit leben kann und nicht das Gefühl habe, Tankred ist auf einmal völlig anders als ich. Das hätte ich befremdlich gefunden.

Drei Bücher mit mehr als 1200 Seiten in neun Monaten – wie schwer waren die Geburtswehen; haben Sie rund um die Uhr geschrieben?

Zum Schreiben hatte ich etwa 15 Monate, was immer noch nicht viel für drei Bände ist. Rechnerisch waren das rund drei Seiten am Tag. Die Schwierigkeit liegt nicht darin, dass sich diese Menge nicht bewältigen ließe, sondern darin, dass man die Zeit zum Schreiben selten so portionieren kann, wie man will. Ich habe selbst noch einen kleinen Buchverlag, übersetze, gebe Kurse und habe zwei Kinder im Grundschulalter. Dadurch wird der Alltag stark fragmentiert. Zehn Stunden am Stück sind fürs Schreiben aber nun mal unendlich wertvoller als fünfmal zwei Stunden. Man muss also viel organisieren, und viele Momente mit guten Ideen vergehen ungenutzt.

Haben Sie ein Rezept gegen Schreibblockaden – oder gibt es die bei Ihnen einfach gar nicht?

Vollständige und anhaltende, sozusagen pathologische Blockaden kenne ich nicht. Aber es gibt Tage, an denen es läuft, und Tage, an denen es nicht läuft. Leider lässt sich das nicht vorher sagen, und wenn man sich allzu sehr zwingen muss, kommt nichts Gutes dabei raus. Vor ein paar Monaten haben Freunde mir ihr Wochenendhaus im Wald zum Schreiben angeboten, aber es zieht mich nicht in die Einsamkeit. Ich schreibe ab und zu ganz gerne im Straßencafé oder im Restaurant; mich regt es an, wenn ein bisschen Betrieb herrscht, solange keiner etwas von mir will. Manchmal baue ich die Leute, die vor meiner Nase herumlaufen, als Komparsen oder Nebenfiguren ein. Rotwein hilft auch. Klingt nach Autorenklischee, ist aber so.

Brauchen Sie jetzt erst einmal eine Pause vom Schreiben oder gibt es schon neue Ideen?

Beides. Es gibt Ideen, und ich brauche eine Pause.

 

Michael Römling stammt aus Soest und ist in der Thomästraße aufgewachsen. Mercuria und Pandolfo waren seine ersten beiden Romane für Erwachsene. Der Autor und Historiker lebt und arbeitet inzwischen in Göttingen. Foto: Hans-Albert Limbrock

Mit Tankred hat der Soester Michael Römling eine ungemein spannende und unterhaltsame Historien-Trilogie aufgelegt.