Der Pfarrberuf ist der schönste der Welt

Erstellt am 21.07.2023

Im großen Sommer-Interview spricht Superintendent Dr. Manuel Schilling über die Zukunft der Kirche

Superintendent Dr. Manuel Schilling: „Wenn euch die Kirche fehlt, dann baut sie auf. Traut euch was zu. Wir wollen euch helfen.“ Fotos: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Soest-Arnsberg. Seit etwas mehr als drei Jahre ist Dr. Manuel Schilling als Superintendent im Evangelischen Kirchenkreis Soest-Arnsberg tätig. Vor allem die letzten Monate haben durch den Ukraine-Krieg, aber auch durch den Pfarrstellenplan eine unglaubliche Dynamik erhalten. Bevor sich der Superintendent mit seiner Familie in den wohlverdienten Urlaub verabschiedet hat, hat er ein Interview gegeben, das in drei Folgen veröffentlicht wird.

Sie sind jetzt seit drei Jahren Superintendent im Kirchenkreis Soest-Arnsberg. Als Sie sich im Herbst 2019 beworben haben, gab es noch kein Corona, keinen Krieg in der Ukraine und auch eine Halbierung der Pfarrstellen wurde noch nicht öffentlich diskutiert. Man kann sich einen leichteren Start vorstellen.

Jedem Anfang soll ja ein Zauber innewohnen. Ich habe das so erlebt. Corona war für mich wie ein Schutzmantel. Dadurch bin ich quasi reingeschlichen in das Amt. Es war klar, was zu tun war: von Null auf Hundert den Wagen der Kirche auf völlig ungebahnten Wegen zu steuern. Das ging nur Schritt für Schritt. Alle wussten, dass wir uns unterhaken mussten und jeder an seiner Stelle gebraucht wurde. Ich war ein Glied in dieser Kette. Von Anfang an habe ich Verbundenheit mit meinen Pfarrer:innen und Mitarbeiter:innen empfunden. In vielen Gesprächen per Zoom kam dieser Geist rüber. Ich erinnere mich an manche Gebete durch den Bildschirm hindurch. Seit anderthalb Jahren der Krieg, wen lässt er kalt? Dann die eigenen Schwierigkeiten in der Kirche, die Personalnot, die Mitgliederentwicklung und die Finanzprognosen. Mich stört in der Kirche wie in unserem Land, wenn die gewaltigen Aufgaben zur Lähmung führen. Um es zugespitzt zu formulieren: Wegen Corona feiern wir Kurzgottesdienste, wegen der Ukraine lassen wir die Kirche kalt, wegen des Pfarrermangels fällt das Gemeindeleben flach. So verstanden werden die Krisen zu Blockaden. Sie könnten aber Innovationstreiber sein.

 

Vor allem die Halbierung der Pfarrstellen ist und war eine ebenso schmerzhafte wie intensive Diskussion. Wie haben Sie diesen Prozess erlebt?

Genau diese Dynamik habe ich in der ganzen Bandbreite erlebt. Zunächst standen wir alle unter Schock. Dann kam der übliche Trieb, das Elend zu verdrängen, in dem man es verwaltet, ordnet, klassifiziert, delegiert. Ziemlich schnell regte sich in mir der Wunsch, nach vorne zu schauen. Die Zahlen alleine sagen ja nichts aus. Es kommt darauf an, was man mit ihnen macht. Bei den meisten Gemeinden nehme ich viel Tapferkeit wahr: wir stellen uns den Realitäten und versuchen durchzukommen. Bei einer kleinen schlagkräftigen Zahl sehe ich Mut und Gestaltungswillen, Lust auf Neues. Bei einer sehr kleinen Zahl spüre ich Angst, und die führt dann zu lautstarkem Protest. Diese Minderheit bindet leider oft viele Kräfte und bremst die positive Energie. Auf unserer Sommersynode ist es uns gelungen, ein gemeinsames Konzept für alle Kirchengemeinden und Regionen zu verabschieden, das weitgehende Planungssicherheit für alle Beteiligten bietet. Jetzt können wir aus der Starre heraus treten und neue Wege ausprobieren.

 

Was sagen Sie den Menschen in den Gemeinden, die keine Pfarrerin oder keinen Pfarrer mehr haben werden und sich von Ihrer Kirche im Stich gelassen fühlen?

Zunächst: ich verstehe eure Traurigkeit, weil ihr viel verliert, was euch sehr lieb geworden ist und bis heute Schutz und Sicherheit gab. Ich verstehe euren Schrecken vor der Zukunft, vor allem, wenn man noch gar kein klares Bild davon hat. Als zweites: ihr seid die Kirche. Nicht die Pfarrpersonen und nicht das Kreiskirchenamt plus Superintendentur. Die Zeit einer pfarramtlichen Vollversorgung ist vorbei. In allen Christen schlummern Talente, die sind gefragt. Wir als Institution sind nur dafür da, diese schlummernden Talente zu wecken und zu fördern. Fazit: Wenn euch die Kirche fehlt, dann baut sie auf. Traut euch was zu. Wir wollen euch helfen.

 

Sie haben Ihren Dienst kurz nach Beginn der Vereinigung der beiden Kirchenkreise begonnen. Ist dieser Prozess aus Ihrer Sicht inzwischen abgeschlossen?

Noch lange nicht. Manches wird auch niemals zusammenkommen, muss es auch nicht. Dafür ist die Fläche zu groß. Den Gemeindegliedern ist das in der Regel egal, und das ist ok. Bei den Pfarrerinnen und Pfarrern aber und den MitarbeiterInnen finde ich das wichtig. Da wächst ein gemeinsames Bewusstsein.

 

Wenn Sie zum Predigen eingeladen werden und dann leere Kirchen erleben. Wie sehr schmerzt Sie das?

Das deprimiert. Und trotzdem darf das kein Grund sein, weniger auf das Wort Gottes zu bauen.

 

Sie haben fünf Kinder, Ihr Sohn Jacob studiert Theologie. Können Sie ihm guten Gewissens empfehlen, Pfarrer zu werden?

Natürlich kann ich das. Der Pfarrberuf ist für mich immer noch der schönste der Welt. Es gibt nichts Spannenderes, Edleres und Erfüllenderes als der Arzt für die Seelen sein zu dürfen. Es gibt für mich kein schöneres Buch als die Bibel. Darin lesen und anderen daran Teil geben zu dürfen, erscheint mir immer noch wie ein märchenhaftes Privileg. Diese Freude daran hat bis jetzt immer noch die dunklen Anfechtungen, die Sorge und die Erschöpfung überstrahlt, die zwangsläufig zu einem solchen Beruf dazugehören.

 

Evangelische und Katholische Kirche arbeiten zunehmend enger zusammen. Es gibt erste Gemeinden, in denen Gebäude - wie auch Kirchen - gemeinsam genutzt werden. Ist es nicht angesichts dramatischer Kirchenaustritte auf beiden Seiten ohnehin ein Gebot der Stunde, gemeinsam um die Glaubenden zu kämpfen, weil nur so Kirche gesellschaftliche Relevanz behalten kann?

Absolut. Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Da haben beide Seiten aber noch gewaltigen Lernbedarf. Nicht nur die Katholische Seite, sondern genauso viel wir Evangelischen.

 

Im zweiten Teil des Interviews, das kommende Woche,  spricht Manuel Schilling über Kirchenaustritte, was das mit ihm macht und warum er auf Menschen wie Bischof Wölki wütend ist.

Auch das gehört zur Aufgabe eines Superintendenten: Die Verpflichtung von neuen Mitgliedern der Synode.