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Erinnerungen an einen Unbeugsamen
11.12.2025
Pfarrer WilhelmJansen riskierte sein Leben im Widerstand gegen Nazis

Von Dirk Wilms
Einecke. Auf die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes hat er ebenso wie seine Frau Luise mit Verweis auf das Gebot der Nächstenliebe verzichtet. Für Wilhelm Jansen war es eine Selbstverständlichkeit, Menschen in Not zu helfen. Dass er dabei sein eigenes Leben gefährdete, hielt den damaligen Pfarrer der evangelischen Kirche in Schwefe nicht davon ab. Zu Zeiten des Nazi-Terrors, der sich auch in der Börde breit gemacht hatte, unterstützte er als Mann der Bekennenden Kirche verfolgte Juden. In diesem auslaufenden Jahr 2025 wäre Wilhelm Jansen 125 Jahre geworden.
Der in Hohenlimburg geborene Pfarrer stellte mit seiner Haltung während des Dritten Reichs eine Ausnahme dar, war doch die offizielle Kirche in weiten Teilen längst gleichgeschaltet. Jansen aber stellte sich den faschistischen Mächten, die ihre Handlanger in jedem Bördedorf hatten, entgegen. Von besonderem Mut zeugte sein Einsatz für die jüdische Familie Ruhstadt, die nach 1933 zunehmenden Anfeindungen der Nazis in Soest ausgesetzt waren. Da sie in deutschen Geschäften nicht mehr bedient wurden, fehlte es ihnen am Allernötigsten.
Wilhelm Jansen war sich bewusst, dass Deutschen Unheil drohte, wenn sie mit Juden in Kontakt traten. Er setzte sich über die Bedrohungen hinweg. „Tagsüber war es zu gefährlich. So ist mein Vater nachts mit seinem Fahrrad von Schwefe nach Soest gefahren, um ihnen Lebensmittel aus unserem Garten zu bringen“, erzählt Christina Jansen-Rautenberg, die den Nachlass ihres im hohen Alter von 101 Jahren 2002 verstorbenen Vaters verwahrt.
Nach dem Pogrom im November 1938 nahm Wilhelm Jansen die geretteten Gegenstände aus der Synagoge in seine Obhut, die ihm Siegfried Ruhstadt als letzter Vorsteher der jüdischen Gemeinde übergeben hatte. Gut versteckt in einer Kiste unter dem Dach des Pfarrhauses schützte der Pfarrer unter anderem eine handgeschriebene Thora-Rolle vor der Vernichtung durch die Nazis.
Selbst als die Ruhstadts im Juli 1942 mit anderen Juden in einer Baracke am Weslarner Weg eingepfercht worden waren vor ihrem Abtransport ins KZ, versorgte sie Wilhelm Jansen in seinen nächtlichen Touren weiter mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken. Die Hilfe erstreckte sich bis in den Herbst 1944, als Luise Jansen für ihren längst Nachstellungen der NS-Herrscher ausgesetzten Mann Pakete für die Ruhstadts ins KZ nach Theresienstadt schickte. Von dort wurde das jüdische Ehepaar nach Auschwitz gebracht und ins Gas geschickt.
Auch einem jüdischen Sänger aus Hagen half Wilhelm Jansen unter Inkaufnahme eigener Gefährdung. Nach der Pogromnacht fand Arthur Hirschberg Zuflucht im Pfarrhaus in Schwefe und im Elternhaus von Luise Jansen in Einecke. Von dort gelang die Flucht in die Niederlande, wo Hirschberg den Krieg in einem Versteck überlebte.
Rettung in letzter Sekunde
Wilhelm Jansen ließ sich nach vielfältigen Verfolgungen und Bedrohungen auch durch Denunziationen und Verhöre nicht von seinem Einstehen für christliche Werte im Sinne der Bekennenden Kirche abbringen. Immerhin wieder stand die Gestapo vor seiner Tür. Ganz besonders kritisch wurde es, als die NS-Schergen das Haus von Luise Jansens Tante Angelina Remmert in Borgeln durchsuchte. Hier hatte Wilhelm Jansen in einer Truhe u.a. gekennzeichnete Nachlässe emigrierter oder deportierter Juden sowie Berichte über die Verbrechen an Juden versteckt.
„Zum Glück beendete der anwesende Bürgermeister von Borgeln, Wilhelm Rohe, die Durchsuchung mit dem Hinweis darauf, dass er dringend nach Hause müsse, um seine Kühe zu melken“, erzählte Christine Jansen-Rautenberg, wie das Unheil von ihrem Vater und der Tante in letzter Sekunde abgewendet wurde. Dabei hatte die Gestapo schon Flugblätter und Texte der Bekennenden Kirche beschlagnahmt.
Wilhelm Jansen, seine Frau und seine Familie überstanden die furchtbare Zeit des Dritten Reichs. Auch nach dem Krieg brachte sich der Schwefer Pfarrer für seine Mitmenschen ein unter Inkaufnahme der Gefährdung des eigenen Lebens. Denn Jansen stellte sich an die Spitze einer Bürgerwehr, die Hab und Gut der Dorfbewohner schützte gegen Übergriffe von marodierenden Zwangsarbeitern.
Die Russen und Polen kamen zu Tausenden aus dem Ruhrgebiet halb verhungert in die Börde auf der Suche nach Essbarem. „Dass man dem Hungrigen das Brot reicht, ist eine Selbstverständlichkeit“, schrieb Wilhelm Jansen zu späterer Zeit in den Heimatblättern. „Doch ebenso selbstverständlich sollte es auch für uns alle sein, dass man dem Unrecht widersteht.“
Nach dem Krieg konnte sich Wilhelm Jansen seiner Passion, den Fremdsprachen, widmen, wirkte neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit als Hebräisch-Lehrer am Archigymnasium. Seine Sprachbegabung hatte ihm während des Krieges Einsätze als Dolmetscher für französische Soldaten im Gefangenenlager eingebracht. Dort wirkte er im „Oflag“ auch mit beim Aufbau einer Räumlichkeit für Gottesdienste. Sie ist heute als „französische Kapelle“ zu besichtigen.
Schon als angehender Pfarrer hatte Wilhelm Jansen seine Sprachkenntnisse genutzt und wirkte von 1922 bis 1925 als Hauslehrer bei einer deutschstämmigen Familie in Argentinien. Nach seinem zweiten Staatsexamen wurde er 1927 Pfarrer in Schwefe, lernte in Einecke Luise Hohoff kennen und lieben. Vier Kinder gingen aus der Ehe hervor; neben Christina Jansen in Einecke lebt noch ihre ältere Schwester Elisabeth in Kassel.
Wilhelm Jansen wirkte bis 1972 als Pfarrer in Schwefe, zwischenzeitlich auch in Meiningsen. Auch vertrat er in Welver Pastor Vahl während dessen Erkrankung und half bis ins hohe Alter immer wieder aus, wenn eine Gemeinde ihn rief. Sein letztes Vierteljahrhundert verlebte Wilhelm Jansen in einem Haus, das er 1978 auf dem elterlichen Hof seiner Frau in Einecke errichten ließ.
Buch erscheint 2027
Das Leben und Wirken von Wilhelm Jansen steht im Mittelpunkt eines Buches, das Alexander Baimann, Prädikant der evangelischen Kirchengemeinde Niederbörde, für das Jahr 2027 plant. Der Schwefer ist derzeit dabei, Material für die Schrift zu sammeln, die 100 Jahre nach dem Dienstbeginn von Wilhelm Jansen als Pfarrer in dem Bördedorf erscheinen soll. Baimann will anhand von Jansens Biografie den Glaubenskampf der Jahre von 1933 bis 1949 darstellen.
„Es gab drei Lager: die Bekenntniskirche, die deutsch-christliche Kirche und die Neutralen“, erklärt der Autor. Diese innerkirchliche Auseinandersetzung steht im Fokus seiner Arbeit. Baimann will darstellen, wie Jansen mit den gegensätzlichen Bedingungen in seinem Zeitalter umgegangen ist. Schließlich hat Jansen das Kaiserreich erlebt, ebenso die Weimarer Republik, das Nazi-Regime, die Teilung Deutschlands und die Wiedervereinigung. 2027 will er mit einem Vortrag das Buch vorstellen.

