Gemeinsamkeiten der Unwillkommenen

Erstellt am 22.11.2019

Von Elisabeth Patzsch

MESCHEDE. Marina Jenkner widmet ihr Buch „Die Unwillkommenen“ ihren beiden Großmüttern, ihren syrischen Freunden und allen Menschen, die fliehen müssen und deren Geschichten und Traumata in die nächsten Generationen hineingetragen werden. Ihre Lesung im Gemeinsamen Kirchenzentrum in Meschede begann die Autorin mit einem kurzen Bericht über ihre ihren beiden Großmütter, von denen sie auch Bilder aufgestellt hatte.

Oma Grete hatte den 2. Weltkrieg relativ unbeschadet auf einem Bauernhof, wo auch Flüchtlingen einquartiert waren, überstanden, Oma Christel musste aus Ostpreußen fliehen und ganz neu beginnen. Während Betty, die Protagonistin, von der das Buch erzählt, Oma Grete als fröhlich, zugängig und mitteilsam erlebt, erzählt Oma Christel keine Geschichten, hat verkrümmte Hände und bleibt Betty fremd

Die anderen Bilder rund um ihr Lesepult zeigen einige Aufnahmen von Syrien. Seit Betty 2015 begonnen hatte, sich für eine syrische Flüchtlingsfamilie zu engagieren, ließ sie die Fluchtgeschichten ihrer Großeltern nicht mehr los. Sie fand viele Parallelen, die Vorbehalte und Abgrenzung Fremden gegenüber, manches ist aber auch ganz anders.

Während die syrischen Geflüchteten großes Heimweh haben und davon träumen, irgendwann zurückzukehren, wollte ihre Großmutter Christel nie zurück nach Ostpreußen, es sei „alles kaputt“ da. So entsteht in ihrem Buch ein spannendes Mosaik aus Geschichten von damals und heute.

In ihrer Lesung entführte sie die Zuhörer*innen in diese unterschiedlichen Welten z.B. einen Jobcenterbesuch mit dem syrischen Freund, das Wohnzimmer ihrer Großmutter, einen Besuch in der Heimat des Großvaters nach seinem Tod, Irritationen im Miteinander der Geschlechter zwischen dem syrischen Mann und ihr.

Ihre Geschichten gehen unter die Haut und lösen bei vielen der Zuhörer*innen eigene Erinnerungen aus. In der interaktiven Lesepause wurden die Teilnehmer*innen gebeten, zu folgenden Fragen ihre Erfahrungen und Ideen in vorbereitete Boxen zu werfen: Was hat geholfen, Flucht- und Kriegsfolgen zu überwinden? Was hätte in der Nachsorge besser laufen können? Empfehlungen für heute von Flucht und Krieg Betroffene.

Im letzten Teil der Veranstaltung, die kompetent von Susanne Schulze, Erwachsenenbildung, und Peter Sinn, Diakoniepfarrer, moderiert wurde, wurden die Ergebnisse vorgestellt. Selbstverständlich kamen die 50 Besucher*innen ins Gespräch. Eigene Flucht- und Kriegsgeschichten wurden mitgeteilt.

Dass nach 1945 viel zu wenig über die traumatisierenden Erfahrungen gesprochen wurde und dass diese Traumata auch die nachfolgenden Generationen prägen, klang in vielen Äußerungen an. Es wurde deutlich, wir Deutschen verfügen über einen großen Erfahrungsschatz darin, was Krieg und Flucht mit Menschen macht.

Möglicherweise hatte die große Hilfsbereitschaft Geflüchteten gegenüber, die Willkommenskultur 2015, die so viele Menschen aktiviert hat, auch darin ihre Wurzeln. Die Lesung hat sehr eindrucksvoll deutlich gemacht, dass eine generations- und länderübergreifende Auseinandersetzung mit von Flucht betroffenen Menschen sich lohnt und etwas in Bewegung bringt.

 

Autorin Marina Jenkner hat die Fluchterfahrungen ihrer Großeltern und die syrischer Flüchtlinge miteinander verglichen. Foto: Elisabeth Patzsch