Abschied von Ära des personellen Reichtums

Erstellt am 23.09.2022

Landeskirche und Kirchenkreis bereiten Gemeinden auf tiefgreifende Veränderungen vor

Oberkirchenrätin Katrin Göckenjan-Wessel und Personalreferent Michael Westerhoff präsentierten das Zahlenwerk aus dem Personalbericht der Landeskirche.

Von Hans-Albert Limbrock

Soest/Arnsberg. Zeitenwende in der Evangelischen Kirche: In einer Synodalversammlung haben Vertreter:innen der Evangelischen Landeskirche und des Kirchenkreises die Gemeinden auf tiefgreifende, vor allem personelle Einschnitte vorbereitet. Was schon bei der Sommersynode im Mai angedeutet wurde und im Anschluss intensive Diskussionen an der Basis ausgelöst hat, wurde jetzt in der Schützenhalle Warstein den Pfarrern und Pfarrerinnen sowie Mitgliedern der Presbyterien noch einmal deutlich präzisiert.

An der grundsätzlichen Marschroute, die die Landeskirche vorgibt, hat sich seit Mai im Prinzip nichts geändert. Credo: Die einstmals goldenen Zeiten mit Pfarrpersonal schon beinahe im Überfluss gehören der Vergangenheit an. Oberkirchenrätin Katrin Göckenjan-Wessel und Personalreferent Michael Westerhoff übernahmen die undankbare Aufgabe, das ernüchternde Zahlenwerk zu präsentieren und versuchten, deutlich zu machen, dass der vorgegebene Weg weitgehend alternativlos ist.

„Wir befinden uns in Zeiten starker Veränderungen“, eröffnete Göckenjan-Wessel ihre Präsentation und ergänzte: „Uns steht ein tiefgreifender Generationenwechsel unmittelbar bevor.“ In guten Zeiten – und die gab es dank der Baby-Boomer-Generation über einen langen Zeitraum  – waren auf Ebene der Landeskirche in Westfalen 600 mehr Pfarrstellen, als dies der Stellenplan vorgesehen habe: „Doch damit ist nun Schluss. Die Landeskirche nimmt Abschied von einer historisch bisher einmaligen Ära des personellen und finanziellen Reichtums.“

Allein in den kommenden zehn Jahren werden fast 1000 der aktuell 1503 Pfarrer und Pfarrerinnen in den Ruhestand versetzt. Da gleichzeitig nicht genügend Nachwuchs in den Beruf drängt – aktuell sind es pro Jahr nur etwa fünfzehn, die in den Probedienst aufgenommen werden -  und zudem die Zahl der Gemeindeglieder von derzeit etwas über 2 Millionen auf dann 1,7 Millionen zurückgeht, kommt es zu einer deutlichen Verschiebung im Verhältnis Pfarrstelle zu den Gemeindegliedern. Liegt dieser Wert noch bei 2800 Gemeindegliedern pro Pfarrer oder Pfarrerin, steigt er in den kommenden zehn Jahren auf fast 3900 und bis 2036 sogar auf 5100 an. Das bedeutet, dass ein Seelsorger, eine Seelsorgerin dann für beinahe doppelte so viele Christen evangelischen Glaubens zuständig sein wird.

Schmerzhafte Erkenntnis

Für viele Gemeinden und auch für das Pfarrpersonal ist das natürlich ein kaum vorstellbares Horrorszenarium. Für Göckenjan-Wessel, die selbst über viele Jahre Gemeindepfarrerin und vor ihrer Ernennung zur Oberkirchenrätin Superintendentin im Kirchenkreis Recklinghausen war, ist diese Entwicklung allerdings alternativlos: „Es fällt natürlich schwer, von den guten Jahren Abschied zu nehmen. Aber das System einer flächendeckenden pastoralen Vollversorgung und das Versprechen, die Nähe zu den Menschen über eine sehr große Zahl von Pfarrpersonen herzustellen, lässt sich nicht mehr aufrecht erhalten.“

Diese Erkenntnis sei sicher schmerzlich sowie bitter und löse eine große Trauer aus, aber es gehe nun auch darum, den Jüngeren, die in den kommenden Jahren den Pfarrberuf ergreifen oder bereits ergriffen haben, aber auch denjenigen, die noch eine längere Wegstrecke vor sich haben, Rahmenbedingungen zu bieten, „in denen sie gut und gerne und wohlbehalten ihren Dienst tun können. Deshalb brauchen wir Verbindlichkeit und Klarheit, damit wir Pfarrstellen und Personal für die kommenden Jahre realistisch planen können.“

Damit die Angebote in den Gemeinden und auch Fürsorge und Seelsorge nahezu auf dem jetzigen Niveau gehalten werden können, soll die Arbeit in den Regionen, also die Zusammenarbeit von zwei und mehr benachbarten Kirchengemeinden, intensiviert und ausgebaut werden. Zusätzlich setzen Landeskirche und Kirchenkreis auf so genannte Interprofessionelle Teams (ITP). In denen sollen zum Beispiel Prädikanten und Prädikantinnen, Diakone und Diakoninnen oder auch  Gemeindepädagogen und Gemeindepädagoginnen die Arbeit der hauptamtlichen Kräfte unterstützen. Erste Erfahrungen, so Personalreferent Michael Westerhoff, seien überaus vielversprechend und machten Hoffnung, dass die ITP’s eine wichtige Alternative und Ergänzung für die Gemeinden werden könnten.

Synodalassessor Thomas Hartmann (Lippstadt) brach die Zahlen der Landeskirche auf den Kirchenkreis herunter. Wenig überraschend ist die Tendenz auch im Raum Soest-Arnsberg nahezu deckungsgleich. Für Superintendent Dr. Manuel Schlling war nach diesen recht ernüchternden Präsentationen klar, „dass wir alle mit einem Sack voll Fragen nach Hause gehen.“ Alle Überlegungen und Initiativen zur Gewinnung zusätzlichen Pfarrpersonals, so der Superintendent, seien dabei legitim und willkommen. Er zweifle aber daran, dass sie das Ergebnis maßgeblich beeinflussen werden. Deshalb sein Appell: „Machen Sie sich jetzt an die Arbeit.“

Nach diesen Ausführungen war es zunächst eigenartig still in der Sauerlandhalle. In der anschließenden Diskussion wurde jedoch spürbar, dass man in den Gemeinden um die Zukunft der Evangelischen Kirche mehr als besorgt ist. Stellvertretend für den Großteil seiner Kolleginnen und Kollegen formulierte es Pfarrer Martin Vogt aus Sundern: „Ich finde, dass der Pfarrberuf ein toller Beruf ist. Aber die Arbeitsbedingungen werden immer schwieriger. Mir fehlt einfach die Phantasie, wie das in Zukunft praktisch funktionieren soll; wie Gemeindeleben dann noch möglich sein soll.“

Noch deutlicher in seinem Zweifel und auch in seiner Kritik an den Plänen wurde Wolfgang Jäger, Pfarrer aus Erwitte-Anröchte: „Wir sind eine große Flächenregion, in der ich uns schon jetzt alle als gesundheitlich angeschlagen wahrnehme. Ich habe die große Befürchtung, dass irgendwann keiner mehr da ist, der Dienst tut. Der Pfarrdienst wird dann lange Zeit verwaist oder unterbesetzt sein und die Ehrenamtlichen geben überfordert oder entnervt auf.“

Keine Frage, der gesamte Kirchenkreis steht vor einer großen Herausforderung und vermutlich in einigen Regionen auch vor einer Zerreißprobe. Auch deshalb empfahl Schilling, man möge sich abseits von Beschlüssen, die irgendwann kommen werden, die nötige Zeit nehmen, um die richtigen Wege zu finden.

Superintendent Dr. Manuel Schilling appellierte an die Kirchengemeinden: „Machen Sie sich jetzt an die Arbeit“. Fotos: Hans-Albert Limbrock