Stück für Stück zum Familienpuzzle

Erstellt am 09.02.2024

Maria Laufer hat die Geschichte ihrer Familie bis zu den Ursprüngen im Wolgagebiet zurückverfolgt

Intensiv hat sich Maria Laufer mit der Geschichte ihrer Familie beschäftigt und bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen können. Damals wanderten ihre Vorfahren an die Ufer der Wolga aus. An der Wand in ihrem Arbeitszimmer hängt ein Stammbaum, der von ihrer Forschung zeugt. Foto: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Das kann man sich heute natürlich gar nicht mehr vorstellen: Es gab mal eine Zeit, in der sind Menschen in großer Zahl aus Deutschland freiwillig nach Russland ausgewandert; in ein Land, in dem für sie Milch und Honig fließen sollten. Das war in der Mitte des 18. Jahrhunderts, als die deutschstämmige Zarin Katharina die Große deutsche Kolonisten angeworben hat, die vor allem im unteren Wolga- und Schwarzmeergebiet angesiedelt wurden und später als Wolgadeutsche ein historischer Begriff wurden.

Über 26.000 Männer, Frauen und Kinder, vornehmlich aus Westfalen, Hessen, Preußen, Sachsen und Norddeutschland, machten sich auf den über 2000 Kilometer langen Weg in ein völlig unbekanntes Land, nachdem ein so genannter Kolonistenbrief ab Juli 1736 als Aushang in zahlreichen deutschen Städten die Aussicht auf fruchtbares Land versprochen hatte. In der Folge wurden auf beiden Seiten der Wolga 66 evangelische und 38 katholische Kolonien gegründet. Als die „Wolgadeutsche Republik“, die 1924 offiziell gegründet wurde, 1941 aufgelöst wurde, lebten dort in einem Gebiet, das in etwa so groß wie heute Belgien war, 600.000 Menschen - zwei Drittel davon waren deutschstämmig.

Maria Laufer (geborene Flegler) ist mit der wechselvollen und leidgeprüften Geschichte dieser Menschen bestens vertraut. Intensiv hat sich die Soesterin mit der Historie der Wolgadeutschen und damit auch mit ihrer eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt. Unzählige Bücher, Akten, Schriften und Veröffentlichungen hat die gelernte Erzieherin, die mit ihrer Familie im Oktober 1990 aus Kirgisien nach Deutschland gekommen ist und seit 1991 in Soest wohnt, in den vergangenen Jahren gewälzt, hat Dutzende von Briefen geschrieben, um Licht in das Dunkel zu bringen, wo die Ursprünge ihrer Familie liegen. „Das hat mich einfach nicht mehr losgelassen und beschäftigt mich auch heute noch intensiv, obwohl ich schon eine Menge in Erfahrung bringen konnte.“

Davon zeugt ein handgemalter Stammbaum, der an der Wand ihres Arbeitszimmers hängt. Auf ihm hat sie die Geschichte ihrer Familie eindrucksvoll nachgezeichnet und dokumentiert. Mit detektivischem Ehrgeiz ist sie den unterschiedlichen Spuren gefolgt. Und so manche Spur ist dabei auch im Sande verlaufen. Die Ursprünge ihrer Familie, zumindest die, die sich noch zurückverfolgen lassen, liegen in Hessen (mütterlicherseits) und Baden-Württemberg (väterlicherseits). Von dort sind ein gewisser Michael Reinhardt und ein Andreas Flegler offenbar sehr früh dem Ruf der Zarin gefolgt und gehörten so zu den ersten deutschen Siedlern an den Niederungen der Wolga.

Unterstützt wurde Maria Laufer bei ihrer Arbeit von Igor Pleve, selbst Sohn deportierter wolgadeutscher Eltern. Als Historiker hat der Rektor der Universität Saratow Zugang zu sonst verschlossenen Archiven und unterstützt gegen Honorar bei der Ahnen- und Familienforschung. Für Maria Laufer hat er die Stammbäume der beiden Familienzweige Reinhardt und Flegler ausgearbeitet und konnte so wichtige Stücke zum umfangreichen Familienpuzzle beisteuern. „Ohne diese Unterstützung hätte ich das nicht geschafft“, weiß Maria Laufer.

Dadurch lässt sich ein ziemlich detailgetreues Bild vom Lebensweg ihrer Vorfahren darstellen. Das geht sogar so weit, dass sie nicht nur von der Enteignung und Vertreibung der Familien Reinhardt und Flegler im März 1931 aus der Kolonie „Neu-Dönhoff“ nach Kasachstan und Kirgisien weiß, sondern auch in Erfahrung bringen konnte, in welchen Verhältnissen die Familien einst gelebt haben: „Im Jahr 1927 wohnten im Haus meiner Oma zwei Söhne mit Kindern und zwei Neffen von meinem Großvater mit ihren Familien. Das waren zwanzig Personen, die zum Haushalt gehörten.“ Zum Hof gehörten außerdem vier Pferde, acht Ochsen, drei Kühe, sieben Kälber, zwei Fohlen, neunundzwanzig Schafe und neun Schweine. Bewirtschaftet wurden knapp vierzig Hektar.

Es sind solche Puzzlestücke, die Maria Laufer immer wieder aufs Neue faszinieren und sie bei ihrer spannenden Zeitreise motivieren. Denn wenn sie sich in ihr Arbeitszimmer zurückzieht und in die Familiengeschichte abtaucht, dann verliert sie sich in Raum und Zeit und verbringt oft viele Stunden mit ihrer Forschung. „Ja. Das stimmt“, scheint sie die Frage zu ahnen, die sich zwangsläufig, ob der Intensität und Hartnäckigkeit, mit der sie diesem zeitaufwändigem Hobby frönt, stellt. „Das ist schon ein bisschen wie eine Sucht. Und ich bin meinem Mann überaus dankbar, dass er mir den Freiraum lässt, denn das alles kostet viel Zeit und auch Geld. Aber noch gibt es ein paar weiße Flecken. Deshalb muss ich einfach weitermachen.“

 

So hat der Künstler Oskar Aul das Werben um deutsche Siedler gezeichnet.