Vom Provisorium zur Dauerlösung

Erstellt am 18.11.2022

Pfarrer Rainer Müller geht in den Ruhestand / Nachfolgerin ist Antje Jäkel

Abschied von einem bewegten und bewegenden Berufsleben: Pfarrer Rainer Müller geht am 1. Advent in den Ruhestand. Fotos: Hans-Albert Limbrock

Von Hans-Albert Limbrock

Brilon. Geplant war das so nicht unbedingt. Denn eigentlich sollte Rainer Müller 2012 nur interimsweise die Leitung im Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Brilon übernehmen. „Superintendent Alfred Hammer hat mich damals gefragt, ob ich mir vorstellen kann, das Briloner Presbyterium kommissarisch zu leiten, bis die Pfarrstelle wieder besetzt ist“, erinnert sich Müller. Die Kirchengemeinde stand plötzlich ohne Pfarrer da, nachdem Roland Lichterfeld 2010 in Ruhestand getreten war und das Ehepaar Eulenstein im Frühsommer 2011 andere Pfarrstellen im Gütersloher Bereich übernommen hatten.

Da die Gemeinde vor tiefgreifenden Veränderungen stand und eine gewisse Unruhe zu registrieren war, wollte man ihr mit Müller wieder eine gewisse Stabilität verleihen. Doch unerwartet wurde es die letzte Station seines bewegten beruflichen Lebens, in dem er zuvor unter anderem Urlaubsseelsorger, vor allem aber 26 Jahre am Berufskolleg Olsberg beschäftigt war.

„Ich“, so Müller, „habe das als ein spannendes Projekt wahrgenommen, auf das ich neugierig war und rasch gespürt, wie erfüllend und schön Gemeindearbeit sein kann.“ So schön und erfüllend, dass aus der Interims- eine Dauerlösung wurde – zumindest bis zum 1. Advent diesen Jahres, denn dann wird Rainer Müller offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Mit Antje Jäkel steht seine Nachfolgerin quasi schon in den Startlöchern.

Dass es den gebürtigen Gronauer, der demnächst 66 Jahre wird, überhaupt ins Sauerland verschlagen hat, war eine Entscheidung der Landeskirche: „Ich selbst wäre eigentlich lieber in Münster geblieben.“ Dort und in Göttingen hatte er sein Studium absolviert. Doch im Herbst 1982 begann seine Zeit in Brilon. Und schon bald war für den Seelsorger klar: „Hier bleiben wir. Brilon ist schnell unser Zuhause und zur Heimat geworden.“ Auch im Ruhestand soll das so bleiben: „Wir fühlen uns hier rundum wohl. Hier ist der Platz für unsere Familie“

Die zehn Jahre seines Wirkens in der Kirchengemeinde waren vor allem in den letzten Jahren von der Diskussion um die Stadtkirche geprägt. Das „Projekt Sanierung“ hatte man schon 2015 mit der Renovierung und Neugestaltung des Gemeindezentrums begonnen. Dann sollten kleinere Renovierungen in der Kirche folgen. Die Pläne waren schon recht weit gediehen. Drei Jahre später dann der Schock. Diplom-Ingenieur Gunther Rohrberg (Lippstadt) hatte den Kirchturm unter die Lupe genommen und festgestellt, dass er durch brüchigen Mörtel und poröse Steine eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellte: „Das war natürlich ein absoluter Schock für uns.“ Ein Schock, der kontinuierlich größer wurde, als erste Kostenschätzungen vorlagen.

Müller: „Das war schon eine Zerreißprobe. So ein Kirchturmabriss ist für die Gemeindeglieder und überhaupt für die Menschen in Brilon schließlich eine zutiefst emotionale Sache; das geht an die Substanz und ans Herz.“ Als erste Maßnahme wurde die größte der Glocken stillgelegt. Auch das tat weh. 2018 fiel dann die Entscheidung, den Turm tatsächlich abzureißen.

Da gab es noch die Hoffnung, dass man sich einen Wiederaufbau bzw. Neubau würden leisten können. Doch ausbleibende Fördergelder aus den Denkmalkassen von Bund und Land ließen diesen Traum platzen. Inzwischen ist klar, dass die Stadtkirche auf längere Sicht keinen Kirchturm mehr haben wird. Dafür konzentriert man sich nun ganz auf die Sanierung und Neugestaltung des Innenraumes. Im Sommer kommenden Jahres, so die Prognose, könnte vielleicht alles fertig sein.

Obwohl die Entscheidungen alles andere als leicht waren und natürlich auch kontrovers diskutiert wurden, so hat Müller die Zusammenarbeit mit der Gemeinde, vor allem aber mit dem Presbyterium als äußerst intensiv und positiv in Erinnerung: „Das ist wirklich in einer guten und konstruktiven Atmosphäre passiert.“ Natürlich hätte er dieses Projekt gerne noch selbst zum Abschluss gebracht, aber auch so freut er sich darüber, dass die Kirchengemeinde sich mit ihrer erneuerten Konzeption nun in eine Richtung entwickelt, die eine gute Zukunft haben wird: „Inzwischen sind wir auf einem richtig guten Weg.“

Einen Weg, den er auch im Ruhestand begleiten wird – allerdings nicht mehr in der ersten Verantwortungsreihe. „Da hat das Presbyterium neue Lösungen gefunden und ist mit den Nachbargemeinden auf einem gemeinsamen Weg, Antworten auf die Herausforderungen der nächsten Jahre zu finden.“ Mit seiner Verabschiedung am 27. November beginnt für ihn wenige Tage später erst einmal eine Zeit der Ruhe, des Kraft Schöpfens, und des geruhsameren Tagesablaufes. „Darauf freue ich mich. Vor allem bin ich froh, künftig nicht mehr mit so vielen ,Aufgabenbällen‘ gleichzeitig jonglieren zu müssen“, so seine Hoffnung. Manches, wozu lange keine Zeit war, soll jetzt wieder Aufmerksamkeit bekommen.

Davon soll vor allem der eigene Garten profitieren, in dem Rainer Müller gemeinsam mit seiner Ehefrau Barbara viel und gerne Zeit verbringt. Und die Musik soll wieder einen höheren Stellenwert bekommen. Seine Geige und die Posaune hat er in den letzten Jahren viel zu selten in die Hand genommen. „Da gibt es einiges aufzuholen. Langweilig wird mir ganz bestimmt nicht.“

Rainer Müller in der Baustelle Stadtkirche. Die Neuausrichtung des Gebäudes hätte er zu gerne noch bis zum Finale begleitet.