Gemeinsam auf dem Weg

Erstellt am 12.01.2024

Kraft tanken auf Pilgerwegen durchs Sauerland

Am Wasserfall „Plästerlegge“ informieren sich die Teilnehmenden über die ökologische Vielfalt der Region. Fotos Julie Riede

Von Julie Riede

Kirchenkreis. Mittendrin statt nur dabei, so kam ich mir vor, als ich bei noch milden Temperaturen im frühen Herbst 2023 eine geführte spirituelle Wanderung durchs Sauerland unternahm. Rückblickend eine Erfahrung, von der ich in den kommenden dunklen Monaten noch zehren werde. Es sind die kleinen Momente, die einem in Erinnerung bleiben; daran muss ich oft denken, wenn ich in unserer Region unterwegs bin, während viele Menschen meiner Generation und der darunter um den ganzen Erdball in Kurztrips von einem Land zum anderen hetzen, um auf ihrer sogenannten „Bucketlist“ (zu Deutsch: „Löffelliste“) alle möglichen spektakulären Dinge abzuarbeiten, die sich in die Erinnerung einbrennen sollen.

Da sind vor allem sportliche Highlights das Ziel – Surfen auf Hawaii, Fallschirmspringen in den Anden, oder den Mont Blanc erklimmen. Und auch das Selfie hinter den weißen Gebäuden auf Santorini im Sonnenuntergang ist scheinbar ein „Must-Do“, ein absolutes Muss. Stolz werden auf Social Media dann die Flaggen präsentiert, um sich international und weitgereist zu geben, echte Abenteurer eben, die den Jetlag mit dem nächsten Kick verdrängen möchten, in unserer „Höher- Schneller- Weiter-Zeit“.

Der absolute Gegenentwurf

Die spirituelle und klimafreundliche Wanderung, die die Evangelische Erwachsenenbildung des Kirchenkreises Soest-Arnsberg anbietet, ist da sozusagen der absolute Gegenentwurf. Die Pilgerwege im Sauerland und Paderborner Land sind mir sehr vertraut, nie bin ich sie allerdings mit einer großen Gruppe gewandert – ein Experiment also. Und weil ich mir nicht so recht etwas vorstellen konnte unter einer spirituellen Wanderung in großer Runde, war ich umso gespannter, was mich erwartet.

Die Wanderungen der Evangelischen Erwachsenenbildung sind beliebt im Kirchenkreis und oft schnell ausgebucht. Abseits des Massentourismus, den man bisweilen im Sommer rund um die Seen und im Winter rund um die Skigebiete in unserer Gegend erleben kann, geben sie Einblick in eine der schönsten Regionen Deutschlands und sind etwas für jeden, der statt Zerstreuung und „Muss-ich-noch-tun-vor-dem-Tod-Visionen“ Ruhe und Kraft in der Natur schöpfen möchte.

Die Wanderung ist ausgelegt auf vier bis sechs Tage, ich erlebe einen davon, den letzten, mit. Die Gruppe trifft sich am Bahnhof in Bestwig. Ich sehe sie direkt, eine gutausgerüstete Truppe, Rucksack, Trekkingstöcke, Wanderstiefel – dann schaue ich auf meine Turnschuhe herunter und denke, dass ich es damit wohl auch schaffen werde. Rückblickend muss ich sagen: die festen Stiefel schützen die Knöchel auf den zum Teil recht steilen Pfaden mit Sicherheit besser. Meine Wanderkamerad:innen sind von Anfang 50 bis über 80 Jahre alt und kommen aus Sauerländer Orten wie Mattfeld, Alme, Brilon, Olsberg, Meschede aber auch aus Soest, Katrop und sogar aus Westerholt im Ruhrgebiet.

Wir steigen in den Linienbus und fahren einige Stationen nach Wasserfall, einem Ort mit 73 Einwohnern, der durch den ortsansässigen Freizeitpark „Fort Fun“ seit rund 50 Jahren viele Besucher von nah und fern anzieht, ein echter Hot Spot für Urlauber und Tagestouristen. Das Dorf liegt direkt an der Wanderstrecke „X10“. Folgt man diesem Pfad, gelangt man direkt zur Plästerlegge, dem Wasserfall, der dem Ort bis heute seinen Namen gibt. Die Plästerlegge ist der einzig natürliche Wasserfall in NRW. Vor zwei Jahren wurde dort mit Hilfe von Leader-Fördergeldern alles für den Lokaltourismus aufgefrischt, eine Treppe und eine Brücke führen über den Bach, eine Tafel informiert über die Natur in der Umgebung und wie diese erhalten werden kann.

Der Wasserfall ist die erste Station unserer Wanderung, danach geht es gut zehn Kilometer durch überwiegend waldiges Terrain in Richtung Bergkloster Bestwig, unserem Ziel. Während der Wanderung atme ich Wald, das kann man ganz wörtlich nehmen: der Duft des Baumharzes, das Moos, die Pilze und die Rinnsale, die über alte Bergwerkshalden, eisenhaltigen Stein und nasse Erde gluckern, dies alles entfaltet ein einmaliges olfaktorisches Genusserlebnis.

Im eigenen Rhythmus unterwegs

Jeder geht seinen Rhythmus, in kleinen Gruppen schlängelt sich unser buntes Band durch die Natur. Ich gehe mal hinten und mal vorne mit, unterhalte mich mit ganz unterschiedlichen Menschen, manche sind vertieft in Gespräche, andere tauschen sich mit mir aus über Gott und die Welt, andere schweigen fast den ganzen Weg über. In den Pausen halten wir kurze Andachten oder führen kleine Yogaübungen durch. Yoga ist ein wunderbares Mittel für alle Religionen, um seinen Glauben zu vertiefen. Mit bereits einfachen Techniken und Übungen wird Spiritualität mit Körperlichkeit gebunden; ich, mein Körper, als Gefäß des Geistes, der in der Natur offen ist für Gott und die göttliche Schöpfung. Es fühlt sich ganz natürlich an; die Weite, die ich mit den gestreckten Armen fühlen möchte, ist etwas ganz anderes hier draußen im Wald und unter dem freien Himmel, als in geschlossenen Räumen; die Atmung an der klaren Luft hat ebenfalls ein ganz anderes Niveau als in den warmen und manchmal verschwitzten Kursräumen, die ich gewohnt bin.

Immer wieder halten wir inne und rasten, warten auf langsamere Wanderer:innen unserer Gruppe oder stärken uns. Am Nachmittag erreichen wir unser Ziel, gerade noch rechtzeitig vor dem ersten Schauer des Tages. Das Bergkloster Bestwig. Es ist Sitz des Provinzialats der Europäischen Provinz der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel und entstand in den Jahren 1965 bis 1971.  Als Mutterhaus ist es seitdem Lebensort vieler Schwestern. Im Bergkloster Bestwig findet die Ordensausbildung der Schwestern statt, die in die Gemeinschaft eintreten oder aber hier ihren Lebensabend verbringen. Es gibt dort ebenfalls Gästehäuser für (Rad)-Wander:innen und jeden, der eine Rast oder eine Pause vom Alltag benötigt. Im Kloster stärken wir uns mit einer deftigen Suppe und danach erzählt uns die Ordensschwester Ignazia von der Geschichte des Klosters.

Voll von den Eindrücken des Tages mache ich mich auf den Heimweg. Der Abschied ist herzlich, nach nur einem Tag der Wanderung fühle ich mich der Gruppe verbunden, „sei wieder dabei im nächsten Jahr“, sagen einige zu mir, und ich kann nur lächelnd bejahen. Auf dem Weg nach Hause habe ich das Gefühl, dass mein Kopf gleichzeitig leer und voll ist, während mein Körper müde und gleichsam erholt ist.

Die Wegstrecke ist vielfältig; es geht bergauf und bergab, Wanderausrüstung wie festes Schuhwerk und Wanderstöcke sind für viele Teilnehmer:innen hilfreich.

Die Wandernden am Ende ihrer Etappe im Bergkloster Bestwig.

INFOBOX

Die klimafreundliche und spirituelle Wanderwoche bietet Teilnehmenden Entdeckungen in der Natur und in den Dörfern der Region und sind gut gebucht. Die Organisatorinnen Simone Pfitzner, Seelsorge-Referentin im Evangelischen Kirchenkreis Soest-Arnsberg, und Kathrin Koppe-Bäumer, Regionalpfarrerin in den Kirchengemeinden Olsberg-Bestwig, Brilon, Marsberg und Medebach bieten voraussichtlich auch in diesem Jahr wieder Wanderwochen im Sommer bzw. Spätsommer an. Die Gruppen bestehen aus max. 25 Menschen. Mit dem RLG-Urlauberticket fährt die Gruppe mit ÖPNV zum Startpunkt der Wanderung und vom Ziel wieder zurück.

Die nächste Möglichkeit für ein einzigartiges Pilgererlebnis bietet in diesem Jahr das Kirchenkreisprojekt „Maria – eine wie keine“. Dabei begibt sich eine Jugendgruppe vom 17. Mai bis zum 2. Juni in Begleitung anderer Wanderbegeisterter in 16 Tagen, knapp 180 Kilometer zu Fuß durch Westfalen. Ihre Pilgerwanderung führt sie durch eine Fülle eindrucksvoller Orte und Landschaften der Region. An verschiedenen Orten auf dem Weg macht die Gruppe Halt und sorgt dort für ein besonderes Erlebnis. Ihre Mission: Die Aufführung eines modernen Oratoriums.

Die einzelnen Streckenabschnitte sind zwischen 10 und 25 km lang, mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Es kann sowohl die ganze Tour begleitet werden als auch einzelne Streckenabschnitte.  Alle Informationen zum Projekt und den einzelnen Etappen sind auf der Webseite zu finden: www.mariaeinewiekeine.de.