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Wenn Glocken Leben retten

11.12.2025

In der Kirchengemeinde Niederbörde wird jahrhundertealte Tradition liebevoll gepflegt

Konfirmandin Sophie Teiner hat das Beiern in diesem Jahr erstmals ausprobiert.

Von Hans-Albert Limbrock

 

Schwefe. Der Nachtgesang der Glocken – er kann sogar Leben retten. So erzählt es eine Legende aus vergangenen Jahrhunderten: Eine Nonne aus dem Kloster Paradiese hatte sich in einer bitterkalten, schneereichen Nacht verirrt, nachdem sie zuvor einer erkrankten Bauersfrau beigestanden hatte.

 

In einer Geschichte von Martha Fromme, 1923 im Soester Heimatkalender unter dem Titel „Die Totenglocke rettet die Nonne“ veröffentlicht, heißt es: „Keine Rettung, kein Lichtlein weit und breit, nur grausam-starrer, todbringender Winterwald! In ihrer Verzweiflung kauerte sie sich schließlich nieder und begann mit zitternder Stimme die ihr bekannten lateinischen Sterbegebete zu flüstern.“

 

Doch dann – oh Wunder – vernahm sie den zarten Klang der Glocken von St. Severin. Der Pfarrer hatte sie nach seiner Rückkehr aus einem Sterbehaus geläutet. Die Nonne folgte dem Klang und fand so den Weg zurück. Aus Dankbarkeit, so berichtet die Legende, stiftete das Kloster den Nachtgesang der Glocken – nicht nur für St. Severin in Schwefe, sondern auch für die benachbarten Kirchen in Borgeln und Ostönnen.

 

Aus dieser Tradition entwickelte sich das Beiern: Dabei werden die bronzeschweren Klöppel über Seilzüge mit Händen und Füßen gegen den Schlagring – die dickste Stelle der Glocke – geschlagen. Es erfordert Kraft, Geschick und Rhythmusgefühl. In Schwefe ist es seit vielen Jahren Brauch, die Advents- und Weihnachtszeit mit diesem uralten Ritual einzuläuten und zu begleiten.

 

Vom Nachtgesang zum Beiern

 

Die Fäden – besser: die Seile - hält Alexander Baimann dabei im wahrsten Sinne des Wortes fest in der Hand. Der junge Historiker kennt die Geschichte von St. Severin wie kaum ein anderer und organisiert nun schon seit fast zehn Jahren das Beiern. Unterstützung erhält er regelmäßig von Konfirmanden, die sich in die archaische Technik einweisen lassen und mit Begeisterung dabei sind. „Es macht viel Spaß, diese alte Tradition für die Gemeinde lebendig zu halten“, sagt etwa Henry Dahlhoff, der dafür über ausgetretene Steinstufen und steile Holzleitern in den Glockenturm steigt.

 

Zum festen Team gehören auch Malte Weber und Felix Hartmann. Dessen Großvater Friedel Colmsee hatte das Beiern vor fast vierzig Jahren gemeinsam mit Pfarrer Werner Günther und Kirchmeister Wilhelm Baimann wiederbelebt – nachdem es lange Zeit nicht gepflegt worden war. „Vermutlich fehlte es an jungen Männern, die sich für das Beiern begeistern konnten“, vermutet Alexander Baimann.

 

Heute ist das Beiern keine reine Männerdomäne mehr. In diesem Jahr wagte sich auch Konfirmandin Sophie Teiner auf den Turm und schlug die Glocken. „Ganz schön anstrengend“, stellte sie nach ihrer Premiere respektvoll fest. Kein Wunder: Die Glocken von St. Severin gelten mit der Sakramentsglocke von 1704 als das schwerste Geläut der Börde. Allein die Ewigkeitsglocke bringt stolze zwei Tonnen auf die Waage.

 

Dass das Beiern weit über die Legende hinaus seit Jahrhunderten in Schwefe beheimatet ist, konnte Baimann belegen: „In alten Rechnungen im Stadtarchiv Soest habe ich die Tradition bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt. In den Aufzeichnungen der Lohnherren von 1568 bis 1601 wird der Nachtgesang bereits erwähnt. Wir dürfen daher annehmen, dass er aus vorreformatorischer Zeit, vermutlich aus dem späten Mittelalter stammt.“

 

Damals hatten die Glocken vielfältige Funktionen: Sie verkündeten nicht nur die Uhrzeit oder riefen zum Gottesdienst, sondern dienten auch der Nachrichtenübermittlung. „Am Klang der Glocken“, erklärt Baimann, „war zu erkennen, ob ein Kind, ein Mann, eine Frau oder gar ein Lohnherr verstorben war.“

 

Auch Pfarrerin Elisabeth Pakull ist begeistert: „Beim Beiern hören wir die Glocken auf eine ganz neue Weise. In der Melodie des Nachtgesangs klingt die Botschaft vom Retter mit. Diese Klänge finden den Weg zu unserer Seele und in unsere Herzen.“

Henry Dahlhoff ist mit Freude und vollem Einsatz dabei.

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