Das Grauen des Krieges im Sonnenschein

Erstellt am 29.04.2022

EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus besucht die ZUE in Soest und Möhnesee

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus (2. von rechts), zeigte sich bei ihrem Besuch in der ZUE in Soest von der Einrichtung beeindruckt. Superintendent Dr. Schilling (rechts) hatte den Besuch gemeinsam mit Dezernentin Ursula Reuß und Abteilungsleiter Thomas Sommer vorbereitet, links: die persönliche Referentin von Kurschus, Silke Niemeyer. Foto: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Soest.  Es dauert nur wenige Sekunden, da ist der Krieg mit all seinem Grauen und seinen Schrecken präsent. Unter Tränen schildert eine Frau aus der Ukraine Annette Kurschus, der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), ihre Flucht aus der umkämpften Stadt Mariupol. Immer wieder muss sie ihre Schilderungen unterbrechen, ringt nach Worten, die von einer Dolmetscherin übersetzt werden. Kurschus, die gleichzeitig auch Präses der Westfälischen Landeskirche ist, ist sichtbar betroffen und versucht Trost zu spenden. Trost, von dem auch die Theologin aus Bielefeld weiß, dass es den gar nicht geben kann.

„Gott sei Dank sind Sie ja jetzt hier in Sicherheit“, lässt Kurschus übersetzen und ergänzt: „Aber vermutlich sind sie in großer Sorge, wie es nun weitergehen kann.“ Die Frau nickt kurz und erzählt dann, dass ihr Mann und ihr Sohn in der Ukraine zurückgeblieben sind und bei der Marine gegen die russische Invasion kämpfen: „Ich weiß nicht, wie es ihnen geht und habe große Angst um sie.“

Auf Initiative von Superintendent Dr. Manuel Schilling ist Annette Kurschus nach Soest gekommen, um sich vor Ort ein Bild von der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes am Hiddingser Weg zu machen. Dort ist die Lage inzwischen recht entspannt. Von den 2300 Plätzen, die auch durch die Ergänzung großer Zelte dort zur Verfügung stehen, sind aktuell nur ein Bruchteil besetzt. Während kurz nach Kriegsbeginn die erste große Welle ukrainischer Flüchtlinge Anfang März dafür gesorgt hat, dass das weiträumige Areal an seine Kapazitätsgrenzen kam, hat der Druck mittlerweile deutlich nachgelassen. „Wir haben im Moment in NRW 9000 freie Plätze im System“, weiß Thomas Sommer, der die Abteilung 2 bei der Bezirksregierung mit dem „Aufgabenbereich Flüchtlingsangelegenheiten“ leitet.

Allerdings wisse natürlich niemand so genau, wie sich das entwickeln werde. „Prognosen“, so Sommer, „können seriös nicht gemacht werden.“ Aktuell beobachte man, dass erste Flüchtlinge wieder zurück in ihre Heimat reisen, gleichzeitig bleibe der Zustrom hinter den Erwartungen zurück. Manchmal würden 300 neue Flüchtlinge für den Tag angekündigt. „Tatsächlich kommen dann nur knapp 30.“

Während er das sagt, fährt ein großer Gelenkbus mit Düsseldorfer Kennzeichen, der Platz für 100 Fahrgäste hat, auf das Gelände. „Der bringt wahrscheinlich Geflüchtete aus einer Erstaufnahmeeinrichtung des Landes“, vermutet Sommer. Als der Bus hält, steigen acht Menschen aus, drei Frauen mit fünf Kindern. „Wir müssen das Procedere ständig anpassen und nachjustieren“, erklärt der Mann von der Bezirksregierung der Frau von der Evangelischen Kirche.

Beim anschließenden Rundgang über das Gelände und der Besichtigung der Gebäude sowie zentralen Einrichtungen wie Kindergarten, Klassenräumen oder Mensa kann sich Kurschus einen Eindruck von der ZUE machen: „In der öffentlichen Debatte geht es ja fast immer nur um Waffenlieferungen an die Ukraine. Dabei wird oft vergessen, was sonst noch alles für die von Krieg und Leid geplagten Menschen wie zum Beispiel hier getan wird.  Das kommt mir ein bisschen zu kurz.“

Das sind Sätze, die Sabine Heynen, der Leiterin der Einrichtung sichtbar gut tun: „Das ist hier natürlich nicht das Wohnzimmer, das die Menschen von zuhause aus kennen. Aber wir tun wirklich alles in unserer Macht Stehende, um den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu gestalten.“

Gerd Heiler-Schwarz von der Diakonie, der den Rundgang begleitet, ist in dieser Beziehung besonders nah dran an den Menschen: „Wir wissen natürlich nicht, wie schlecht es ihnen wirklich geht. Wir können das immer nur vermuten. Aber natürlich sind da viele Ängste, besonders, wenn Familienmitglieder zurückgeblieben und vielleicht sogar in Kampfhandlungen verwickelt sind. Das sind natürlich ganz spezielle Belastungen.“

In der Soester ZUE bleiben die meisten Geflüchteten relativ kurz. „Fünf bis zehn Tage“, erklärt Thomas Sommer. Dann werden sie an die Kommunen weiterverteilt, wo sie dann so etwas wie eine vorläufige Perspektive bekommen sollen. Sommer geht davon aus, dass viele Geflüchtete dauerhaft in Deutschland bleiben werden: „Nach einer Umfrage sind das etwa 42 Prozent, die nicht zurück wollen.“

Die Präses, die gerne mehr Zeit und Möglichkeiten gehabt hätte, mit den geflüchteten Menschen zu sprechen, zeigt sich beeindruckt: „Das alles hier macht auf mich einen sehr guten Eindruck. Sie leisten hier eine wertvolle und extrem wichtige Arbeit.“ Bevor sie zur ZUE nach Möhnesee-Echtrop weiterfährt, überreicht sie als biblisches Zeichen der Hoffnung einen Regenbogen, mit dem Wunsch, dass der Krieg bald beendet werde. Allerdings, das räumt sie ein, hat sie da erhebliche Zweifel: „Es erscheint mir schwierig, einen Frieden mit Waffen zu erreichen.“