Nie wieder Hass, Vertreibung und Mord

Erstellt am 18.11.2022

Soest erinnert an die Pogromnacht und den Brand der Synagoge

Drei Archi-Schülerinnen trugen das Kaddisch auf Hebräisch und Deutsch vor und legten anschließend Steine auf einem Grabmal nieder, wie es ein jüdischer Brauch vorsieht. Fotos: Thomas Brüggestraße

Von Thomas Brüggestraße

Soest. Es darf nie vergessen werden, dass auch Soester bereitwillig zu Tätern wurden: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten die Synagogen im gesamten Deutschen Reich. Sie brannte auch in Soest – während der Allerheiligenkirmes. Daran erinnerte Soests stellvertretende Bürgermeisterin Jutta Maybaum beim Gedenken vor der ehemaligen Synagoge in der Osthofenstraße. Mit Christiane Mackensen war auch Soests weitere stellvertretende Bürgermeisterin anwesend.

Geschätzt 60 Menschen nahmen an der schlichten Veranstaltung nachmittags teil, versammelten sich zunächst in der Osthofenstraße und zogen von dort aus erst zum jüdischen Friedhof und anschließend auf den Osthofenfriedhof, um dort der getöten sowjetischen und tschechischen Zwangsarbeiter zu gedenken, an die ein Gedenkstein erinnert. „Auch das gehört zur Wahrheit in Soest, wird aber kaum wahrgenommen“, sagte Stadtführerin Edith Engelbach am Rande der Veranstaltung noch vor Beginn des offiziellen Teils. „Auch das gehört zur Erinnerungskultur.“

„Der 9. November ist der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen in Brand setzten. Es ist der Tag, an dem Tausende Jüdinnen und Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden“, trug Jutta Maybaum vor: „Spätestens nun konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren. Diese Nacht war das offizielle Signal zum größten Völkermord in der Geschichte.“ Auch für die jüdischen Mitbürger in Soest sei das der Anfang gewesen von Verschleppung und Ermordung. In die Stele auf dem jüdischen Friedhof seien die Namen von 40 jüdischen Soestern eingemeißelt, die deportiert und in Konzentrationslagern getötet worden seien.

Der Tag gelte im Jahr 2022 auch ganz besonders dem Gedenken an die Einweihung der ehemaligen Soester Synagoge vor 200 Jahren, im August 1822 durch den Rabbiner Abraham Sutro aus Münster. 1858 sei dann in direkter Nachbarschaft die israelitische Volksschule errichtet worden. Beide Gebäude seien während der Allerheiligenkirmes 1938 von SA und SS angezündet worden.

Jutta Maybaum schlug den Bogen ins Heute: „Die Fälle von Antisemitismus und Rassismus nehmen zu. Wie ernst die Lage ist, wird beim Blick auf die Daten des Bundeskriminalamts deutlich.“ Maybaum weiter: „Es ist eine Schande, dass wir diese Entwicklung beobachten und erfahren müssen. Wir alle sind heute aufgefordert, uns gegen antisemitische und rassistische Taten zu stellen. Wir sind aufgerufen für Toleranz, für ein friedliches Miteinander, für Diversität und Demokratie und politische Selbstbestimmung und die unantastbare Würde des Menschen einzutreten. Wo immer wir sind.“

„Nie wieder Hass, Vertreibung und Mord!“, das unterstrich Peter Breuer vom Rat der Christlichen Kirchen in Soest. Er verteilte kleine Steine für jeden: Die werden in der jüdischen Tradition anstelle von Blumenschmuck auf Grabsteine gelegt. So taten es alle auch beim gemeinsamen Besuch auf dem jüdischen Friedhof. Der Evangelische Pfarrer Volker Kluft und drei seiner Schülerinnen aus einem Hebräisch-Kurs am Archigymnasium trugen im Wechsel das Kaddisch, das jüdische Totengebet, auf Hebräisch und Deutsch vor.

Gemeinsam gingen alle im Anschluss hinüber zum Osthofenfriedhof. Christiane Mackensen verteilte rote Nelken, die nach einer Schweigeminute auf einen Grabstein zum Andenken an getötete sowjetische und tschechische Zwangsarbeiter gelegt wurden. Pfarrer Kai Hegemann von der Soester Evangelischen Emmaus-Gemeinde erinnerte an das Schicksal der Umgekommenen und mahnte zu Frieden, Respekt und Achtsamkeit.

 

Peter Breuer vom Rat christlicher Kirchen spricht zu den Teilnehmern der Gedenkveranstaltung vor der ehemaligen Synagoge in der Osthofenstraße.

Pfarrer Kai Hegemann von der Evangelischen Emmaus-Gemeinde mahnte zu Frieden, Respekt und Achtsamkeit.