Ein Abend der Tränen und der Hoffnung

Erstellt am 05.04.2022

Bemerkenswertes Konzert ukrainischer und russischer Künstler und Künstlerinnen in Neu St. Thomä

Von ihren Gefühlen überwältigt: Olga Zhukova, rechts Dariia Lytvishko.

Von Hans-Albert Limbrock

Soest. Am Ende flossen Tränen. Tränen der Scham. Tränen der Trauer. Tränen über das unfassbare Leid, das die ukrainische Bevölkerung in diesen Wochen erfährt. Keine Frage: Es war ein zutiefst bewegendes Konzert, das die drei jungen Musikerinnen und Musiker aus der Ukraine und Russland in der Kirche Neu St St. Thomä auf Einladung des Evangelischen Kirchenkreises Soest-Arnsberg geboten haben. Ein Konzert, das niemanden unter den knapp 120 Zuhörinnen und Zuhörern kalt gelassen hat.

Spätestens, als die Ukrainerin Dariia Lytvishko am Ende des Konzertes ihre heftig schluchzende, aus St. Petersburg stammende Kollegin und Freundin Olga Zhukova in den Arm nahm und zu trösten versuchte, wurde die ganze Absurdität dieses Krieges für einen Moment spür- und greifbar. Und das Publikum, das sich längst von den Kirchenbänken erhoben und stehend Beifall gespendet hatte, war dankbar, das Superintendent Dr. Manuel Schilling um einen Moment der Stille bat, um den Opfern dieses Krieges zu gedenken.

70 Minuten lang hatten die Ausnahmemusiker Dmitri Grigoriev, Dariia Lytvishko und Olga Zhukova mit Werken von Dietrich Buxtehude, Johann Sebastian Bach und eigenen Improvisationen eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie schön diese Welt doch eigentlich sein könnte. „Dieses Konzert soll uns in schwierigen und dunklen Zeiten Kraft und Zuversicht geben“, hatte Schilling eingangs formuliert. Einem Anspruch, dem die drei mit jedem Tastendruck auf der Thomä-Orgel gerecht wurden.

Vor allem die erst 30-jährige Zhukova beeindruckte mit ihrem filigranen Spiel und stellte mit dem atmosphärisch dichten Stück „Mad rush“ von Philip Glas hörbar unter Beweis, warum sie zu den größten Orgel-Talenten in Europa gezählt wird. Bereits am Mittwoch hatte sie auf der Rückreise von einem Konzert in Zürich in Soest Station gemacht, um sich auf der Orgel einzuspielen. Dafür hätte am Konzerttag die Zeit nicht gereicht, denn Zhukova war erst eine halbe Stunde vor Beginn aus Kiel angereist, wo sie eine halbe Stelle als Musikerin in einer Kirchengemeinde hat und morgens noch einen Gottesdienst mit ihrem Orgelspiel begleitet hatte.

Wie sehr der Krieg sie ganz besonders betrifft und trifft, hat sie in einem Interview mit der Zeitung „Neue Westfälische“ erklärt: „Ich habe zwar einen russischen Pass, aber meine Großmutter war Ukrainerin und ich habe dort während meiner Kindheit viel Zeit verbracht. Ich kenne und liebe das Land und seine Leute.“

Als Studierende hätten sie und Dariia nur wenige finanzielle Mittel. „Aber mit unserer Musik können wir viele Menschen erreichen, Geld sammeln und so einen Unterschied machen.“ Auch beim Auftritt in Soest wurde mit Erfolg für die Ukrainehilfe der Diakonie gesammelt.

Für Gänsehautmomente sorgte Dariia Lytvishko, die ihr virtuoses Spiel nach „Ciacona c-Moll BuxWV 159“ von Dietrich Buxtehude unterbrach und nach vorne in Altarraum trat: „Ich bin wütend“, sagte mit bebender Stimme die 26-jährige Musikerin, die an der Kirchenmusik-Hochschule Herford im Masterstudium ist. „Ich zittere, weil die Situation so schrecklich ist.“

Inzwischen sei ihre in der Ukraine lebende Mutter zwar bei ihr in Sicherheit, aber ihr Vater sei immer noch in der Westukraine und das mache ihr Angst. „Ich habe immer gehofft, dass die Menschheit nach zwei Weltkriegen dazu gelernt hat. Aber die aktuellen Ereignisse sprechen eine andere Sprache.“

Und doch bringe dieser Krieg auch Positives hervor: „Wie eine Blume, die aus der Asche erblüht.“ Die gesamte Welt habe sich mit der Ukraine solidarisiert und unterstütze ihr Heimatland in einem Krieg gegen einen furchtbaren Aggressor. „Das gibt mir Hoffnung. Für diese Solidarität und Hilfe finde ich keine Worte. Aber ich fühle eine sehr große und tiefe Dankbarkeit.“

Begleitet von Dmitri Grigoriev und Olga Zhukova mit Improvisationen an der Schuke-Orgel stimmte das Publikum abschließend „O Haupt voll Blut und Wunden“ an und setzte so ein letztes Ausrufezeichen unter einen bemerkenswerten Abend. „Bach“, so der Superintendent, „hat das Geheimnis Gottes in Töne verfasst.“

Dariia Lytvishko stammt aus der Ukraine und sorgt sich um ihren Vater, der das Land nicht verlassen kann.

Aufmerksame Zuhörer (von links): Landtagsabgeordneter Heinrich Frieling, Charlotte Merz, Stellv. Landrat Markus Patzke und Bürgermeister Dr. Eckhard Ruthemeyer.

Ausnahmekünstlerin: Olga Zhukova.

Bewegt nach einem bewegenden Konzert (von rechts): Dr. Manuel Schilling, Dmitri Grigoriev, Dariia Lytvishko und Olga Zhukova.