Ein Tag mit Bleizucker und Stilbruch

Erstellt am 13.07.2023

Renovierung der Ostönner Orgel mit Vortrag und Konzert gefeiert

Blick in die vollbesetzte Andreas Kirche Ostönnen Orgelsommer 8 Juli 2023.

Von Thomas Brüggestraße

Ostönnen. „Bleizucker ist schlecht für eine alte Orgel, man steht diesem Fraß hilflos gegenüber: Säure aus der Umgebungsluft und das Blei der Pfeifen reagieren chemisch, das Blei zerfällt zu einem süßen, giftigen weißen Pulver – hatten wir hier zum Glück nicht“, erläuterte Pfeifenmacher Winfried Puschmann in seinem Vortrag zur Restaurierung der Ostönner Orgel vor zwanzig Jahren. Viele interessierten sich für Details wie dieses und besuchten die Veranstaltung des inzwischen zehnten Ostönner Orgelsommers. Es gab einen Vortrag zum Umgang mit alten Pfeifen vorab, Klönschnack draußen im Kirchgarten und im fließenden Übergang ein bestens besuchtes Konzert ab 17 Uhr: Leon Berben spielte alte Musik unter dem Titel „Stilbruch“.

Die in Teilen auf 1425 datierte Orgel in der Andreas-Kirche in Ostönnen wird gerne als älteste bespielbare Orgel der Welt beworben. „Sagen wir mal, sie ist eine der ältesten Orgeln, und man kann sie noch spielen, sie klingt schön“, so sieht es Puschmann, der Experte aus Rheine: „Fürs Marketing ist sowas natürlich unendlich wertvoll, aber Fachleute schauen schon genau hin, wieviel an so einer Orgel wirklich ur-uralt ist, und was alles später erneuert wurde. Ich bin deshalb sparsam mit Superlativen, und mir ist es egal, ob eine Orgel nun 500 Jahre oder 300 Jahre alt ist – ich schaue darauf, was möglich ist fürs Spielen, wie man das alte Leben, das Klanggedächtnis in den Pfeifen erhält, wie man schöne Klänge bekommt. Da verdient jedes alte Instrument Respekt und volle Hingabe.“

Puschmann erzählte, wie das so war vor zwanzig Jahren, als gegen den Rat von Fachleuten die kleine Firma Orgelbau West und kein Marktprimus den Auftrag für die Restaurierung bekam. „Spannend war es vor allem, das Pfeifenwerk auszubauen, alle Pfeifen akribisch zu untersuchen, zu vermessen, zu dokumentieren. Dann kam die Reinigung, je nach Verschmutzung mit Druckluft, Bürsten und Pinseln oder mit Seifenlauge, wenn sonst nichts half. Die bange Frage ist immer: Gibt es Beulen in Fuß und Körper, Risse im Material, defekte Lötnähte oder lose Kerne?“ Vorsicht und Zurückhaltung in der Wahl der Mittel ist stets geboten, denn jeder handwerkliche Eingriff kann das klangliche Gedächtnis einer Pfeife verletzen, weiß Puschmann: „Ausbeulen oder Auseinanderschneiden nur im äußersten Notfall.“

In Ostönnen wurden die Pfeifen vor Ort restauriert, was selten so geschieht, meistens wird ausgebaut und hin- und hertransportiert. In Ostönnen wurde die Andreas-Kirche über Wochen eine Werkstatt. Puschmann schwelgt in Erinnerungen: „Einen schöneren Ort zum Arbeiten gibt es wohl nicht.“ Puschmann weiter: „Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch hier. Völlig überrascht von der Schönheit des Raumes saß ich an dieser Orgel und staunte über die Klänge, die man ihr auch damals entlocken konnte.“ Es sollte sich durch folgende Untersuchungen herausstellen, dass es sich auch in Ostönnen um eine im Grund mittelalterliche Orgel handelte – bekannt waren bis dahin eine in Sion in der Schweiz, eine in Kiedrich im Rheingau und eine in Rysum in Ostfriesland.

Spannend sei auch das anschließende Intonieren der wieder eingebauten Pfeifen gewesen, von Firmeninhaber und Orgelbaumeister Rowan West persönlich ausgeführt: „Klingt das noch schön nach altem Leben? Das war die Hauptsorge – und ja, wir haben den klanglichen Zustand von damals gut bewahren können“, ist Puschmann noch heute zufrieden. „Rowan West ist aufgewachsen in der Kirchenmusik am Dom zu Sydney. In Ostfriesland hat er später die sogenannten Orgelakademien von Harald Vogel besucht. Der Klang alter Orgeln hat ihn fasziniert bis zu seinem Tod vor wenigen Wochen – seine Arbeit hier in Ostönnen hat in seinem Lebenswerk eine besondere Bedeutung gehabt.“ 

Der Niederländer Leon Berben, als Meister am Cembalo und an der Orgel gefeiert, ist Titular-Organist in Ostönnen und der Andreas-Kirche und ihren Menschen eng verbunden. Er unterstützte den Puschmann-Vortrag mit Klangbeispielen, spielte im Konzertteil auf dem kurzen Manual Werke alter Meister von Couperin bis Bach, erläuterte vorab von der Kanzel herab Entstehungsgeschichte und inneren Zusammenhang der Stücke auf dem Programmzettel – jeder Pfarrer würde sich freuen, wäre seine Kirche zur Predigt so voll.

Die nächste Veranstaltung im Rahmen des 10. Ostönner Orgelsommers ist am Samstag, 2. September. Pieter Dierksen aus Coulemborg in den Niederlanden spielt vor allem Werke von William Byrd.

Am Samstag, 21. Oktober, lädt Victor Baena de la Torre zu einer musikalischen Reise durch das Südeuropa des 16. und 17. Jahrhunderts.

 

Leon Berben an der Orgel. Fotos: Thomas Brüggestraße

Organist Leon Berben und Pfeifenmacher Winfried Puschmann vor der Orgel.