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Neue Ära von Offenheit und Akzeptanz

3.7.2025

Queere Vize-Bürgermeisterin Jutta Maybaum hält umjubelte Rede bei erstem CSD

Carsten Frank (l.) zog vor 32 Jahren von Soest nach Köln. Das heutige Soest wirkt auf ihn deutlich liberaler. Den CSD besuchte er mit seinem Partner und seiner in Soest lebenden Schwester Claudia.
Carsten Frank (l.) zog vor 32 Jahren von Soest nach Köln. Das heutige Soest wirkt auf ihn deutlich liberaler. Den CSD besuchte er mit seinem Partner und seiner in Soest lebenden Schwester Claudia.

Von Klaus Bunte

 

Soest. 32 Jahre ist es her, dass Carsten Frank Soest verließ und nach Köln zog. Nicht ausschließlich, weil er hier damals mit seiner Homosexualität aneckte, aber eben auch. Lange hatte er der Stadt, in der er aufgewachsen war, den Rücken gekehrt. Gerade ist er 60 geworden, mittlerweile kommt er regelmäßig wieder her, erst recht diesen Tag lässt er sich nicht entgehen. „Köln bot mir damals die nötige Freiheit. Aber heute könnte ich mir tatsächlich sogar wieder vorstellen, hier zu leben. Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht, merkt man, wie viel sich seither hier getan hat, auch an Aktionen.“

 

Er und sein Partner sind zwei von 1100 Teilnehmern, so die offizielle Zahl der Polizei, die an diesem Tag darauf aufmerksam machen, dass es sie gibt. Menschen, die für andere nicht ins Raster passen, weil sie Menschen des gleichen Geschlechts lieben oder ins falsche biologische Geschlecht geboren wurden.

 

Victoria Drüke ist eine von ihnen, Transfrau aus Paderborn, die in einem kleinen Dorf aufwuchs, lange dachte, sie sei allein. Bis sie sich outete, merkte: Nein, ich bin nicht allein. Jetzt steht sie auf der Bühne, erklärt, warum das Regenbogensymbol so wichtig ist: „Wenn jemand es trägt, als Schlüsselband oder kleiner Anstecker, dann weiß ich: Bei dieser Person bin ich sicher. Und diese Sicherheit brauchen so viele von uns, gerade heutzutage, wo die Missgunst und der Hass gegen uns wieder größer werden und man nicht weiß: Ist diese Person für mich oder gegen mich?“

 

Der Regenbogen wird nicht ohne Grund thematisiert, denn die Stadt hatte sich geweigert, die Regenbogenfahne auf dem Rathaus zu hissen, weil am Wochenende des Bürgerschützenfests die Soester Fahne und die Nationalflagge aufgezogen werden. Das vermochte auch die Soester Vize-Bürgermeister Jutta Maybaum nicht zu ändern, selbst eine queere Frau. „Jede Fahne, jedes Bekenntnis zu unserer Identität, ist ein politisches Zeichen“, so die grüne Politikerin in ihrer Ansprache. „Soest ist bunt, das beweisen wir alle heute.“

Veranstaltung ist Meilenstein für Bewegung

Doch habe sie keine Unterstützung erfahren, für die Dauer der Feier eine der Fahnen gegen die Regenbogenfahne auszuwechseln. Aus einem Fenster direkt über der Skulptur des Stadtpatrons hatte zwar jemand eine kleine bunte Fahne gehängt, was Maybaum auch lobt, „aber das reicht nicht. Dass sie heute nicht weht, enttäuscht mich als Politikerin und als queerer Mensch. Aber ich stehe nicht hier, um anzuklagen, sondern um zu verändern. Und um gemeinsam mit euch einen Weg zu ebnen für ein Soest, in dem Vielfalt nicht nur geduldet, sondern gefeiert wird. Ein Soest, in dem die Regenbogenfahne nicht nur als politisches Statement, sondern als Symbol der Menschlichkeit angesehen wird.“

 

Als queere Frau in der Politik wisse sie, wie wichtig Sichtbarkeit ist und „dass junge Menschen Vorbilder haben, die ihnen zeigen: Du darfst sein, wer du bist. Du bist wertvoll und du gehörst dazu. Und genau das ist die Botschaft, die wir alle heute in die Welt tragen: Soest ist ein Platz für alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität, und sie stehen ein für Rechte aller Menschen ohne Wenn und Aber. Ich werde nicht ruhen, bis an einem CSD am Soester Rathaus die Regenbogenfahne weht und bis queere Menschen in unserer Stadt vollständig gleichberechtigt sind – nicht nur auf dem Papier, sondern im täglichen Leben. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass dieser erste CSD in Soest nicht der letzte ist, sondern der Beginn einer neuen Ära von Offenheit und Akzeptanz.“ Der Jubel für ihre Rede will kaum abreißen, schneidet ihr sogar zwischendurch das Wort ab.

 

Nur Worte des Lobes hört man auch für die Organisatoren. Umgekehrt lobt die Steuerungsgruppe ausdrücklich die Arbeit der Polizei und der Rettungskräfte, „die wir als außerordentlich sympathisch, zugewandt und kooperationsbereit erlebt haben“, meint Tim Neumann. Und er lobt auch die Zusammenarbeit mit der Stadt, Regenbogenfahne hin oder her. Keine Bedrohungen wurden im Vorfeld laut, wie in Gelsenkirchen oder Regensburg, wo der CSD deswegen abgesagt wurde, es gibt keine Buhrufe, keine Zwischenfälle. „Eine solche Veranstaltung im ländlichen Raum, das ist nicht selbstverständlich und ein Meilenstein”, meint Jana Hansjürgen, Leiterin der Landesfachstelle Blick aus Paderborn, die sich für die Stärkung queerer Kulturen im ländlichen Raum einsetzt.

 

Während des Umzugs von der Stadthalle über die Jakobistraße zum Petrikirchhof säumen zahlreiche Soester den Straßenrand, schauen lächelnd zu. Sie hätten sich ebenso gut anschließen können. Denn die Teilnahme ist schließlich nicht rein auf die Mitglieder der queeren Community beschränkt, im Gegenteil, es geht darum, sie nicht als Randerscheinung, sondern als Teil der Mitte der Gesellschaft zu begreifen und zu begrüßen. Und dazu begibt man sich am besten unter sie.

Bunt, vielfältig, menschlich – so präsentierten sich die Teilnehmenden am ersten Christopher Street Day in Soest. Fotos: Klaus Bunte
Bunt, vielfältig, menschlich – so präsentierten sich die Teilnehmenden am ersten Christopher Street Day in Soest. Fotos: Klaus Bunte

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