Ein Spiel der Generationen

Erstellt am 15.12.2023

100. Auflage des Krippenspiels nach Corona und Absage im letzten Jahr

Seit Generationen der stimmungsvolle Einstieg in das Weihnachtsfest: das Soester Krippenspiel. Foto: Peter Dahm

Von Klaus Bunte

Soest. „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von der Regierung ausging, dass alle Deutschen zuhause blieben. Und dieses Gebot war das allererste und geschah zu der Zeit, da eine Pandemie in Deutschland war. Und jedermann blieb zuhause, dass er sich nicht anstecken ließe, ein jeglicher in seinem Haus.“

So in etwa könnte man die ersten Sätze der über 2000 Jahre alten Weihnachtsgeschichte umschreiben, wenn man sie an die heutige Zeit des Soester Krippenspiels würde anpassen wollen. Zuletzt fand die traditionsreiche Aufführung, die die Soesterinnen und Soester über mehr als hundert Jahre auf Weihnachten eingestimmt hat, vor der Pandemie statt, fiel ihr dann zweimal zum Opfer, und im vergangenen Jahr, als die 100. Auflage endlich hätte nachgeholt werden können, musste es abgesagt werden – die wenigen Mitwirkenden der einstmals von den Soester Gymnasien getragenen Veranstaltung lebten überwiegend nicht mehr in Soest oder fielen wegen Krankheit aus. Es konnte kaum geprobt werden, sodass die musikalische Leiterin Raynhild Hartung-Weier die gewohnte Qualität des vom Chorgesang getragenen Stücks nicht gewährleistet sah und Anfang Dezember 2023 die  Reißleine zog.

Damit war aber auch die Zukunft des Spiels gefährdeter denn je. Denn ohne die Gymnasien, die eine Beteiligung entweder ablehnten oder auf die Anfrage erst gar nicht reagierten, bestand kein Versicherungsschutz. Hier sprang der Evangelische Kirchenkreis Soest-Arnsberg ein. Der rief über seine Kanäle auch dazu auf, mitzuwirken.

Nun, all dies führte zwar nicht unbedingt dazu, dass Hartung-Weier und Ludwig Dörr, der in diesem Jahr die schauspielerische Leitung übernahm, ihre Proben fortan aus Platzgründen in der Stadthalle abhalten mussten. Aber immerhin war in diesem Jahr die Aufführung – traditionell immer am Donnerstag vor Heiligabend - gesichert. Und in der Struktur des Ensembles hat sich weiterhin ein starker Wandel ergeben.

Standen einst ausschließlich Schüler vorm Altar der Hohnekirche, nahm in den vergangenen drei Jahrzehnten die Zahl der Ehemaligen stetig zu. Ältester Wieder-Neuzugang der vergangenen Jahre ist Dörr selber, der vor 70 Jahren erstmals mitwirkte und mittlerweile die 80 passiert hat. Daher gilt die Veranstaltung schon längst als „Generationenspiel“. In diesem Jahr nimmt der Begriff aber ganz neue Dimensionen an, denn erstmals wirken ganze Familien mit: Eine Konstellation aus Vater, Mutter und zwei Kindern sowie eine aus Oma, Tochter und Enkelin.

Musikalität an die Töchter vererbt

Bei der ersten handelt es sich um die Familie Hinrichs. Mit Christine und Arp Hinrichs erhält das Krippenspiel zwei geübte Chorsänger, beide gehören zum renommierten Vocalconvent Soest, und ihren drei Töchtern, von denen die jüngeren beiden beim Krippenspiel mitgewirkt haben, haben sie ihre Musikalität vererbt.

„Als unsere mittlere Tochter Mirja das Krippenspiel erstmals sah, da sagte sie sofort: Da will ich mitmachen“, erinnert sich Arp Hinrichs, der im heimischen Bücherschrank sogar eine in einem Antiquariat erworbene Originalausgabe der Textgrundlage stehen hat. „Aber da war sie noch zu klein, dann kam Corona. Heute ist sie 14 und alt genug. Unsere jüngste Lisbeth ist zwar erst neun, aber sie kann schon relativ gut singen. Da wir sie als Eltern schon zu den Proben bringen und Sänger gesucht wurden, haben meine Frau und ich uns gesagt: Machen wir doch auch mit. Wir finden es total wichtig, dass das Krippenspiel weiter stattfindet.“

Und er richtet einen Appell an die Eltern: „Wir haben beide in unseren Heimatstädten Bielefeld und Oldenburg unsere ersten musikalischen Schritte in einem Krippenspiel gemacht. Das waren ganz tolle und wichtige Erfahrungen für uns, und die möchten wir anderen Kindern und den folgenden Generationen auch ermöglichen. Daher können wir auch nur an Eltern, die möchten, dass ihre Kinder Musik machen, appellieren: Bringt sie zum Krippenspiel. Sie werden begeistert und mit Herzblut dabei sein.“

Christine Hinrichs ergänzt: „In meiner Heimatgemeinde in Bielefeld bin ich mit einem ganz ähnlichen Krippenspiel aufgewachsen. Auch wenn der Rahmen damals deutlich bescheidener war: So eine Tradition mitzugestalten, bedeutet für mich ein Stück Heimat. Und es ist für uns auch schön, so mit fast der ganzen Familie Musik zu machen.“ Lisbeth gewinnt ihrer Rolle als kleiner Hirte ganz andere Seiten ab: „Erst war ich schüchtern mit meiner Rolle. Aber als ich erfahren habe, dass die Männer singen müssen, wenn ich es ihnen sage, habe ich mich gefreut.“ Mirja: „Seit ich das Krippenspiel das erste Mal erlebt habe, wollte ich da mitspielen. Ich bin froh, dass das jetzt möglich ist.“

Drei Generationen einer Familie vereint das Krippenspiel bei den Rickens – Großmutter Dagmar, Tochter Melanie und deren Töchterchen Mathilda Ricken singen zusammen im Sopran. „Mitgemacht haben wir nie, aber seit ich vier Jahre alt war, ist meine Mutter immer mit mir dorthin gegangen. Verpasst haben wir kein einziges und ich kenne es in- und auswendig – aber nur durchs Zuschauen“, erzählt Melanie Ricken.

„Als Schülerin dachte ich, das sei eine feste Gruppe. Aber als Mathilda den Handzettel sah, sprach sie mich darauf an. Und sie meinte: Oma war doch so lange im Chor, da kann sie doch auch mitmachen. Sie traute sich erst nicht, aber wir konnten sie überreden. Da sie beim ersten Treffen noch im Urlaub war, habe ich Mathilda hingebracht – und dann wurde ich direkt angesprochen, ob ich nicht auch mitmachen will. Seither sind wir alle drei dabei. Und singen die Lieder zuhause – Mathilda imitiert dann Raynhild Hartung-Weier beim Dirigieren und sagt zum Schluss: Das geht aber noch ein bisschen besser.“

 

Arp, Lisbeth, Mirja und Christine Hinrichs (von links) freuen sich auf das vorweihnachtliche Chorsingen.

Drei Generationen einer Familie, vereint beim Krippenspiel: Dagmar (1961), Mathilda (2014) und Melanie Ricken (1986). Fotos: privat